Tierkadaver spielen eine wichtige Rolle für die Artenvielfalt und das Funktionieren von Ökosystemen, wie Ergebnisse einer neu publizierten Studie zeigen. Die Kadaver bieten nicht nur vielen aasfressenden Tierarten Nahrung, ihre Nährstoffe tragen auch zu einem wesentlich stärkten Wachstum umliegender Pflanzen bei. Dies begünstigt wiederum viele pflanzenfressende Insekten und deren Räuber. Rechtliche Regelungen, welche die Beseitigung von Kadavern vorschreiben, sollen deshalb für Naturschutzgebiete gelockert werden – so die Empfehlung der Forschenden aus Deutschland und den Niederlanden, welche die Studie durchgeführt haben.
Im niederländischen Wildnisreservat Oostvaardersplassen, einem der größten Feuchtgebiete Mitteleuropas, untersuchten die WissenschaftlerInnen, wie sich Kadaver von Rothirschen auf die lokale Artenvielfalt auswirken. Dazu erfassten sie zum einen das Vorkommen von Insektenarten auf Flächen mit und ohne Kadaver, zum anderen das Pflanzenwachstum in unmittelbarer Nähe zum Kadaver. Dabei fanden sie, dass die Kadaver nicht nur vielen aasfressenden Insekten wie etwa Fliegen und Aaskäfern direkt zugutekommen, sie wirken sich langfristig auch positiv auf das Pflanzenwachstum aus.
Pflanzen wie die Krause Distel (Carduus crispus) wurden in der Nähe der Kadaver über fünfmal so groß wie an anderen Standorten, was wiederum die Zahl pflanzenfressender Insekten und ihrer Räuber auf das Vierfache erhöhte. «Dass Tierkadaver für Aasfresser wichtig sind, überrascht zunächst wenig», sagt Untersuchungsleiter Dr. Roel van Klink. «Dass sie allerdings noch nach fünf Monaten einen solch großen Einfluss auf die gesamte Nahrungskette vor Ort haben, und dies selbst auf so nährstoffreichen Böden wie in den Oostvaardersplassen, hätte ich nicht erwartet.» Van Klink hatte die Studie an der Reichsuniversität Groningen mit Kollegen durchgeführt.
Die Ergebnisse werfen ein neues Licht auf die Rolle von Tierkadavern im Ökosystem. «Totholz in unseren Wäldern ist von der Bevölkerung mittlerweile weitgehend akzeptiert, was vielen Arten zugutekommt», sagt Prof. Chris Smit von der Universität Groningen. «Der Anblick toter Tiere in der Natur ist jedoch oft noch ein gesellschaftliches Tabu. Das ist schade angesichts ihrer Bedeutung für die Ökosysteme und Biodiversität.» Außerdem erschweren EU-Gesetze, die Kadaver großer Tiere in Naturschutzgebieten zu belassen. Die Autoren empfehlen, diese Regelungen für Naturschutzgebiete zu lockern.
Quelle: van Klink, Roel, van Laar-Wiersma, Jitske, Vorst, Oscar, Smit, Christian (2020): Rewilding with large herbivores: Positive direct and delayed effects of carrion on plant and arthropod communities. PLOS ONE 15 (1) DOI: 10.1371/journal.pone.0226946
Eigentlich erstaunlich, dass es wissenschaftliche Studien braucht um so einfache, logische Zusammenhänge zu entdecken. Ebenso erstaunlich, dass punkto Jobs im Naturbereich, erfahrene Praktiker, für die auch so etwas das Logischste ist, keine Chance haben, wenn sie nicht über einen Hochschulabschluss verfügen.