StartNewsGesellschaft«Weidepflegemassnahmen» sorgen für rote Köpfe

«Weidepflegemassnahmen» sorgen für rote Köpfe

Auch Landwirtschaftsflächen in höheren Lagen werden vermehrt grossflächig mit modernen Maschinen bewirtschaftet. Weideverbesserungsmassnahmen beinhalten das Mulchen und Einebnen des Geländes. Die hinterlassenen Landschaften sorgen bei Naturliebhabern für Unverständnis und rote Köpfe.

Mondlandschaft oder Acker? Die Bilder aus der Nähe von Arosa erinnern wenig an die ursprüngliche Zwergstrauch-Vegetation, die dort bis vor kurzem wuchs. Entsprechend gross war die Empörung unter Naturschützern. Doch was geschah hier wirklich? Und wieso wurde die natürliche Vegetation zerstört? Die Stadt Chur, welche die Nutzniessung des Gebietes innehat, schreibt dazu: «Es handelt sich um Weidepflegemassnahmen».

Birkhuhn-Lebensraum gefährdet?

In dem betroffenen Gebiet auf der Alp Prätsch in der Nähe von Arosa wurde die ursprüngliche Vegetation gemulcht und Kleinstrukturen im Boden geebnet. Damit wurde ein potentieller Lebensraum für Birkhühner und andere Vogelarten wie Feldlerche oder Braunkehlchen beeinträchtigt. Ganz in der Nähe liegt ein Moorgebiet. Gemäss Beobachtern erfolgten die Arbeiten bis knapp an die Hochmoorgrenze.

Tafel weist auf Moorschutz hin.
Wird der Moorschutz bei dieser Weidepflege einfach ignoriert? © Peter Knaus

Kleinstrukturen bestimmen, ob spezialisierte Arten überleben können

Das Beispiel ist kein Einzelfall: In letzter Zeit häufen sich laut Pro Natura Graubünden die Fälle von solchen Weidepflegemassnahmen, womit eine grossflächige Bearbeitung der ursprünglichen Vegetation durch Mulchen und teilweises Wegfräsen der Kleinstrukturen und Unebenheiten einhergeht: «Jeder Lesesteinhaufen, jeder Busch, jede Pfütze bietet ein eigenes Mikroklima, einen eigenen Lebensraum, dessen Vorhandensein über die Artenvielfalt in einem Gebiet entscheidet», so Jacqueline von Arx, Geschäftsführerin von Pro Natura Graubünden. Es gäbe viele spezialisierte Arten, die auf ganz bestimmte Lebensräume angewiesen sind. Ob dann eine bestimmte Struktur im Gelände vorhanden ist, entscheide, ob diese Art im Gebiet überhaupt vertreten sein kann. Weiter erläutert von Arx: «Mit dieser einen Art sind aber viele andere Arten ökologisch vernetzt. Wenn beispielsweise Mäuse in einem Gebiet fehlen, wird auch ein Hermelin dort nicht leben können. Darüber hinaus bieten solche Strukturen wichtige Korridore für die Vernetzung von verschiedenen Lebensräumen, z.B. zwei Talseiten oder von Weiher zu Weiher.»

Weidepflegemassnahmen zerstören Kleinstrukturen im Gelände.
Kleinstrukturen im Gelände haben starken Einfluss auf die Artenvielfalt im Gebiet. © Peter Knaus

Nicht nur die Natur profitiert von einer «wilden» Landschaft

«Strukturen sind aber auch für Landwirte wichtig, weil dort viele Nützlinge leben (von Insekten, bis zu Füchsen und Co.), welche einen entscheidenden Einfluss auf den Ertrag der Landwirte haben.» ergänzt von Arx. Darüber hinaus würden die Kleinstrukturen aber auch klimatisch wichtige Funktionen einnehmen. Beispielsweise eine Hecke, welche Äcker und Weideböden vor dem Wind schützt und sie so vor schnellem Austrocknen bewahrt. Und über alle diese biologischen Aspekte hinaus, empfindet der Mensch strukturreiche Kulturlandschaften oft schöner als aufgeräumte Landschaften. Kleinstrukturiertes Gelände kann dem Menschen demnach eine bessere Erholungsfunktion bieten.

