Die zeitliche Differenz zwischen dem Blatt- und Nadelaustrieb in Berg- und Tallagen wird immer kürzer. Die Beobachtungen deuten auf eine allmähliche Verschiebung des Frühlingsbeginns hin, die zu Problemen im Ökosystem führen könnte.
In den Schweizer Alpen hat sich die zeitliche Verschiebung beim Blattaustrieb zwischen den Hoch- und Tieflagen seit 50 Jahren stark verringert. Das ergab eine Studie der WSL und der Universität Neuenburg in Zusammenarbeit mit der EPFL und den Universitäten von Antwerpen und Peking, die in der Zeitschrift PNAS veröffentlicht wurde. Unter der Leitung des Biologen Yann Vitasse haben drei Forscher die Zeitpunkte der Blatt- oder Nadelbildung der vier Baumarten Buche, Fichte, Lärche und Haselnuss analysiert und ausgewertet.
Beobachtungen repräsentieren Frühlingsbeginn
«Diese Baumarten gehören zu den am weitesten verbreiteten in der Schweiz, insbesondere im Gebirgsraum. Sie liefern ein repräsentatives Bild des allmählichen Frühlingsbeginns entlang des Höhengradienten», erläutert Yann Vitasse. «Die von den Freiwilligen in allen Teilen des Landes gemachten Beobachtungen ermöglichen den Forschern, Veränderungen zu erkennen, die sich im grossen Massstab vollziehen. Mit diesen Daten lassen sich die Auswirkungen der Klimaerwärmung besser vorhersehen.»Die Ergebnisse dieser Studie zeigen deutlich, dass die Blattbildung generell immer früher beginnt. Das verfrühte Austreiben der Blätter hat sich in grossen Höhen sogar schneller vollzogen als in tieferen, was die Länge der zeitlichen Verschiebung zwischen höheren und tieferen Lagen im Gebirge verringert hat. Anfang der 1960er Jahre verzögerte sich die Blattbildung der Bäume um etwa fünf Wochen pro 1000 Meter Höhenunterschied, heute beträgt dieser Unterschied nicht mehr als drei Wochen. Die Forscher stellten fest, dass sich der zeitliche Abstand vor allem nach einem warmen Winter verringert.
Das Phänomen lässt sich zum Teil damit erklären, wie lange die Bäume am Ende des Winters mittleren Temperaturen von etwa 0 bis 8°C ausgesetzt sind. Diese frostfreie Kältephase ist erforderlich, damit die Knospen aus ihrer Winterruhe erwachen. Sie können dann auf die warmen Frühlingstemperaturen reagieren, damit sich die Blätter normal entwickeln können.
Mit der Klimaerwärmung werden in höheren Lagen mehr Bäume als bisher diesem frostfreien Temperaturbereich ausgesetzt sein. Gleichzeitig werden derartig kalte Zeitspannen in tieferen Lagen tendenziell kürzer werden. Die Winterruhe der Knospen könnte somit in grosser Höhe immer früher beendet sein, in geringer Höhe immer später, sodass sich die höhenbedingte zeitliche Verschiebung der Blattbildung verringert.
Folgen für Interaktionen zwischen Tier- und Pflanzenwelt
Hinzu kommt ein weiterer Effekt aufgrund des verfrühten Frühlingserwachens, nämlich die Tagesdauer. In niedrigen Höhenlagen sind die Blätter, die zu früh austreiben, einer kürzeren Tagesdauer ausgesetzt, was zu einer relativ langsamen Entwicklung der Knospen führen kann. «Die bevorstehende Klimaerwärmung könnte das Eintreten des Frühlings in den Bergregionen weiter vereinheitlichen», so das Fazit von Yann Vitasse. «Dies hätte Konsequenzen für die Struktur und die Funktionsweise von Waldökosystemen, insbesondere im Hinblick auf die Interaktionen zwischen Pflanzen und Tieren, die sich verändern können.» Die tatsächlichen Auswirkungen dieser Veränderungen sind heute noch weitgehend unbekannt.