Bereits blüht der Huflattich und motiviert, die Neupflanzungen für dieses Gartenjahr zu planen. Vielleicht achtet man dabei auf den Nutzen für Vögel, Schmetterlinge und Bienen. Dank Listen von Pflanzenarten, die für diese Tiergruppen attraktiv sind, lässt sich ein Garten zielorientiert bepflanzen. Ich plädiere allerdings dafür, sich bei der Pflanzenwahl nicht in erster Linie von Listen leiten zu lassen. Denn ein lebensfreundlicher Garten beherbergt mehr als nur die erwähnten Zielgruppen.
Natterkopf und Glockenblumen sind wichtige Nahrungspflanzen für spezialisierte und damit eher seltene Wildbienen. Sie vermögen auch auf Schönheit bedachte Gartengestalter und Blumenfreundinnen anzusprechen. Es lohnt sich also rundum, der erstgenannten Art und beispielsweise der brennessel- und der pfirsichblättrigen Glockenblume im Garten Raum zu geben. Denn robuste blaue Blumen, die von den Schnecken in Ruhe gelassen werden, gibt es nicht so viele. Ausserdem verschönern sie verschiedene Standorte im Garten: Natterkopf liebt die volle Sonne, die genannten Glockenblumen Halbschatten.
Wer gezielten Naturschutz betreibt und seltene, spezialisierte Arten fördern will, muss neben der Nahrungspflanze auch deren übrige Ansprüche an den Lebensraum berücksichtigen. Wenn jemand motiviert ist, sich das Wissen anzueignen und einen Garten für bestimmte Arten zu optimieren, so kann das sehr bereichernd sein. Davon können auch Arten profitieren, die ähnliche Bedürfnisse haben. Aber andere Tiere mit anderen Ansprüchen bleiben ausgeschlossen. Vielleicht sind sie genau so selten und förderungswürdig. Nur stehen sie nicht im Fokus der Aufmerksamkeit.
Die Orientierung auf seltene Arten im Garten könnte sich öfter als frustrierend erweisen. Denn wenn das Umfeld ungeeignet ist, hat die Art im Gebiet keine Chance. Somit ziehe ich in meinem Garten nicht nur Futterpflanzen für besondere Arten, sondern schätze auch Wildpflanzen, deren Besucher mir unbekannt sind, wie beispielsweise den rundblättrigen Steinbrech. Ästhetische Vorlieben spielen dabei ebenfalls eine Rolle. Denn auch der Mensch soll sich im Garten wohl fühlen.
Ich gehe davon aus, dass alle Wildpflanzen im Naturgeflecht irgendeine Rolle spielen – auch wenn wir sie nicht kennen. So mag manche Pflanze für Nachtfalter wichtig sein, ohne dass wir es wissen. Denn es ist mit Sicherheit davon auszugehen, dass viele von Nachtfaltern besuchte Pflanzen in Listen von Schmetterlings- und Raupenfutterpflanzen fehlen. 250 Tagfalterarten stehen 2500 Nachtfalterarten gegenüber. Wie sollten die des Nachts aktiven Insekten angemessen berücksichtigt sein, wenn man bedenkt, wie gross ihre Zahl ist und wie schwierig sie zu erforschen sind? Jedenfalls sind auch Schmetterlingsförderprojekte meist auf Tagfalter ausgerichtet. Es muss bei der Hoffnung bleiben, dass Nachtfalter ebenfalls profitieren.
Auch Schwebefliegen, Wanzen und Käfer sowie deren Larven sind teils von Pflanzen abhängig bzw. sie sind Beutegreifer von anderen Kleintieren, die auf Pflanzen leben. Listen von Pflanzen, welche für diese und weitere Tiergruppen lebenswichtig sind, gibt es in der Gartenliteratur nicht. Denn erstens haben viele Insektenfamilien und andere Wirbellose meist keine grosse Fangemeinde. Zweitens wäre der Aufwand unermesslich und drittens ist dieses ganze Geflecht ohnehin nie vollständig zu durchschauen.
Somit fühle ich mich frei, bei der Pflanzenwahl in erster Linie davon auszugehen, was auf den vorhandenen Standorten gut gedeiht und was die Schnecken nicht gleich wieder wegfressen. Den Vorzug gebe ich auch Pflanzen, die den Garten zieren und die zueinander passen. Zudem achte ich darauf, dass das Pflanzenspektrum vom Frühling bis in den Herbst Blüten bietet sowie attraktive Samenstände und Beeren hervorbringt. Beispielsweise ist der früh blühende Huflattich eine wichtige Nahrungsquelle für die ersten fliegenden Bestäuber. Und Golddistel oder Färberkamille bieten noch spät im Jahr Nahrung.
Etwa 200 heimische Wildpflanzenarten wachsen in meinem Garten. Das ist mein Angebot an die Tierwelt, die aus der Umgebung zufliegt, herbeihüpft oder ankriecht und sich hier vermehren will. Erkenne ich beim Beobachten der vielfältigen Besucherschar eine seltene Art, kann mich dies motivieren, ihre Ansprüche kennenzulernen und den angebotenen Lebensraum für sie weiter zu verbessern. Allgemein aber achte ich bei Gestaltung und Pflege in erster Linie auf Vielfalt. Auch weniger prächtige Gartenpflanzen, die sich von selbst ansiedeln, jäte ich nicht übermässig weg. Denn was der Mensch nicht besonders schätzt, ist bei Insekten oft sehr beliebt.