Hartnäckigkeit führte zum Erfolg: Dank politischer Einflussnahme von Umweltorganisationen hat die Stadt Wädenswil nun die finanziellen Mittel für eine Fachperson «Biodiversität und Naturschutz». Im Interview geben zwei Mitinitiatoren Einblick in den politischen Prozess, erzählen von den Schwierigkeiten und geben Rat für NachahmerInnen.
Ein Interview mit Marco Bertschinger und Kaspar Zirfass von «Naturschutz Wädenswil», geführt von Evelyne Vonwyl
Sie sind seit der ersten Stunde dabei: Kaspar Zirfass und Marco Bertschinger sind Mitinitiatoren des Antrags für die Schaffung einer Stelle zu «Biodiversität und Naturschutz» in der Stadtverwaltung Wädenswil. Als Vorstandsmitglieder des Naturschutzvereins «Naturschutz Wädenswil» verfolgen die beiden schon lange die Geschehnisse rund um den Schutz von Lebensräumen in Wädenswil und kommen zum Schluss, dass die Stadt mehr Verantwortung übernehmen muss. «Wieso?», will naturschutz.ch wissen und trifft die beiden zu einem Gespräch.
Herr Zirfass und Herr Bertschinger, Sie sind Mitinitiatoren des Antrags für die Schaffung einer Stelle «Biodiversität und Naturschutz» in der Stadtverwaltung Wädenswil. Wieso ist eine solche Stelle nötig?
Zirfass: Die Biodiversität ist weltweit stark unter Druck, dazu gibt es etliche Studien. Auch in der Schweiz nimmt die Artenvielfalt ab. In Wädenswil kommt viel Engagement aus den Umweltvereinen, um die Natur und Biodiversität zu schützen. Doch es mangelt oft an einer weitreichenden Umsetzung, weil nicht genügend finanzielle und personelle Ressourcen vorhanden sind. Die Gemeinden haben hierzulande eine gesetzliche Verpflichtung und eine grosse Mitverantwortung, um den Trend des Artenverlusts zu bremsen oder sogar umzukehren. Ein erster wichtiger Schritt wäre eine Zuständigkeit in der Gemeinde.
Bertschinger: Zwei Dinge möchte ich noch anfügen: Seit 2012 unterhält die Stadt Wädenswil ein Landschaftsentwicklungskonzept, kurz LEK. Die darin enthaltenen Massnahmen zum Schutz der Landschaft, Biodiversität und Erholungsfunktion werden durch eine Arbeitsgruppe umgesetzt, in der «Naturschutz Wädenswil» Einsitz hat. Wir haben festgestellt, dass das LEK eine gute Grundlage bietet, aber dass wir in der Arbeitsgruppe nur punktuell Dinge umsetzten können. Es mangelt auch hier an Ressourcen. Der zweite Punkt, den ich erwähnen möchte, ist das Legislaturziel, das 2018 vom Stadtrat festgelegt wurde. Es besagt, dass bis im Jahr 2022 «die Biodiversität in der offenen Landschaft und im Siedlungsraum zugenommen hat». Das soll kein Lippenbekenntnis bleiben, sondern es braucht konkrete Massnahmen zur Umsetzung.
Was sind die Zuständigkeiten der Fachperson, die diese Stelle besetzen wird?
Zirfass: In der Budgetsitzung des Gemeinderats wurde eine 100 % Stelle bewilligt – und das ist auch wichtig so, denn die Person hat eine grosse Verantwortung und ein breites Aufgabenspektrum zu erfüllen. Darunter fallen die Umsetzung des Natur- und Heimatschutzgesetzes auf Gemeindeebene, die Aufsicht über die kommunalen Schutzobjekte, die Baugesuchsprüfung und die Beratung von Bauherrschaften und PlanerInnen. Darüber hinaus soll der Posten als Schnittstelle zwischen den verschiedenen Verwaltungseinheiten dienen – alle Fäden sollen hier zusammenlaufen und Synergien genutzt werden.
