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Biodiversität: Riesiger Nachholbedarf in der Schweiz

Die Anstrengungen der Schweiz zum Schutz der Biodiversität reichen bei weitem nicht aus, um die Ziele der globalen Biodiversitätskonvention von Kunming-Montreal zu erreichen. Dies zeigt die aktuelle Studie des Ingenieur- und Beratungsunternehmen EBP Schweiz. Nachholbedarf besteht insbesondere bei biodiversitätsfreundlichen Rahmenbedingungen für Wirtschaft und Landwirtschaft sowie bei der Fläche und Qualität der Lebensräume.

Die Schweiz auf dem Prüfstand – die Ergebnisse sind erschreckend

In der Schweiz ist die Situation der Biodiversität noch dramatischer als weltweit: Ein Drittel der Arten und die Hälfte der Lebensräume sind bedroht. Das unabhängige Beratungs- und Ingenieurunternehmen EBP Schweiz hat nun anhand von Indikatoren untersucht, wo die Schweiz bei der Umsetzung der Ziele der Biodiversitätskonvention steht. Zudem hat EBP untersucht, was die Schweiz tun muss, um die Ziele zu erreichen. Die globalen Ziele wurden unter anderem mit den Ergebnissen der Zwischenevaluation des «Aktionsplans Biodiversität Schweiz» und den Nachhaltigkeitsindikatoren des Bundes verglichen.

Das erste globale Handlungsziel verlangt, dass in der Raumplanung sämtliche Flächen so ausgeschieden und bewirtschaftet werden, dass der Verlust von besonders wichtigen Gebieten für die Biodiversität bis 2030 auf nahezu Null zurückgeht. Die EBP-Studie spricht hier eine deutliche Sprache: Die Durchsetzung des Natur- und Heimatschutzgesetzes durch Bund und Kantone sei «unzureichend». Die Qualität und die Fläche der heutigen Schutzgebiete reiche bei weitem nicht aus, um den Biodiversitätsrückgang zu stoppen. Bei anderen planerischen Festlegungen würden verbindliche Vorgaben zur Erreichung der Biodiversitätsziele oft fehlen.

Beim zweiten Ziel, das vorsieht, bis 2030 knapp einen Drittel der beeinträchtigten Ökosysteme wiederherzustellen, geschehe in der Schweiz praktisch nichts. Dies im Gegensatz zur EU, die mit dem «Nature Restauration law» grossflächig Moore, Auen oder naturnahe Wälder wiederherstellen will.

Bereits viel mediale Aufmerksamkeit hat das GBF-Ziel 3 erhalten, wonach bis 2030 30% der Land- und Meeresflächen durch Schutzgebiete oder andere wirksame flächenbezogene Massnahmen gesichert werden sollen. Die EBP-Studie zeigt, dass in der Schweiz erst gut 10% der Fläche als gesicherte Schutzgebiete gelten können. Damit ist die Schweiz das Land mit dem geringsten Anteil an Schutzgebieten in Europa. Hier besteht ein grosser Nachholbedarf. Zudem ist die Planung und Umsetzung der ökologischen Infrastruktur voranzutreiben.

Der globale Zielrahmen enthält aber noch zahlreiche weitere, mindestens ebenso wichtige Ziele. Ziel 14 fordert die vollständige Integration der Biodiversität und ihrer vielfältigen Werte in politische Strategien, gesetzliche Regelungen und andere politische Prozesse sowie in die volkswirtschaftliche Gesamtrechnung.

Landwirtschaft: 162 Subventionen sind biodiversitätsschädigend

Die Ziele 9 bis 12 fordern ein nachhaltiges und biodiversitätsfreundliches Wirtschaften in allen Sektoren, auch in der Landwirtschaft. Gerade in der Landwirtschaft ist die Diskrepanz «zwischen Zielerreichungsgrad und Zielvorgabe besonders gross», heisst es in der Studie. Die dringend notwendige Korrektur der Agrarpolitik zugunsten der Biodiversität wird in der Schweiz auf die lange Bank geschoben – auf Kosten der natürlichen Vielfalt. Zu viel Dünger und Pestizide beeinträchtigten die Ökosystemleistungen und damit unsere Lebensgrundlagen.

Für die Zielerreichung sind auch die Finanzen entscheidend. Ziel 18 fordert den Abbau von biodiversitätsschädigenden Subventionen. 162 Subventionen sind in der Schweiz biodiversitätsschädigend, wie eine Studie der WSL und des Forums Biodiversität 2020 zeigt. Obwohl der Schutz der Biodiversität in diesem Bereich ohne finanzielle Kosten stark verbessert werden könnte, lässt der Bundesrat nur acht dieser problematischen Finanzflüsse untersuchen.

Grosse Finanzierungslücke der Schweiz für globale Ziele

Ziel 19 fordert weltweit zusätzliche Finanzmittel in der Höhe von 200 Milliarden US-Dollar pro Jahr, um die Biodiversitätskrise zu lösen. Die EBP-Studie zeigt eine Finanzierungslücke von nicht weniger als 370 Millionen Franken pro Jahr zwischen dem Beitrag, den die Schweiz zum globalen Finanzierungsziel leisten müsste, und dem, was sie bisher tatsächlich leistet. Zudem besteht auch in der Schweiz ein grosser Handlungsbedarf – zum Beispiel bei der Wiederherstellung von Biotopen von nationaler Bedeutung -, der entsprechende finanzielle Mittel erfordert.

Die EBP-Studie zeigt: Die Herausforderungen für die Schweiz im Bereich Biodiversität sind enorm. Will die Schweiz die Ziele der GBF erreichen, braucht es entschlossenes Handeln, aber letztlich auch ein gesellschaftliches Umdenken, das der Erhaltung und Förderung der Biodiversität in allen Bereichen einen höheren Stellenwert einräumt. Es braucht massiv mehr finanzielle Mittel, um flächendeckend eine bessere Qualität der Lebensräume zu erreichen, auf weiteren Flächen muss die Natur Vorrang haben.

Quellen:

1 Kommentar

  1. Guten Tag,
    Ich möchte eine kurze Richtigstellung anbringen: die erwähnten 162 Subventionen mit biodiversitätsschädigender Wirkung betreffen nicht ausschliesslich die Landwirtschaft sondern werden in den Bereichen Verkehr, Siedlung, Tourismus, Energie, Forstwirtschaft, Wasser (Hochwasser und Abwasser) und Landwirtschaft gewährt. Die Studie berücksichtigt sowohl On-Budget Subventionen (direkter Geldtransfer in Form von Abgeltungen, Beiträgen etc.), Off-Budget-Subventionen (v.a. Mindereinnahmen durch Steuer- und Abgabevergünstigungen) als auch externe Kosten, die die Produktion vergünstigen.
    Auch anzumerken ist, dass der erste Reformvorschlag, der von der Verwaltung für eine der 8 untesuchten Subventionen ausgearbeitet wirden ist, vom Bundesrat bereits abgelehnt worden ist.
    Zu den weiteren 154 Subventionen wird Ende 2024 ein Bericht erwartet.

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