StartHintergrundMeinungWo Steinbockkadaver liegen, ist Windkraft tabu: die Kollisionsrisiken von Bartgeiern und Windenergieanlagen

Wo Steinbockkadaver liegen, ist Windkraft tabu: die Kollisionsrisiken von Bartgeiern und Windenergieanlagen

In der Schweiz sollen mehr Windenergieanlagen entstehen, welche aber für den seltenen Bartgeier gefährlich werden können. Dank neuen Untersuchungen können heikle Gebiete identifiziert werden.

Text: Markus Hofmann, Erstveröffentlichung auf www.umweltblog.ch

Der Druck, auch in Naturschutzgebieten Anlagen für erneuerbare Energien zu bauen, steigt enorm. Die Wende hin zu fossilfreier Energieproduktion kommt zu langsam voran. Und der Krieg in der Ukraine macht es noch dringlicher, sich möglichst von Öl und Gas loszusagen, um von diktatorischen Staaten weniger abhängig zu sein.

In der Schweiz sollen daher Anlagen für erneuerbare Energien rascher erstellt werden können. Die Regierung will den dafür nötigen Bewilligungsverfahren Schub verleihen.

Der Schuldige für die bisher anscheinend zu langsamen Verfahren ist rasch gefunden. Der Natur- und Heimatschutz.

So schreibt der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse zur Gesetzesrevision: «Die Erfahrungen in der Praxis zeigen, dass in der Vergangenheit vor allem die überproportionale Gewichtung der Interessen des Natur- und Heimatschutzes zur Verlangsamung oder zum kompletten Abbruch von Projekten geführt haben…»

Der Konflikt zwischen Natur- und Klimaschutz ist voll entbrannt. Da ist es nur klug, präventiv tätig zu werden. Und darüber nachzudenken, wo überhaupt Energieanlagen gebaut werden könnten, ohne grosse Schäden an der Natur anzurichten.

Zum Beispiel anhand einer vom Aussterben bedrohten Tierart wie dem Bartgeier. Denn gerade Greifvögel und Windenergieanlagen geraten sich regelmässig in die Quere: selbstverständlich mit dem schlechteren Ende für die Greifvögel. Die Kollisionen mit den Rotorblättern der Windenergieanlagen verlaufen selten glimpflich. (Siehe dazu die Umweltnotiz «Windenergie oder Wanderfalke: Das Bundesgericht spricht ein Urteil im Interessenkonflikt von Klima- und Biodiversitätsschutz».)

Der Schweizer Luftraum der Bartgeier

Forscher:innen aus der Schweiz und Deutschland haben nun untersucht, wo sich das Flugverhalten der Bartgeier mit dem Bau von Windenergieanlagen in den Schweizer Alpen vereinbaren liesse – oder andersrum: Wo besteht die grösste Gefahr, dass Bartgeier mit Windenergieanlagen zusammenstossen?

Zugute kam den Forscher:innen, dass sie ziemlich genau Bescheid wissen, wo sich die Bartgeier in den Alpen aufhalten. Im Zuge der Wiederansiedlung der Bartgeier sind Dutzende von Tieren mit GPS-Sendern ausgerüstet worden. So erhält man gutes Bild davon, wie die Bartgeier den Schweizer Luftraum nutzen.

Diesen Bartgeier-Luftraum braucht man nun mit den möglichen Standorten für Windkrafträder zu vergleichen. Als Höhe für die Windenergieanlagen setzten die Wissenschaftler:innen 200 Meter an. Fliegt ein Bartgeier also in dieser Höhe oder unterhalb, droht ihm der Tod durch Kollision mit den Rotorblättern. Fliegt er höher, ist er sicher.

Die Resultate sind klar: In 73,9 Prozent der Fälle, in denen GPS-Daten von Bartgeiern vorliegen, flogen die grossen Vögel unter 200 Meter über dem Boden. Zudem sind vor allem südexponierte Berghänge betroffen, wo gute Flugbedingungen herrschen und viele Kadaver von Steinböcken zu finden sind, eine der Lieblingsnahrung der Knochenfresser.

Diese Bedingungen treffen auf etwa ein Drittel der Schweizer Alpen zu. Dort also dürften keine Windkraftanlagen errichtet werden, will man den Bartgeier nicht wieder der Gefahr der Ausrottung aussetzen. Und klar: Das ist kein Freibrief. Auch in den anderen Gebieten bräuchte es genaue Untersuchungen, ob eine naturverträgliche Errichtung von Windenergieanlagen möglich ist.

Die Forscher:innen sind der Ansicht, dass sich ihre GPS-basierte Methode auch auf andere Zielarten anwenden liesse. Zu denken wäre hier zum Beispiel an den Rotmilan.

Am wichtigsten aber ist die Erkenntnis: Der Naturschutz darf nicht gegen den Klimaschutz ausgespielt werden.

2 Kommentare

  1. Geier brauchen vor allem Nahrung. Wenn alle Kadaver sofort wegeräumt werden, haben sie nichts zu essen. Weiter ist der Geier darauf angewiesen, dass keine Umweltgifte in seinen Körper gelangen, was meist zu Unfruchtbarkeit führt. Windräder sind auch, aber das kleinste Problem für den Geier. Bei Rotmilanen stehen Windräder auf Platz 7 der Bedrohungen, unter «ferner liefen».
    Beispiel gefällig: Spanien/Portugal: Sehr viele Windräder, sehr viele Geier. Ganz einfach, weil verendete Tiere, Teils auch freilaufende Nutztiere, nicht sofort entfernt werden. Die Populationen sind gross und stabil.
    Ausserdem gibt es Vogelschlagalarmanlagen. Also wenn die Geier (sogar mit GPS oder Sender ausgerüstet) in der Nähe sind, kann man Windräder auch kurz stoppen. Wird in anderen Ländern so praktiziert.
    Wenn die Erde zu warm wird, haben auch die Bartgeier keine Überlebenschance.

  2. Es «müssen» überhaupt keine einzige Grosswindanlagen gebaut werden.
    Erstens geht es bei der Versorgungssicherheit nur um etwa 5-8 % im Winter, während die Verschwendung beträgt beim Strom mindestens 25 % und zweitens ist die Produktionskapazität im bestehenden Gebäudepark höher als der aktuelle Stromverbrauch. Drittens kann hier doch für einmal der Markt spielen, dann hätten wir das Verschwendungsproblem und das Versorgungsproblem ganz schnell gelöst – und erst noch zur Entlastung der Umwelt.
    Was es braucht, ist ein anderer und bewussterer Umgang mit Energie.

    Es wird Zeit, dass die Umweltorganisationen endlich aus der defensive Ecke herauskommen und der Gesellschaft kommunizieren, was die Politik verschweigt und seit vielen Jahren versäumt!

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