Was ist denn der Vorteil einer gesicherten Stelle in der Stadtverwaltung gegenüber der Arbeit, die von privaten Organisationen übernommen wird?
Bertschinger: Die Stadt hat eine Verantwortung im Naturschutz. Die Delegation dieser Arbeiten an Umweltvereine, die aus freiwilligen Mitgliedern und Mitgliederinnen bestehen, ist nicht in Ordnung.
Zirfass: Es ist ein gesetzlicher Auftrag der Stadt, Arbeit im Natur- und Biodiversitätsschutz zu leisten. Sie muss diese Aufgaben wahrnehmen – auch ich bin der Meinung, dass nicht alles unentgeltlich von privaten Organisationen erfüllt werden soll und kann. Im Vergleich zu einer internen Person kann man als Externer nicht den gleichen Einfluss auf die Prozesse in der Verwaltung nehmen.
Wie organisieren sich andere Gemeinden in der Schweiz, um Aufgaben im Naturschutz zu behandeln?
Zirfass: Da gibt es keinen generellen Standard und ich sehe mich auch nicht als Experten dafür. Wir haben einige Recherche angestellt, um Gemeinden zu finden, die auch eine «Naturschutzstelle» in der Verwaltung haben. Beispielsweise setzt Uster eine beträchtliche Summe für den Natur- und Landschaftsschutz ein. Bei anderen Gemeinden gibt es eine Kommission, die sich diesen Themen annimmt, oder speziell dafür beauftragte Personen. Häufig ist das Themenfeld Naturschutz aber einer bestehenden Verwaltungsstelle angegliedert, zum Beispiel in der Planungsabteilung oder in der Liegenschaftenverwaltung und wird dort sehr konservativ behandelt.
Bertschinger: Jede Gemeinde organisiert sich individuell. Auch ich bin kein Experte, aber ich habe den Eindruck, dass der Naturschutz oft «nebenbei» behandelt wird.
Wenden wir uns etwas dem Prozess zu: Ziemlich genau vor einem Jahr, Anfangs 2019, hat euer Verein den Entscheid gefasst, einen politischen Weg einzuschlagen, um den Naturschutz in Wädenswil voranzubringen. Was war der die Ausgangslage für einen solchen Entschluss?
Zirfass: Den Verein «Naturschutz Wädenswil» gibt es schon seit 70 Jahren. Zusammen mit der Organisation «Transition Wädenswil», die vor drei Jahren gegründet wurde, arbeiten wir intensiv für den Natur- und Landschaftsschutz. Es gibt eine an sich gute Zusammenarbeit mit der Stadt, aber die ist nicht weitreichend genug. Die Stadt unterstützt uns immer wieder für die Umsetzung von Projekten, aber die Wirkung ist dann nur punktuell. So wirkt sich unsere Arbeit nicht auf andere Situationen und Projekte aus, es gibt keine Konstanz und keinen Multiplikator-Effekt. Wir wollten das ändern.
Das klingt etwas abstrakt für mich. Können Sie mir ein Beispiel nennen?
Zirfass: Es gibt diese Geschichte mit den Grünrabatten in der Stadt. Daran können sich bestimmt viele Bewohnerinnen und Bewohner von Wädenswil noch erinnern. 2017 wurden praktisch über Nacht begrünte Rabatten entlang der Kantonsstrasse asphaltiert. Als Begründung wurden Sparmassnahmen vorgebracht. Diese Aktion kam in der breiten Bevölkerung sehr schlecht an. Als dann 2018 die Bushaltestelle Forschungsanstalt saniert wurde, übernahm unser Verein zusammen mit «Transition Wädenswil» und in Absprache mit der Stadt, die Planung und Umsetzung der Gestaltung der zugehörigen Rabatten. Wir wollten zeigen, wie man diese ökologisch hochwertig und visuell ansprechend gestalten kann, ohne dass die Unterhaltskosten steigen. Die Aktion war ein grosser Erfolg. Wenige Monate später wurde die benachbarte Bushaltestelle bei der ZHAW saniert und die Stadt legte in Eigenregie eine Steinwüste mit Fliessabdichtung an.
