BirdLife Schweiz hat die Schweizer Biodiversitätspolitik 2023 analysiert. Obwohl mehrere positive Ansatzpunkte bestanden hätten, wurden keine nennenswerten Fortschritte erzielt. Dem Fehlen messbarer Fortschritte stehen klare Rückschritte gegenüber. Gleichzeitig zeigen erfolgreiche regionale Projekte, dass der Schutz der Biodiversität möglich und mit wirtschaftlichen Tätigkeiten vereinbar wäre – die völlig ungenügenden Anstrengungen der Schweiz sind ein Problem des politischen Willens.
Der Start ins Biodiversitätsjahr 2023 schien hoffnungsvoll, war doch der globale Kunming-Montreal-Zielrahmen für die Biodiversität (Global Biodiversity Framework, GBF) nur 12 Tage vor Beginn des Jahres verabschiedet worden, schreibt BirdLife Schweiz in einer Medienmitteilung. Fast 200 Staaten haben erkannt, dass die Biodiversität unsere Lebensgrundlage ist und dringend besser geschützt werden muss. Zwei besonders wichtige Elemente des GBF sind der Schutz der Biodiversität als Querschnittsaufgabe («whole-of-government approach») und dessen Berücksichtigung in allen Sektoren (Ziele 9-12), denn die Umweltministerien allein können diese grosse und wichtige Aufgabe nicht alleine stemmen.
«In der Schweiz hingegen wurde die Biodiversität 2023 in zwei wichtigen Sektoralpolitiken gar noch geschwächt, statt sie zu stärken», erklärt Raffael Ayé, Geschäftsführer von BirdLife Schweiz. Im Bereich Landwirtschaft verabschiedete das Parlament in der Frühlingssession eine Agrarpolitik, die dringliche Fortschritte im Bereich der Biodiversität und des Klimas bis 2030 ausbremst und verzögert. Im Dezember 2023 beschloss dann das Parlament eine weitere Verzögerung und vertagte einen Mindestanteil von 3,5 % Biodiversitätsförderflächen auf Ackerland. Aber nicht nur in der Landwirtschaftspolitik, auch in der Energiepolitik wurden Beschlüsse gefasst, die den Schutz der Biodiversität schwächen, statt in allen Sektoralpolitiken den Schutz der Biodiversität zu stärken und zu verbessern.
Berichte des Bundes zeigen den schlechten Zustand der Biodiversität
Das Resultat der völlig ungenügenden Anstrengungen der Schweiz zum Erhalt der Biodiversität zeigte sich denn auch in zwei Berichten, die das Bundesamt für Umwelt (BAFU) im Mai veröffentlichte. Die «Synthese der Roten Listen der Schweiz» und der Bericht «Biodiversität in der Schweiz – Zustand und Entwicklung» zeigen beide die besorgniserregende Situation auf. Über ein Drittel aller untersuchten Arten und rund die Hälfte aller Lebensräume der Schweiz stehen auf der Roten Liste. «Das ist ein erschreckend hoher Anteil und höher als in unseren Nachbarländern», betont Raffael Ayé. In den Roten Listen wird die Wirkung der politischen Strategien und der Umsetzungsmassnahmen auf die Biodiversität nach wissenschaftlichen Kriterien bewertet.
Eines der wichtigsten Instrumente zur Umsetzung des GBF ist die nationale Biodiversitätsstrategie und der zugehörige Aktionsplan. Im Juni 2023 wurde der Bericht Wirkung des Aktionsplans zur Strategie Biodiversität veröffentlicht. Trotz des erschreckenden Fazits auf der Ebene der Wirkung beschönigte die Bundesverwaltung in ihrer Kommunikation zum Bericht. Eine detaillierte Lektüre zeigt: Keines der Ziele der Strategie Biodiversität Schweiz wurde erreicht. Bundesrat und Verwaltung kommunizierten jedoch, die Massnahmen seien mehrheitlich auf Kurs.
Katastrophale Bilanz
Einen öffentlichen Aufschrei verursachte die im November verabschiedete neue Jagdverordnung, die massive und kontraproduktive Abschüsse von Wölfen und ganzen Wolfsrudeln ermöglichen soll. Die Kantone stehen nun vor der grossen Herausforderung, trotz starkem politischem Druck und trotz einer Verordnung, die Gesetz und Verfassung nicht einhält, fachlich saubere und rechtskonforme Regulationsverfügungen zu erlassen und vor allem auf Regulationen zu verzichten, wo diese nicht rechtskonform oder kontraproduktiv wären.
Kurz vor Jahresende weigerte sich der Ständerat, überhaupt auf den Gegenvorschlag zur Biodiversitätsinitiative einzutreten. Unter anderem beriefen sich einige Ständeräte auf den Aktionsplan zur Strategie Biodiversität und meinten, die Schweiz machen ja schon einiges für die Biodiversität. Offensichtlich sind sie auf die beschönigende Kommunikation von Verwaltung und Bundesrat reingefallen.
«Insgesamt war das Jahr 2023 ein Jahr der katastrophalen Biodiversitätspolitik in der Schweiz», sagt Raffael Ayé. «Hoffnung geben einzelne Projekte, die auf regionaler Ebene zeigen, dass der Erhalt der Biodiversität mit entsprechenden Massnahmen erfolgreich ist.» So gelang es BirdLife und seinen Partnern mit einem 24 Jahre dauernden aufwändigen Projekt zur Aufwertung von Lebensräumen, den Steinkauz nach 40 Jahren Abwesenheit als Brutvogel wieder in die Nordwestschweiz zu locken. Ein Paar brachte mindestens einen Jungvogel hoch. Vermutlich war es aus dem nahen Elsass oder Südbaden wieder eingewandert. Dieses trinationale BirdLife-Steinkauzprojekt oder auch das ähnliche Projekt «Obstgarten Farnsberg» zeigen, dass die Biodiversität mit ausreichend personellen und finanziellen Ressourcen und einem langen Atem erfolgreich gefördert werden kann – und die involvierten Landwirte gleichzeitig hochwertige Nahrungsmittel produzieren.
Biodiversität und Nutzung sind kein Gegensatz, doch nur mit politischem Willen und raschem, entschiedenem Handeln wird der Schutz der Biodiversität gelingen.
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