StartHintergrundWissenObstbaumschnitt: Den Hut durchwerfen

Obstbaumschnitt: Den Hut durchwerfen

Im Winter und Spätwinter ist es Zeit für den Obstbaumschnitt. Die Ursprünge des Obstbaus reichen in den Alpen in die Römerzeit zurück. Die an Hochstammbäumen bis heute weit verbreitete Schnitttechnik geht auf Hans Spreng zurück, der sie in den 1920er-Jahren entwickelt hatte.

Dieser Tipp wird präsentiert vom Fundus Agri-Cultura.

In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts hatte die Schweiz die höchste Pro-Kopf-Produktion an Obst in Europa. Das war eine direkte Folge der Reblaus-Epidemie und der Billig-Getreide-Importe aus Übersee. Die aufgegebenen Ackerflächen wurden doppelt für Futterbau, primär Gras, und Obstbau, damals noch mehrheitlich Birnbäume, genutzt. Ähnlich verlief die Entwicklung in vielen Regionen des Alpenvorlandes und der klimatisch geeigneten Alpentäler. Das nötige Fachwissen konnten die Landwirte schon seit der Jahrhundermitte an Obstbaukursen erwerben. Damals gab es ausschliesslich Hochstammobstbäume, die sowohl Most als auch Früchte lieferten. die heute gängigen Niederstammkulturen für Speiseobst wurden erst in den 1960er-Jahren, zuerst im Südtirol, eingeführt. Sie verdrängen die Hochstammkulturen vor allem aus dem Flachland, im alpinen Hügelland konnten sie sich vielerorts noch halten.

Nicht zu viele Äste

Die Pflege dieser Obstbäume, deren Urspung bis in die vorchristliche Zeit zurückreicht, ist aufwendig und erfordert einiges Fachwissen. Die alten Römer führten den Obstbau auf der Alpennordseite ein, und die Grundregeln für den Baumschnitt, wie sie Marcus Porcius Cato der Ältere um 150 vor Christus beschrieb, gelten im Prinzip unverändert bis heute: «Was also den Baumschnitt anbelangt, so achte man vorzüglich darauf, dass nicht zu viele Äste an den Bäumen gelassen werden, dass man den Schnitt an der rechten Stelle unternehme, und dass die Äste und Zweige, die man an ihm gelassen hat, auseinander gezogen werden und ihnen dadurch Raum genug zum freiern Durchgang der Luft und zum Fruchttragen gelassen werde.» Hans Spreng, langjähriger Leiter der Schweizerischen Zentrale für Obstbau in Oeschberg, schrieb 1943: «So wie jedes Pflanzenwerk, Kartoffel- und Getreidefeld gepflegt werden muss, muss auch jeder Obstbaum durch Schnitt gepflegt werden». Mit seinem «Oeschbergschnitt», einer Weiterentwickung des «Alt-Württemberger Schnittes», strebte Spreng eine gute Fruchtbarkeit bis ins hohe Alter der Bäume an. Er beeinflusste damit nicht nur die Qualität des Tafelobstes, sondern auch das Landschaftsbild in Schweizer Obstbauregionen. Das wichtigste Ziel war die Erziehung einer stabilen Hochstammkrone. Prägend war dabei der Verzicht auf eine zweite Astserie und die Erziehung einer starken Mitteltriebes sowie die Formung von drei bis vier Leitästen und kräftigen, flach stehenden, untergeordneten Fruchtästen.

Ökologisch wertvoll

Heute gehören Hochstammobstbäume zu ökologisch wertvollen Elementen in einer traditionellen Landschaft. Fehlt ein sachgemässer Schnitt besonders in jüngeren Jahren, lebt der Obstbaum kürzer, bringt weniger Blüten und Frucht und ist damit ökologisch weniger wertvoll für Insekten und Vögel. Ein richtiger Schnitt sorgt für eine gleichmässige Besonnung der Krone, was neben einem guten Ertrag auch Vorbeugung gegen Krankheiten und Fäulnis ist. Jeder Winkel der Baumkrone sollte Licht und Luft (Wind) erhalten, um Fäulnis zu vermeiden und eine gleichmässige Fruchtreife zu erzielen. Zu dichte Partien, kranke Äste oder einseitiger Wuchs werden durch den Schnitt korrigiert. Im Idealfall, so eine alte Regel, lässt sich ein Hut hindurchwerfen, ohne dass er hängenbleibt.

Verjüngungsschnitt

Obstbäume, die über einen langen Zeitraum (manchmal Jahrzehnte) nicht geschnitten wurden, können durch Schnitt verjüngt werden. Die stark zugewachsenen Kronen sollten gelichtet werden. Auch Obstbäume mit regelmässigem Schnitt können ab einem gewissen Alter vergreisen: Ihr Jahrestrieb bleibt deutlich unter 20cm. Generell ist der Verjüngungsschnitt ein starker Eingriff und es muss vorsichtig umgegangen werden. Es kann auch notwendig werden, den Verjüngungsschnitt auf zwei Jahre zu verteilen. Der Baum reagiert auf den Schnitt mit verstärktem Wachstum. Daher ist eine Nachpflege (Schnitt) auch in den Folgejahren noch notwendig. Absterbende Obstbäume sollten aber nicht gerodet, sondern ihre Krone gekappt werden. Damit kann der Baum noch jahrelang eine wichtige ökologische Funktion besonders für Insekten in der Obstwiese erfüllen.

Mitmachen erwünscht
Mehr zu alten Apfel- und Obstsorten, Gemüse, Tierrassen, Kulturtechniken und Brauchtum auf www.fundus-agricultura.wiki der Online-Datenbank für das traditionelle Wissen im Alpenraum. Dieses oft nur lokal verbreitete und mündlich überlieferte Kulturgut gerät mehr und mehr in Vergessenheit. Fachkundige Laien sind herzlich zum Mitmachen eingeladen. Anmeldung und Anleitung auf www.fundus-agricultura.wiki.

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