StartHintergrundWissenWie bekommen wir das CO₂ wieder aus der Atmosphäre?

Wie bekommen wir das CO₂ wieder aus der Atmosphäre?

Ohne Kohlendioxid (CO2) dauerhaft aus der Atmosphäre zu entnehmen, kann die globale Erwärmung nicht auf 1,5 Grad Celsius begrenzt werden, wie es das Pariser Übereinkommen vorsieht. Negativ-Emissions-Technologien (NET) sind dafür ein denkbarer Weg.

Gekürzter Text von Floris Emanuel Heim, Abteilung Luft, Klima und Strahlung, Amt für Abfall, Wasser, Energie und Luft. Artikel aus der «Zürcher Umweltpraxis (ZUP, Ausgabe Nr. 99)»

Der Ausstoss von Treibhausgasemissionen kann voraussichtlich nicht in allen Bereichen vollständig vermieden werden. Besonders in der Landwirtschaft, der Abfallbehandlung und bei gewissen industriellen Prozessen wie zum Beispiel der Zementherstellung sind bestimmte Treibhausgasemissionen aus heutiger Sicht unvermeidbar. Die Erreichung von Netto-Null-Emissionen erfordert daher neben der möglichst weitgehenden Emissionsreduktion die Entfernung von Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphäre durch sogenannte Negativ-Emissions-Technologien (NET).
Grundsätzlich kann dabei CO2 entweder über die Photosynthese als Biomasse oder chemisch durch Luftfilter oder die Bindung in Mineralien eingefangen werden. Damit die Rückgewinnung von CO2 aus der Atmosphäre auf längere Sicht einen klimawirksamen Effekt haben kann, muss das entzogene CO2 dauerhaft und sicher gespeichert werden.

Ansätze für negative CO2-Emissionen im Kanton Zürich

Im Auftrag des Amts für Abfall, Wasser, Energie und Luft (AWEL) haben INFRAS und Perspectives Climate Group die für den Kanton Zürich relevanten Negativ-Emissions-Technologien beschrieben und den nachfolgenden sechs Handlungsfeldern zugeordnet:

  • Forstwirtschaft
  • Moorschutz und Wiedervernässung
  • Landwirtschaft
  • Beschleunigte Verwitterung
  • Biomasseverwertung mit CO2-Abscheidung und -Speicherung (BECCS)
  • Maschinelle CO2-Luftfiltrierung und Speicherung (DACCS)

Die geschätzten Potenziale zur CO2-Rückgewinnung aller oben aufgeführten Handlungsfelder im Kanton summieren sich in einem optimistischen Szenario auf rund eine Million Tonnen CO2 pro Jahr und unter der Annahme eines pessimistischen Szenarios lediglich auf 50 000 Tonnen CO2 pro Jahr im Jahr 2050. Die sehr grosse Bandbreite der Schätzung der möglichen CO2-Rückgewinnung zeigt eindrücklich den Bedarf an Forschung und Pilotprojekten im Bereich der NET auf. Nachfolgend werden die Handlungsfelder mit dem geschätzt grössten Potenzial im Bereich der Negativ-Emissions-Technologien im Kanton Zürich aufgeführt.

Für den Kanton Zürich geschätzte Potenziale zur CO2-Entnahme (in 1000 Tonnen CO2 pro Jahr) in einem pessimistischen bzw. optimistischen Szenario. © AWEL basierend auf INFRAS und Perspectives Climate Group «Negative Emissionen und Treibhausgas-Zertifikatehandel – Potenziale, Kosten und mögliche Handlungsoptionen» vom 2. Juni 202

Forstwirtschaft

Wälder und Böden sind biologische CO2-Speicher. Werden diese mit geeigneten Massnahmen vergrössert, können sie über eine begrenzte Zeitspanne als Senken wirken, also langfristig mehr CO2 aufnehmen als sie abgeben. Das ist zum Beispiel der Fall, wenn die Holzbestände oder die Waldfläche zunehmen.
Das grösste CO2-Senkenpotenzial kann jedoch durch die Verwendung des Holzes als langlebige Bau- und Werkstoffe erreicht werden, da so das in der Biomasse gebundene CO2 über Jahrzehnte aus dem natürlichen Kohlenstoffkreislauf entfernt werden kann. Hervorzuheben ist auch, dass der Einsatz von Holz als Bau- und Werkstoff zurzeit die effizienteste, günstigste und sicherste CO2-Senke im Kanton Zürich darstellt. Mittelfristig wird daher eine breitere Anwendung des Holzbaus angestrebt.

