Im Kanton Zürich betreibt das Tiefbauamt seit 2019 in Zusammenarbeit mit der Fachstelle Naturschutz auf rund 20 Prozent der Grünflächen entlang den Kantonsstrassen einen naturschonenden Böschungs unterhalt und leistet damit einen Beitrag zur Biodiversität.
Text von David Amrein, Strasseninspektorat Tiefbauamt, und Jean-Marc Obrecht, Projektleiter Gebietsbetreuung Fachstelle Naturschutz, Amt für Landschaft und Natur Baudirektion Kanton Zürich. Artikel aus der «Zürcher Umweltpraxis (ZUP, Ausgabe Nr. 98)»
Jeder weiss, dass das kantonale Tiefbauamt (TBA) die Kantonsstrassen in Schuss hält. Was man oft übersieht: Das TBA pflegt auch zahlreiche Grünflächen entlang diesen Strassen. Es sind Begleitflächen, die dazu dienen, die Strassen ins Gelände und die Umwelt einzupassen: Böschungen etwa und Arrondierungen bei Kreuzungen. Sie bilden den Übergang zwischen Natur und Strassenkörper. Grünstreifen und Grünflächen entlang dem Strassenraum erfüllen aber auch gestalterische Anforderungen und dienen der Separierung des Verkehrs und der passiven Sicherheit. Im ganzen Kantonsstrassennetz kommen so viele Hektaren Strassenbegleitgrün zusammen.
Der Sicherheit verpflichtet
Dieses Begleitgrün erfordert stetigen Unterhalt. Ohne diesen würden die hoch wachsenden Wiesen wichtige Sichtbeziehungen verdecken und so die Sicherheit im Strassenverkehr gefährden. Und schon nach wenigen Jahren würden sich in ungemähten Böschungen flächig Gehölze ausbreiten. Regelmässiges Mähen ist daher zwingend notwendig für die Verkehrssicherheit.
Das kantonale TBA mäht deshalb Grünflächen in der Regel zweimal pro Jahr während der Vegetationsperiode. Auf dem ersten Meter neben dem Strassenrand ist der Unterhalt intensiver. Hier wird gemäht, sobald eine kritische Höhe erreicht wird, in der die Wiesen die Sicht verdecken könnten.
Eine effiziente Grünpflege ist auch deswegen wichtig, weil das Verkehrsaufkommen stetig wächst. Zudem geniesst die Sicherheit der Mitarbeitenden des Strassenunterhalts eine hohe Priorität. Schliesslich spielen die steigenden Ansprüche der Bevölkerung an die Stras seninfrastruktur eine Rolle. Sie erwarten eine hohe Funktionalität und ein ansprechendes Erscheinungsbild.
Was ist dabei zu beachten?
– Wo es sicher für den Verkehr ist
– Welche Böschung besonders wertvoll ist (Trockenstandort, artenreich, blühend, Vernetzungsaspekt etc.)
– Mindestfläche, Mindestbreite: Es ist sinnvoll, sich auf grössere Flächen zu konzentrieren. Das TBA hat nur Grünflächen in Betracht gezogen, die breiter als zwei Meter sind und mindestens 100 m2 Fläche aufweisen.
– Aufwand für den Unterhalt
– Unterhaltsfachpersonen informieren und schulen (z. B. Kurse bei PUSCH) oder regelmässig Spezialisten beiziehen. Es braucht Know-how, damit die Wiesen langfristig richtig gepflegt werden und beispielsweise die Schnittzeitpunkte der Entwicklung der Wiesen angepasst werden können.
Sicherheit und Biodiversität – ein Zielkonflikt
Man kann dieses Begleitgrün, dieses «Nebenprodukt» des Strassennetzes aber auch ganz anders betrachten, als Lebensraum. Viele einheimische Pflanzen und Kleintiere wie zum Beispiel Tagfalter, Spinnen, Amphibien, Reptilien und kleine Säugetiere kommen hier vor. Strassen sind lineare Infrastrukturen, die den ganzen Kanton durchziehen. Begleitgrün ist daher prädestiniert für eine Längsvernetzung verschiedener Lebensräume zugunsten der Biodiversität.
Eine moderne und immer effizientere Bewirtschaftung dieser Flächen mit leistungsfähigen Maschinen, durch Absaugen des Schnittguts und durch einen ersten Schnitt relativ früh in der Vegetations periode im April oder Mai, bevor viele Pflanzen blühen oder sich versamen können, wirken sich negativ auf zahlreiche Tier und Pflanzenarten aus. Da die biologische Vielfalt im Kanton Zürich immer weiter verarmt, hat der Kantonsrat entschieden, die Artenvielfalt auch entlang den Kantonsstrassen zu erhalten und zu fördern.
