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Vögel im Neeracherried beobachten

Ob brütende Lachmöwen im Frühling oder rastende Kiebitze im Herbst – zu jeder Jahreszeit ist im BirdLife-Naturzentrum Neeracherried etwas los. Der Ausflug in eines der letzten grossen Flachmoore der Schweiz lohnt sich. Gerade wer noch nie einen Eisvogel in freier Wildbahn beobachten konnte, hat hier beste Chancen.

Noch bevor ich beim BirdLife-Naturzentrum Neeracherried ankomme und das Fernglas griffbereit halte, fliegt bereits ein erster Eisvogel vorbei. Sein leuchtendes Gefieder hebt ihn vom bewölkten Oktoberhimmel ab. Es scheint, ein vielversprechender Ausflug zu werden.

Vor dem Besucherzentrum inspiziere ich einen kleinen Teich, der von verblühten Wildpflanzen umrahmt wird. Sie sehen ein wenig wie Touristen aus, die sich neugierig um ihren Reiseführer scharen. Viel ist aber nicht los, lediglich ein paar Grünfrosch-Kaulquappen schwimmen im klaren Wasser. Wenn sie die Metamorphose noch vor dem Kälteeinbruch schaffen möchten, müssen sie sich beeilen. Später erfahre ich zu meiner Überraschung vom Zentrumsleiter Stefan Heller, dass überwinternde Kaulquappen bei ihnen keine Seltenheit sind. Gerade milde Winter würden die Grünfrösche gut als Kaulquappen überstehen und sich im darauffolgenden Frühling fertig entwickeln. 

Um mir einen Überblick über das Naturschutzgebiet zu verschaffen, steige ich zuerst zur Dachterrasse des Besucherzentrums hoch. Kaum oben angekommen, werde ich von einem passionierten Ornithologen abgefangen: «Haben Sie den Raubwürger schon entdeckt?», fragt er mich aufgeregt und zeigt in Richtung einer ehemaligen Beobachtungshütte mitten im Ried. Zuoberst auf dem Dachfirst sitzt der grau-weiss-schwarze Vogel mit der auffälligen schwarzen Maske. Ich kann ihn in aller Ruhe durch das Fernrohr beobachten, bis eine Rabenkrähe den Platz für sich beansprucht. Es ist erst das zweite Mal, dass ich einen Raubwürger sehe. Kein Wunder, denn in der Schweiz ist er nur noch ein seltener Durchzügler und Wintergast. Einst weit verbreitet, verschwand er aufgrund der zunehmenden Verarmung der Landschaft als Brutvogel.

Ein Naturpfad mit mehreren Stegen führt durch das Ried zu zwei Beobachtungshütten. Abschnittsweise säumen einheimische Bäume und Sträucher anstelle der typischen Riedpflanzen den Weg. Noch sind nur wenige Blätter verfärbt. Umso mehr fallen die roten Beeren des Gemeinen Schneeballs, die prallen und blauen Früchte des Schwarzdorns und die lustig geformten, rosafarbenen Früchte des Pfaffenhütchens auf. Irgendwo im Unterholz erklingt der wehmütige Gesang eines Rotkehlchens und in der Ferne verrät sich ein Zilpzalp durch seinen typischen, pfeifenden «hüIT»-Ruf.

Bei der ersten Beobachtungshütte angekommen, beziehe ich leise Stellung. Die Hauptzugzeit der Limikolen ist bereits vorbei. Dennoch haben sich etwa fünfzig Kiebitze in der seichten Gewässerzone niedergelassen. Einige stochern auf der Suche nach Nahrung eifrig im Boden, andere pflegen ihr Gefieder mit einem Wasserbad. Als ein Rotmilan tief über das Ried segelt, scheucht er die Kiebitze auf. Während mehrerer Minuten kreisen sie in der Luft. Ihre aufgeregten Rufe werden von den klickenden Geräuschen zahlreicher Fotokameras übertönt – die Fotografen wittern ihre Chance auf ein perfektes Bild. Noch bis im November haben sie die Möglichkeit dazu, danach ziehen die Kiebitze weiter.

Kiebitze im Neeracherried © Sarah Jüstrich

Als die Kiebitze landen, scheuchen sie wiederum mehrere Bekassinen auf. Während ich die amselgrossen Vögel mit dem langen Schnabel ins Visier nehme, drängt sich eine Grosse Königslibelle in den Bildvordergrund. Die hellblau-grüne Libelle ist eine von fünfzig Arten, die bisher im Ried nachgewiesen werden konnte. In wendigen Manövern fliegt sie über der spiegelnden Wasseroberfläche. Lange kann ich ihr allerdings nicht zuschauen, denn ein Junge neben mir ruft begeistert «Isvögeli, Isvögeli» und zeigt mit ausgestrecktem Arm auf einen abgestorbenen Ast, der wenige Meter von uns entfernt aus dem Wasser ragt. Dort ist ein Eisvogel-Männchen gelandet, erkennbar am vollständig schwarz gefärbten Schnabel. Nur kurz hält das Männchen Ausschau nach Nahrung, ehe es im Sturzflug einen kleinen Fisch erbeutet. Der Eisvogel ist äusserst erfolgreich und kehrt immer wieder auf den Ast zurück, um die Fischchen zu verzehren. So wundert sich der Junge nebenan über den Namen des Vogels und fragt seine Mutter, weshalb denn der Eisvogel nicht «Fischvögeli» heisse. Dies scheint die Fotografen wenig zu kümmern, einmal mehr machen sie sich durch die klickenden Geräusche ihrer Kameras bemerkbar.