Landwirtschaft

Auch in der Landwirtschaft kann mit geeigneten Massnahmen, über eine begrenzte Zeit und in Abhängigkeit der Bodenbeschaffenheit, der Humusaufbau gefördert und damit der Anteil des gespeicherten Kohlenstoffs in den Böden vergrössert werden.
Zu beachten ist jedoch, dass das CO2 in biologischen Senken relativ unsicher gespeichert ist. Durch Waldbrände, Stürme oder durch eine Anpassung der Nutzung oder im Fall humusaufbauender Massnahmen, durch die Bodenbearbeitung, gelangt das zuvor gespeicherte CO2 wieder in die Atmosphäre.
Neben der Vergrösserung der biologischen Speicher besteht eine weitere Möglichkeit, den Kohlenstoffanteil im Boden langfristig zu erhöhen, in der Einbringung von Pflanzenkohle. Diese wird in einem Pyrolyseverfahren hergestellt und kann direkt oder als Zusatz in Kompost oder über die Nahrungsaufnahme von Nutztieren und dem Ausbringen von Hofdünger in den Boden eingebracht werden.
Der Vorteil von Pflanzenkohle besteht darin, dass sie im Boden aufgrund ihrer stabilen chemischen Struktur deutlich länger als andere organische Verbindungen verweilt und damit der Atmosphäre längerfristig CO2 entzogen wird. Ausserdem konnten in landwirtschaftlichen Böden durch das Ausbringen von Pflanzenkohle die Lachgasemissionen oft messbar reduziert werden.
Es besteht jedoch auch die Gefahr, dass mit der Pflanzenkohle Schadstoffe (z.B. Polyzyklische Aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK), Polychlorierte Biphenyle (PCB) oder Schwermetalle) in die Böden eingebracht werden. Um allfällige negative Einflüsse auf die Produktivität und Fruchtbarkeit der Böden ausschliessen zu können, besteht daher noch Forschungsbedarf.

Biomasseverwertung mit CO2-Abscheidung und -Speicherung (BECCS)

Eine energetische Verwertung von Biomasse bei gleichzeitiger Abscheidung des beim Verbrennen entstehenden CO2 wird als Biomasseverwertung mit CO2-Abscheidung und -Speicherung (BECCS) bezeichnet. Das insgesamt grösste Potenzial zur CO2-Entfernung aus der Atmosphäre bietet dabei im Kanton Zürich die technische Abscheidung und anschliessende geologische Speicherung des CO2 im Rahmen der Abfallverwertung und der Biomasse-Energieproduktion, zum Beispiel im Bereich der Fernwärme oder Stromproduktion.
Rund die Hälfte des verbrennbaren Abfalls in den Zürcher Kehrichtverwertungsanlagen (KVA) ist biogenen Ursprungs. Wird nun eine KVA mit einer CO2-Abscheideanlage (CC von engl. Carbon Capture) ausgerüstet, erreicht man mit der oben genannten Abfallzusammensetzung je zur Hälfte eine CO2-Entnahme für den Abfall mit biogenem sowie eine CO2-Emissionsverminderung für den Teil des Abfalls mit fossilem Ursprung. Die Kosten werden auf rund 175 Franken je Tonne CO2 geschätzt. Voraussetzung ist jedoch, dass kostengünstige geologische Speicherstätten zur Verfügung stehen.