20 Prozent artenreiche Flächen
Anhand einer Kartierung sind Flächen ermittelt worden, die sich für einen naturschonenden Unterhalt und damit zur Biodiversitätsförderung eignen. Es sind Grünflächen mit nährstoffarmen Böden, die schon heute eine grosse Artenvielfalt aufweisen. Hier wird nun seit letztem Jahr die Mahd – angepasst an den Pflanzenbestand – erst im Juni oder Juli ausgeführt. Zudem werden diese Flächen mit dem Messerbalken geschnitten, wodurch Kleintiere geschont werden (Artikel «Bienen fördern durch Massnahmen im Unterhalt»).
Diese Flächen machen rund 20 Prozent der gesamten vom Tiefbauamt gepflegten Grünflächen aus. Die übrigen Böschungen und Grünflächen weisen dagegen eine geringe Artenvielfalt auf und sind oft auch nährstoffreich und wuchskräftig. Hier wird der Unterhalt vorderhand nicht auf biologische Zielsetzungen hin optimiert.
Rückzugsmöglichkeiten für Kleintiere
Auf einigen Strecken wird das Schnittgut zum Trocknen liegen gelassen. Blumen und Gräser können so versamen, Insekten und Spinnen verlassen das Schnittgut und ziehen sich in benachbarte Bereiche zurück. Zusätzlich werden beim ersten Schnitt sogenannte Altgrasstreifen als Rückzugsmöglichkeiten für Kleintiere ausgespart. Deckung und Nahrungsangebot bleiben dadurch bestehen. Tiere und Pflanzen können in diesen nicht gemähten Streifen ihre Entwicklung abschliessen und die übrigen Flächen wieder besiedeln.
Auch Blumenwiesen müssen mal gemäht werden
Der naturnahe Böschungsunterhalt sieht also eine gewisse Extensivierung des Unterhalts von artenreichen Wiesen entlang den Kantonsstrassen vor. Dies wird der Bevölkerung in Form von blütenreicheren Strassenrändern und absichtlich nicht gemähten Altgrasstreifen auffallen. Um langfristig erhalten zu bleiben, müssen aber auch Blumenwiesen gemäht werden – manchmal genau dann, wenn sie am schönsten blühen (siehe Box). Den Verkehrsteilnehmenden wird ferner auffallen, dass Strecken mit naturnahem Böschungsunterhalt teilweise öfter als bisher vom Strassenunterhaltsdienst angefahren werden und dass es dadurch zu Verkehrsbehinderungen kommen kann, wenn von der Fahrspur aus gepflegt werden muss. Eines bleibt jedoch klar: Auch bei Engagement für die Artenvielfalt, Priorität haben nach wie vor Funktionstüchtigkeit und sicherer Betrieb der Strassen.
Blumenwiesen wurden über die Jahrhunderte vom Menschen geschaffen, durch Bauern, die Winterfutter für ihr Vieh gewinnen mussten.
Zu früh schneiden, zu spät …
Damit eine Wiese ihre Blütenpracht und Insektenvielfalt über viele Jahre behält, darf sie nicht zu früh genutzt werden. Kräuter und Gräser müssen Samen bilden, Schmetterlinge sich fortpflanzen können. Doch auch ein zu später Schnittzeitpunkt kann das komplexe Gefüge beeinträchtigen, das die vielen Pflanzen- und Tierarten bilden. Im Juni beginnt sich die Blattmasse bereits wieder zu zersetzen, die seit den ersten Frühlingstagen herangewachsen ist – die Wiese düngt sich selbst. Zudem bietet die dichte Vegetation kaum Lücken, wo Samen genügend Raum und Licht für die Keimung finden. Und auch viele Insekten benötigen für ihre Entwicklung Wärme und Licht in Bodennähe. Wird eine Wiese regelmässig erst im Spätsommer oder Herbst gemäht, verschwinden nach und nach viele Blütenpflanzen und Kleinlebewesen – die Wiese vergrast.
… wenn sie blühen, oder gar nicht schneiden
Den perfekten Schnittzeitpunkt» für eine Wiese gibt es eigentlich nicht. Zu unterschiedlich sind die spezifischen Ansprüche der einzelnen Arten. Ein ziemlich guter Mittelweg ist oft ein Schnitt kurz nach der Hauptblütezeit. Viele Pflanzen haben dann bereits keimfähige Samen gebildet und können so ihren Bestand sichern. Weil aber gleichzeitig immer noch zahlreiche Blumen blühen, mag sich manche Passantin, mancher Passant daran stören, dass die Wiesen stets ausgerechnet dann gemäht werden, wenn sie am schönsten sind. Und was, wenn die Mahd komplett ausfällt? Dann etablieren sich schon nach wenigen Jahren Brombeerranken, Sträucher oder Bäume – die Wiese verbuscht.