Mein Blick schweift vom Eisvogel weg in Richtung Riedwiesen. Dort weiden mehrere Schottische Hochlandrinder, die teilweise bis zum Bauch im wassergetränkten Boden versinken. Sie schaffen offene Stellen, die ideale Brutplätze für Vögel sind und ihnen die Nahrungssuche erleichtern. So ist es wenig erstaunlich, dass mehrere Bachstelzen in der Hoffnung auf einen Leckerbissen unmittelbar neben den Rindern hin und her trippeln. Auch ein Star schliesst sich ihnen an, sein weiss getüpfeltes Schlichtkleid stellt sich vor dem hellbraunen Fell des Hochlandrinds nicht gerade als beste Tarnung heraus. Dies entgeht auch den wachsamen Blicken mehrerer Mäusebussarde nicht, die regungslos auf den Weidepfosten sitzen.

Ausblick auf das Neeracherried durch das Fenster einer Beobachtungshütte
Blick aus der ersten Beobachtungshütte © Sarah Jüstrich

Es ist Zeit, in die zweite Beobachtungshütte zu wechseln. Von hier aus sind mehrere kleine Inseln gut sichtbar, die im Frühjahr von Lachmöwen als Brutplätze genutzt werden. «Diesen Frühling zählten wir über hundert Lachmöwen-Küken», erzählt Stefan Heller stolz. Dies sei ein grosser Erfolg für eine Art, die stark von Populationsschwankungen betroffen ist. Wer die gepunkteten Federkügelchen einmal selbst beobachten möchte, sollte von Mitte bis Ende Mai vorbeischauen. Jetzt lässt sich der rege Betrieb im Frühling lediglich erahnen, die Inseln werden heute nur von zwei dösenden Nilgänsen genutzt. Etwas aktiver sind sieben Störche am gegenüberliegenden Ufer, sie sind in ihre Gefiederpflege vertieft. Darum bemerken sie den Silberreiher gar nicht, der sich zu ihnen gesellt. Von den Störchen ignoriert, widmet auch er sich der Gefiederpflege. Den Gänsesägern bleibt für einen Zwischenhalt keine Zeit: Tief über der Wasserfläche und mit raschen Flügelschlägen ziehen sie vorbei. Ihr geradliniger Flug lässt sich nicht mit demjenigen der Distelfinke vergleichen. In wellenförmigen Bewegungen, beinahe hüpfend, fliegen sie über das Ried. Geradezu schwerfällig wirken die Schuppenkarpfen, deren graublaue Rücken- und rötliche Schwanzflossen immer wieder kurz aus dem Wasser auftauchen.

Ausblick auf das Neeracherried durch das Fenster einer Beobachtungshütte
Blick aus der zweiten Beobachtungshütte © Sarah Jüstrich

Die klammen Finger erinnern mich daran, dass es Zeit ist aufzubrechen. Auf dem Rückweg erspähe ich kurz eine weibliche Rohrweihe, die gemächlich dem Schilfgürtel entlang gleitet. Der Eisvogel scheint es eiliger zu haben: Begleitet von seinem typischen, scharfen «tiiht»-Ruf fliegt er ein letztes Mal an mir vorbei und verschwindet im Schilf. Von der Dachterrasse des Besucherzentrums aus suche ich noch einmal kurz das Gebiet ab und entdecke auf der gegenüberliegenden Seite zwei Rehe beim Äsen. Ich schaue ihnen eine Weile zu, bis die Dämmerung einsetzt und erste Regentropfen fallen. Zufrieden mache ich mich auf den Nachhauseweg.

Informationen zum BirdLife-Naturzentrum Neeracherried

Das BirdLife-Naturzentrum Neeracherried bietet ein vielfältiges Angebot. Kernstück des Zentrums ist der Naturpfad ins Ried, der zu den zwei Beobachtungshütten führt. Im Naturzentrum befindet sich eine interaktive Dauerausstellung zum Lebensraum Ried, die durch wechselnde Sonderausstellungen ergänzt wird. Zudem finden laufend Führungen und Veranstaltungen für angemeldete Gruppen oder Schulklassen statt. Bitte beachten Sie, dass für die Ausstellungen und den Besuch des Rieds eine kleine Eintrittsgebühr verlangt wird.

    Öffnungszeiten:

  • Sommersaison (Mitte März bis 1. November): Mittwoch, Samstag, Sonntag, Feiertage
  • Wintersaison (November bis Mitte März): jeweils 2. Sonntag des Monats
    Anreise:

  • Dielsdorferstrasse 13, 8173 Neerach
  • mit dem ÖV: Die Postauto-Haltestelle «Riedt bei Neerach, Riedacher» liegt 5 Gehminuten vom Zentrum entfernt. Der Weg ist ausgeschildert.
  • mit dem Fahrrad: Am Bahnhof Bülach können Velos gemietet werden. Der Glatt entlang oder über Hochfelden sind es ca. 6 km zum Naturzentrum (ausser Ortsdurchfahrt Hochfelden alles Veloweg). Mehr Informationen zur Velomiete unter 044 886 17 40, Kontakt: reissverschluss@buelach.ch.
    Detailliertere Informationen finden Sie hier.

1 Kommentar

  1. schön beschriebe. Es Neeracher Ried isch immer wieder en Bsuech wert.
    Danke für die Möglichkeit, es Stück Natur in aller Ruhe z`beobachte z`dörfe.
    Monika Brunner

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