Maschinelle CO2-Luftfltrierung und Speicherung (DACCS)

CO2 kann auch mit technischen Mitteln direkt der Luft entzogen werden. Dieser Prozess wird als Direct Air Carbon Capture and Storage – DACCS bezeichnet. DACCS teilt mit dem Prozess im Bereich BECCS zwar die CO2-abscheidungsrelevanten Produktionsschritte, ist jedoch nicht an eine energetische Nutzung gekoppelt. Vielmehr weist DACCS selbst einen grossen Energiebedarf auf. Dies liegt an der viel niedrigeren atmosphärischen CO2-Konzentration (0.04% Volumenanteil) im Vergleich zur Abscheidung bei Punktquellen (je nach Prozess 10–95 Vol-%). Andererseits benötigt DACCS keine Biomasse. Der Prozess des direkten «Einfangens» von CO2 kann daher dezentral dort installiert werden, wo die benötigte Wärmeenergie und Strom vorhanden sind und ebenfalls CO2 für die geologische Speicherung bereitstellen. DACCS ist aus heutiger Sicht jedoch teuer und mit einem deutlich höheren Energieaufwand pro Tonne CO2 im Vergleich zu BECCS verbunden.

CO2-Transport und Speicherung

Mit technischen Mitteln aus der Luft abgeschiedenes CO2, muss sicher und langfristig gespeichert werden, um negative Emissionen zu erzielen. In der Schweiz besteht vor allem im Mittelland ein theoretisches Potenzial zur Speicherung im Untergrund, das realisierbare Potenzial ist aber noch weitgehend unbekannt. Zumindest kurz- bis mittelfristig muss daher das CO2 im Ausland gespeichert werden.
Derzeit werden in Norwegen, Grossbritannien und den Niederlanden Offshore-Speicherprojekte entwickelt. Gemäss einer Studie des Sustainability in Business Lab (sus.lab) der ETH Zürich ist dabei das Projekt «Northern Lights» vor der Küste von Norwegen am weitesten fortgeschritten und wird voraussichtlich ab Anfang 2024 auch für ausländische CO2-Emittenten zur Verfügung stehen. Das sus.lab der ETH Zürich schätzt die Kosten für die geologische Speicherung im Rahmen dieses Projekts einschliesslich Transport ab Rotterdam im Bereich von 33 bis 61 Franken pro Tonne CO2 im Jahr 2030. Für den Transport bis Rotterdam ist bei einem Pilotprojekt die Nutzung von Bahn und Schiff denkbar.

Transport per Pipeline

Der Einsatz von CO2-Abscheidung und Speicherung (CCS) im industriellen Massstab bedingt jedoch den Aufbau eines CO2-Pipelinetransportsystems. Gemäss einer ersten groben Schätzung des sus.lab der ETH Zürich wären für den Aufbau einer Abscheidungs- und Transportinfrastruktur für zehn Millionen Tonnen CO2 pro Jahr in der Schweiz Gesamtinvestitionen von rund 1,1 Milliarden Franken erforderlich. Eine erste Zukunftsvision, welche die Abscheidung von CO2 an grossen Punktquellen mit einem CO2-Pipelinetransportsystem kombiniert, ist das vom Verband der Betreiber Schweizerischer Abfallverwertungsanlagen (VBSA) und der ETH (sus.lab) erarbeitete Konzept «Carbon Hub».

Vision «Carbon Hub» als kontinentales CO2-Netz

Die Vision «Carbon Hub» des Verbands der Betreiber Schweizerischer Abfallverwertungsanlagen (VBSA) beruht auf vier Punkten:

  1. Die vielen noch bestehenden fossilen Heizungen in der Schweiz werden mit wenigen grossen Feuerungen ersetzt, welche ein Fernwärmenetz speisen.
  2. Die neuen, zentralen Feuerungen werden mit Carbon Capture Technologie (CC) ausgestattet und emittieren dadurch kein CO2 mehr. Sie werden zu «Carbon Hubs».
  3. Alle «Carbon Hubs» in der Schweiz werden an ein nationales CO2-Transportnetz angeschlossen.
  4. Das Schweizer CO2-Transportnetz wird mit einem kontinentalen CO2-Transportnetzvernetzt, welches wiederum die geologischen Speicher speist.