Bertschinger: Trotz unserer guten Vorlage, hatte also unsere Aktion keine nachhaltige Wirkung. In diesem Fall haben wir so richtig zu spüren bekommen, dass unsere Arbeit zwar geschätzt wird, aber nur punktuell etwas bewirkt und nicht nach aussen strahlt.
Das Ereignis war also der Auslöser für den ganzen Prozess?
Zirfass: Ja, das war mitunter ein Auslöser – nebst einigen anderen Beispielen. So haben wir im Verlauf des nächsten Jahres beschlossen, das Grundproblem anzugehen und nicht nur punktuell zu wirken. Und wir haben uns überlegt, wie eine grössere Hebelwirkung erzielt werden kann.
Bertschinger: Ende 2018 haben wir mit «Transition Wädenswil» und Exponentinnen der Grünen Partei Verbündete gefunden und haben beschlossen, den Kontakt zu den Politikerinnen und Politikern zu stärken. Damals war aber noch nicht wirklich klar, dass am Ende des Prozesses eine Stelle in der Stadtverwaltung geschaffen werden soll. Dann, im Januar 2019 haben wir entschieden, einen PolitikerInnen-Apéro zu organisieren und dadurch Umweltvereine und PolitikerInnen zusammenzubringen. Wir wollten unsere Kernbotschaften vermitteln und auf die dringende Stärkung der Ressourcen im Natur- und Biodiversitätsschutz hinweisen. Wir haben auch gemerkt, dass vielen Leuten, die sich nicht täglich mit dem Thema befassen, wenig über die Biodiversität wissen. Also wollten wir auch aufklären.
Und, sind die Politikerinnen und Politiker von Wädenswil zum Apéro erschienen?
Zirfass: Ja, sogar einige. Wir haben den ganzen Stadt- und Gemeinderat eingeladen, davon ist etwa ein Drittel gekommen. Praktisch alle Parteien aus Wädenswil waren vertreten. Es war ein lauer Abend Mitte Juni und wir konnten den Apéro in der Gartenanlage des städtischen Alterszentrum Frohmatt durchführen – es war ein sehr gelungener Anlass.
Bertschinger: Wir haben diese Umgebung bewusst gewählt, da es sich um eine städtische Anlage mit hohem ökologischem Wert handelt. Der zuständige Gärtner ist sehr naturaffin und das Areal ist ökologisch vorbildlich gestaltet. Mit der Wahl dieses Veranstaltungsortes wollten wir ein positives Beispiel einer städtischen, naturnahen Umgebung vorführen und vermitteln, dass eine solche Gestaltung einen Mehrwert für die gesamte Bevölkerung bringen würde – nicht exklusiv für die Bewohnenden des Alterszentrums.
Zirfass: An diesem Anlass ist es uns gelungen, Kontakte zu den GemeinderätInnen zu knüpfen und unser Hauptargument vorzubringen: die Aufstockung der Ressourcen in der Stadtverwaltung für den Natur- und Biodiversitätsschutz.
Und das ist Ihnen gelungen! Denn schon ein halbes Jahr später, am 9. Dezember 2019 wurde in der Budgetsitzung des Gemeinderats der Antrag zur Schaffung einer Stelle «Biodiversität und Naturschutz» in der Stadtverwaltung Wädenswil angenommen.
Bertschinger: Genau. Aber wir wussten bis zu diesem Zeitpunkt nicht, ob es klappen würde. Ich sagte immer, unsere Chancen stehen 50:50. Tatsächlich wurde der Antrag dann mit nur einer Stimme Unterschied angenommen. Das war knapp…
Zirfass: … und wir waren hocherfreut! Doch obwohl der Gemeinderat das Budget bewilligt hat, wird nun der Stadtrat entscheiden, in welcher Form der Antrag tatsächlich umgesetzt und ausgestaltet wird.
Haben Sie Bedenken, dass der Stadtrat das Ganze noch verzerren könnte?