Weidepflegemassnahmen fördern die Biodiversität

Urs Crotta, Dienststellenleiter der zuständigen Stelle des Grün- und Werkbetriebs bei der Stadt Chur hat gegenüber naturschutz.ch Stellung genommen. Crotta erläutert, dass es sich bei der betroffenen Fläche um bestehendes, genutztes und offizielles Weidegebiet der Alp Prätsch handelt. Es sei keine reine Zwergstrauchheide, sonder wies gemäss Fachgutachten nur einen geringen Verbuschungsanteil auf. Weiter erklärt er, dass das Entfernen von einwachsenden Bäumen und auch das teilweise Mulchen zum Vorgang der Weidepflege gehören: «Ohne diese Weidepflegearbeiten kommt es langfristig zur nicht erwünschten Verbuschung und Verwaldung und damit zu einer klaren Verarmung der Biodiversität». Denn gerade die Vielfältigkeit der Flora in Form von Weiden, Zwergsträuchern, Wald und Moorlandschaften habe einen positiven Einfluss auf die Artenvielfalt. Die Mulcharbeiten seien mit einem Traktor und einem angehängten Schlegelmulcher erfolgt, der nur mäht und das Gemähte gleichzeitig zerkleinert, ohne in den Boden einzugreifen. Auf der Fläche bleibt das zerkleinerte Mähgut zurück, welches je nach Situation liegen gelassen oder mit einer Egge zusammengenommen werde. Auch das Moor war, laut Crotta, von der Weidepflege nicht betroffen: «Ein Moor kann mit dem Traktor gar nicht befahren werden». Weiter erläutert er, dass solche Mulcharbeiten schon in den Jahren zuvor in anderen Gebieten ausgeführt wurden und das Ergebnis durchaus positiv ausgefallen sei. Für die Arbeiten lagen alle notwendigen Bewilligungen vor und sie erfolgten im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften.

Neue Studien werden gefordert

Die angeregten Diskussionen in den Facebook-Kommentarspalten weisen auf die zunehmende Aktualität hin: Durch die Intensivierung der Landwirtschaft auch in höheren Lagen werden zunehmend moderne und grössere Maschinen eingesetzt. Folge dieser Mechanisierung sind aber Bilder, welche bei Naturliebhabern Entsetzen und Unverständnis auslösen. Nicht zuletzt zeigt sich auch, dass fachliche Grundlagen fehlen: Wieviel Schaden wird angerichtet? Oder können die Massnahmen auch die Biodiversität erhöhen? Aus Naturschutzkreisen werden jetzt Stimmen laut, welche wissenschaftliche Untersuchungen fordern.

10 Kommentare

  1. Rote Köpfe ist nur das Vorwort. Solche Massnahmen in höheren Lagen sind eine Frechheit der Natur gegenüber und bringen nichts. Dass die Gesetzgebung dies nicht unterbindet, ist unverständlich. Dass sogar noch Subventionen an Alp-Korporationen fliessen, ein Skandal.
    Die Menschheit verblödet zusehends…

  2. Leider hat es die Natur mit sogenannten «Pflegemassnahmen » immer schwerer ! Nein , dies ist eine Katastrophe, was da gemacht wurde. Diese Mulchgeräte sind für bodenbrütende Insekten, und selbstverständlich für viele Pflanzen der sichere Tod. Solches Tun muss Bestraft werden. Aber eben, nur großflächiges – mit schweren Maschinen – wird unterstützt. Ich wehre mich in unserer Gemeinde schon lange gegen die unnütze Mulcherei,,,

  3. Leider nur ein schlechtes Beispiel unter vielen anderen. Allein 2018 im Bioland Graubünden beobachtet: Mulchen von Bergwiesen und Einsaat von Kunstwiesen, neue Entwässerungsgräben in und am Rande von Flachmooren, Entfernung von Steinblöcken in Heuwiesen und in Weiden mit dem Bagger, neue, unsinnige Meliorations-Betonstrassen quer durch strukurreiche Kulturlandschaften: Der Hunger nach grossflächigen, planierten, monotonen Wiesenflächen im Berggebiet ist immer noch sehr gross! All dies passiert wohl legal und im Namen der Biodiversitätsförderung, was für ein Hohn.