Ein konkretes Beispiel: Innovatives, klimapositives Holzheizkraftwerk für Frauenfeld

Text von Dr. Romeo Deplazes, Stv. CEO und Bereichsleiter Lösungen Energie 360° AG

In Frauenfeld realisiert Energie 360° zusammen mit Schweizer Zucker ein innovatives Holzheizkraftwerk. Das Kraftwerk produziert aus Biomasse Strom für rund 8000 Haushalte sowie Wärme für die Zuckerfabrik und einen Wärmeverbund im angrenzenden Wohnquartier. Das Herzstück der modernen Anlage – übrigens eine der grössten ihrer Art in Europa – sind ihre Schwebebettreaktoren zur Gewinnung des Holzgases. Das Projekt ist ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie sich auch in der Schweiz erneuerbare Energie dezentral herstellen und nutzen lässt.

Restholz clever verwertet

Rohstoff für die klimafreundliche Energie ist Holz aus der Region, das sonst mehrheitlich ungenutzt geblieben wäre: Schnittholz aus der Wald- und Landschaftspflege, Sturmholz oder von Schädlingen befallenes Holz. Für die Anlage sind keine hochwertigen Hackschnitzel nötig.
Das gehackte Holz durchläuft im Kraftwerk zunächst verschiedene Trocknungsstufen. Anschliessend entsteht in einem thermochemischen Prozess bei 850° Celsius ein gasförmiger Brennstoff, das Holzgas. Dazu wird das Holz in einem ersten Schritt im Pyrolysebehälter aufgeheizt, so dass sich die organischen Verbindungen der Holzmoleküle aufspalten und Kohle entsteht. Bei der zweiten Stufe im Schwebebettreaktor wird die Kohle erneut erhitzt und so das Holzgas gewonnen.
Die Gasmotoren produzieren daraus den erneuerbaren Strom und die Wärme. Diese Wärme nutzt das System einerseits zum Trocknen der Holzschnitzel, andererseits dient sie der Zuckerfabrik und den am Fernwärmenetz der Stadt Frauenfeld angeschlossenen Gebäuden als erneuerbare Heizwärme.

Energiegewinnung ohne Abfall

Weil das Holz weitgehend unter Sauerstoffausschluss verarbeitet wird, findet keine Oxidation statt, und der Grossteil des im Holz gespeicherten Kohlenstoffs wird gebunden. Anstatt Asche und klimawirksame Verbrennungsgase entsteht Biokohle, in der rund 90 Prozent des im Holz gespeicherten Kohlenstoffs gebunden ist. Wird diese chemisch stabile Kohlenstoffverbindung beispielsweise als Bodenverbesserer eingesetzt, gelangt der Kohlenstoff nicht in Form von CO2 in die Atmosphäre und wird somit dem Kreislauf entzogen. Jährlich können so rund 9000 Tonnen CO2 langfristig gebunden werden. Die Biokohle aus dem Holzheizkraftwerk in Frauenfeld findet Verwendung in der Landwirtschaft zur Verbesserung des Bodens, als Futterzusatz oder als Aktivkohle in der Wasseraufbereitung. Energie 360° ist überzeugt, dass lokal verfügbare, erneuerbare Energie Priorität haben muss. Gemeinsam mit Schweizer Zucker setzen sie deshalb dieses innovative Projekt für eine sinnvolle und nachhaltige Energiezukunft um.

Schema Holzheizwerk
Im Holzheizwerk wird das Holz in der ersten Stufe getrocknet und anschliessend zu Pflanzenkohle verarbeitet. Im Schwebebettreaktor wird die Kohle erneut erhitzt, und so wird Holzgas gewonnen, welches an Motoren weitergeleitet und in erneuerbaren Strom umgewandelt wird. Die entstehende Abwärme wird dem Fernwärmeleitungsnetz zugeführt, die Biokohle kommt als wertvoller Reststoff in der Landwirtschaft zum Einsatz. © Energie 360° AG

Kommentieren Sie den Artikel

Bitte Kommentar eintragen
Bitte geben Sie ihren Namen hier ein

Newsletter Anmeldung

Erhalten Sie die neusten Jobs und News.

Dank Ihrer Hilfe können wir spannende Artikel aufbereiten, den Veranstaltungskalender pflegen und die Job-Platform betreuen.

TOP-NEWS