Zirfass: Grundsätzlich bin ich zuversichtlich. Ich habe das Gefühl, dass auch der Stadtrat die Dringlichkeit des Problems erkannt hat und sich der Eigenverantwortung der Gemeinde bewusst ist. Natürlich könnte der Stadtrat die Stelle zu einem reduzierten Arbeitspensum ausschreiben, um Kosten zu sparen. Wie ich bereits zuvor erwähnt habe, gibt es aber mehr als genug Arbeit für eine 100 % Stelle, um den Natur- und Biodiversitätsschutz in Wädenswil ausreichend verankern zu können.
Bertschinger: Aus meiner Sicht wäre eine Verzögerung des weiteren Prozesses ärgerlich. Die Stelle sollte sobald wie möglich besetzt werden. Es ist aber klar, dass der Auswahlprozess Zeit braucht.
Vielen Dank für die Schilderung der Vorgänge. Ich möchte abschliessenden noch etwas von Ihrem Erfahrungswert an unsere Leserschaft weitergeben – vielleicht findet sich darunter auch eine Person, die in ihrer Gemeinde den Naturschutz auf politischer Ebene voranbringen möchte. Was ist Ihr Rat für Gleichgesinnte?
Bertschinger: Rückblickend war der Mehrheitsentscheid am 9. Dezember in der Budgetsitzung doch sehr knapp – das hätte auch schiefgehen können. Es wäre geschickt gewesen, hätten wir im Vorfeld eine breitere Aufstellung der Parteien angestrebt. Nach dem Apéro Mitte Juni bestand die Arbeitsgruppe aus «Transition Wädenswil», «Naturschutz Wädenswil» und einigen interessierten PolitikerInnen. Das war eine eher zufällige Zusammensetzung. Zu diesem Zeitpunkt hätten wir nochmals alle Politikerinnen und Politiker zum Mitwirken einladen sollen. Mein Rat ist deshalb: Ein solch grossangelegtes Projekt muss überparteilich lanciert werden und braucht ein frühes Einbinden aller Interessierten.
Zirfass: Es ist auf jeden Fall sinnvoll, vorgängig abzuklären, ob eine Mehrheit im Rat für das Anliegen gewonnen werden kann. Da doch sehr viel freiwilliges Engagement hinter einem solchen Projekt steckt, will man vorher zumindest ein Gespür dafür bekommen, wie die Chancen auf einen Mehrheitsentscheid stehen.
Gäbe es denn auch andere Vorgehensweisen?
Zirfass: Ja, nicht für jede Gemeinde wird die Schaffung einer Stelle in der Verwaltung der richtige Weg sein, um den Biodiversitäts- und Naturschutz zu verankern. Für uns war es die passende Lösung, aber es gibt auch andere politische Instrumente wie beispielsweise eine Petition oder eine Interpellation. Zuerst aber braucht es in jedem Fall eine Situationsanalyse: «Wieso scheitert der Naturschutz in unserer Gemeinde?» «Wo sind die Defizite?» – das sind zum Beispiel Fragen, die man sich stellen sollte. Das hilft der Orientierung und der Ausarbeitung der passenden Lösungsstrategie.
Und dann?
Zirfass: Dann ist der Aufbau eines guten Netzwerks und das Pflegen der Kontakte zur Verwaltung und zu den PolitikerInnen wichtig. Die Bevölkerung sollte ebenfalls über laufende Geschehnisse im Bereich Naturschutz informiert bleiben – dabei ist auch das Verbreiten von positiven Beispielen wichtig. Was es aber für jede Form von Projekt braucht, ist eine Initiatorin oder einen Initiator, und eine treibende Kraft, die den Prozess voranbringt.
Bertschinger: Und der Zeitpunkt muss passen.
Zirfass: Stimmt. Die Aktion «Mission B» vom Schweizer Fernsehen, die Studien zum gravierenden Insektensterben und der neuste Bericht des Weltbiodiversitätsrats haben definitiv dazu beigetragen, dass unser Anliegen gehört und als wichtig erachtet wurde. Momentan scheint ein guter Zeitpunkt zu sein, sich für den Schutz der Natur und der Biodiversität einzusetzen!