Vom Froschlöffel bis zum Lungen-Enzian erblühen die Ufer des Bodensees mit einer aussergewöhnlichen Flora. Lernen Sie in diesem Artikel einige der Raritäten kennen – oder gehen Sie sich gleich selber auf Botanik-Exkursion an den See.
Geschrieben von Ursula Tinner vom Botanischen Zirkel St.Gallen. Der Originalartikel wurde in der botanischen Zeitschrift «info flora plus» (Ausgabe Nr. 7/2018) gemeinsam von Info Flora und anderen botanischen Organisationen veröffentlicht.
Der Bodensee ist nach dem Plattensee (Ungarn) und dem Genfersee der drittgrösste See Mitteleuropas. Bis heute wird weder sein Zu- noch sein Abfluss reguliert und der Pegelstand ist deshalb sehr stark abhängig von der Schneeschmelze: Bei Tiefwasser von Dezember bis März werden kiesig-schlickige Flächen frei, bei Hochwasser im Juni und Juli sind grosse Flächen überschwemmt – mindestens dort, wo die Ufer nicht verbaut sind. Auf diesen ufernahen, teils überschwemmten, teils trocken gefallenen Flächen sowie in den angrenzenden, ausgedehnten Riedflächen wachsen zahlreiche botanische Raritäten.
Eine Exkursion entlang der Riedwiesen
Ausflüge an den Bodensee lohnen sich während des ganzen Botanikjahrs, von April bis Oktober. Aus den verschiedenen spannenden Exkursionsgebieten rund um den Bodensee wird im Folgenden eine wunderschöne Wanderung detaillierter vorgestellt: Mündung des Alten Rheins, Rheinspitz bei Gaissau, Österreich. Mit ÖV ist das Exkursionsgebiet gut zu erreichen. Von Rheineck aus überquert man die Landesgrenze beim Zollamt Gaissau und geht dem Alten Rhein entlang bis zum Bodenseeufer. Autofahrer benützen die gleiche Strecke bis zum Parkplatz im Auenwald.
Falls Sie das Gebiet Ende Mai oder Anfang Juni besuchen, wird nicht nur der See blau sein, sondern auch die Riedwiesen – blau von der Sibirischen Schwertlilie (Iris sibirica). Von Ende Juli bis Ende August sind die Riedwiesen immer noch sehr farbig. Eine seltene Art sticht uns ins Auge: der Wiesen-Alant (Inula britannica), der sich durch seine zahlreichen gelben, schmalen Zungenblüten und seine abstehenden äusseren Hüllblätter als Vertreter der Gattung Inula zu erkennen gibt. Daneben warten viele weitere seltene Riedpflanzen wie der Kantige Lauch (Allium angulosum) oder der Lungen-Enzian (Gentiana pneumonanthe) darauf, entdeckt zu werden.
Heilpflanzen am Ufer
Auf Flächen mit niedriger Vegetation erspäht man mit etwas Glück den seltenen Wassernabel (Hydrocotyle vulgaris). Die Art ist an ihren runden Blättern, in deren Mitte der Blattstiel ansetzt, einfach zu erkennen. Sie gehört neu in die Familie der Araliaceae (früher Apiaceae). An ähnlichen Standorten wächst auch das Gnadenkraut (Gratiola officinalis). So unscheinbar die Pflanze wirkt, so giftig ist sie. Früher wurde sie als Heilpflanze beispielsweise bei Herzleiden verwendet (deshalb der Artname officinalis), sie hat aber auch eine abortive Wirkung. Heute wird sie nur noch in der Homöopathie eingesetzt.
An den flachen Seeufern wachsen direkt im oder nah am Wasser zwei seltene Alisma-Arten: der Lanzettblättrige Froschlöffel (Alisma lanceolatum) und der Grasblättrige Froschlöffel (Alisma gramineum). Auch untergetaucht wachsende Arten kann man problemlos und ohne nasse Füsse sehen, wenn man nach stürmischem Wetter die Uferpartien begeht. Der heftige Wellenschlag reisst die Wasserpflanzen aus und bringt sie für den neugierigen Botaniker ans Ufer, wo sie in grossen Pflanzen-Rollen liegen. Da gibt es eine ganze Reihe von Laichkraut-Arten (Potamogeton), drei verschiedene Nixenkraut-Arten (Najas) und eher selten auch den Teichfaden (Zannichellia palustris). Alle diese Wasserpflanzen bestechen nicht durch farbige Blüten, wohl aber durch ihre interessanten Anpassungen an das Leben im Wasser.
Wie Sie sehen, gibt es am Bodensee viel zu entdecken. Vielleicht inspiriert Sie dieser Artikel ja, dieses botanische Eldorado zu besuchen…