  4. Ich wohne auf 1400m im Bündnerland. Auch bei uns werden seit etwa 5 Jahren jeden Herbst immer mehr artenreiche Blumenwiesen umgepflügt und mit sogenanntem Mastgras besät. Die Wiesen haben keine durchgehenden Grasnarben mehr, praktisch keine Insekten hat’s mehr drin. Diese Wiesen werden dann auf dieser Höhe (!) drei mal gemäht. Es sind alles Bio-Bauern, die so gegen die Artenvielfalt arbeiten!!! Der Viehbestand hat sich in den letzten Jahren etwa verdreifacht, das Landwirtschaftsland ist aber eher weniger geworden. So werden die Wiesen regelrecht mit Gülle und Mist zubetoniert. Unbegreiflich!!!

    • Absolut einig!
      Unglaublich, aber sehr sichtbar, wie die Alpen überbevölkert werden durch Weiderinder. Blumenreiche Magerwiesen werden so stetig zu Fettwiesen umfunktioniert. Biodiversität ?

  5. «Für die Arbeiten lagen alle notwendigen Bewilligungen vor und sie erfolgten im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften.»

    Die immer wiederkehrende Leier aus den Verwaltungen aller Stufen mit welcher alles begründet und legitimiert wird.
    Und ausserdem, die Bündner Herrschaft ist nicht gerade dafür bekannt, dass sie in Sachen Tier- und Naturschutz vorbildlich vorgeht. Im Graubünden geben Jäger und Bauern den Ton an!

  6. Das es der betroffenen Fläche im biologischen, ökologischen Sinn nur schadet ist nicht zu bestreiten! Was ist mit den Flächen im Tal, Mittelland etc.? Da sagt niemand etwas weil es ja schon ganz normal ist und man diese Flächen einfach nicht kennt? Wäre diese Fläche nicht an so prominenter Lage würde sich niemand darum scheren. Mann sollte sich um die Sachen um einen herum kümmern und vorher vor der eigenen Haustüre wischen. Jeder hat zu Hause auch schöne Wiesen, Hecken und viel Potential der Natur etwas zurückzugeben.

    • Vor der eigenen Türe zu wischen mag ja sinnvoll sein. Die Biodiversität in den Alpen ist jedoch viel höher als im Mittelland und deshalb ist es um so wichtiger sie zu erhalten.

  7. Ich kann mich dem Beitrag nur Anschliessen.
    Ich hätte da ein ähnliches Bild vom Unterengadin. Nach dem Motto: «ackern mit dem Bagger». Deutlich sind darauf die Raupen- und Schaufelspuren zu erkennen. Eine solch rüder Ackerbau kann wohl kaum als bodenschonend bezeichnet werden. Ich musste auch die gewohnte Blütenpracht im Juni im Unterengadin vermissen. Es blieben lediglich der Löwenzahn auf den Ebenen und der Bauer mit der Rückenspritze, der die Blacken auf der Fettwiese bekämpfte.
    Fast zur gleichen Zeit traf die Nachricht ein, dass fast alle Bauernbetriebe den ökologischen Leistungsnachweis erfüllen. Das stimmt mich doch sehr nachdenklich.

  8. Ich kann Herrn Martin Hollenstein nur beipflichten, daß unter der verblödenden Menschheit eine Gruppe ganz besonders hervorsticht, nämlich die der Bauern. Auch die Gruppe der Bauern, die sich mit dem Etikett «Biobauer» schmückt, ist oft nicht viel besser, sondern oft nur geschickter im Vertuschen ihres Handels gegen die Natur oder soll ich sagen gegen die gottgebene Schöpfung. Hier in Schleswig-Holstein (Deutschland) ist es nicht anders.
    Günter Engels, Niels-Gade-Straße 10, D-24768 Rendsburg

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