Wenn der Garten ruht, gehört die Aufmerksamkeit dem häuslichen Leben. Im Winter herrscht allerdings auch drinnen weniger Betrieb: In den Ecken mögen Spinnengewebe hängen, aber die Spinnen selbst fehlen. Wo sind sie denn jetzt? Das weiss der Experte.
Interview: Beatrix Mühlethaler
Jeden Winter, wenn ich Spinnengewebe herunterputze, fällt mir auf, dass die Bewohnerinnen abwesend sind. Als Unkundige in Sachen Spinnenleben liess ich mir von einem Experten erklären, wo sie denn sein könnten und wie ihr Jahreszyklus verläuft. Denn eines ist klar: Ich selbst habe sie nicht verjagt oder umgebracht. Für mich kommt der leider sehr verbreitete Usus, den Netzweberinnen mit dem Staubsauger zu Leibe zu rücken, nicht in Frage.
Um Auskunft gebeten habe ich den Biologen Jakob Walter, der sich seit über 40 Jahren mit Spinnen befasst.
Herr Walter, in meiner Wohnung lebt vor allem eine Zitterspinne. Welche Art ist das genau?
Das ist die Grosse Zitterspinne, Pholcus phalangioides (Achtung: Deutsche Namen sind nicht verbindlich!). Sie lebt bei uns ausschliesslich in Gebäuden und ist in modernen Bauten oft die einzige Spinnenart.
Die Zitterspinne ist leicht erkennbar: Bei einer Störung schwingt die Spinne ihren Körper im Kreis, was ihr den Namen eintrug. Viele Menschen halten Zitterspinnen wegen der langen Beine für Weberknechte («Zimmermanne»). Bei der Zitterspinne ist aber, anders als beim Weberknecht, der Körper in Vorder- und Hinterkörper gegliedert. Ausserdem hängt der Weberknecht nie an Fäden, da er nicht spinnt.
Wo wohnt die Zitterspinne jetzt im Winter, wenn ich sie nicht sehe?
Grundsätzlich haben sich Hausspinnen von den Jahreszeiten abgekoppelt, es gibt also keine «Hausspinnen-Saison». Wenn man im Winter weniger Spinnen sieht, hat das zwei Gründe:
- Die Nahrung ist knapp, Weibchen können deswegen weniger Eier legen, und Junge verhungern häufig.
- In Wohnräumen ist während der Heizperiode die Luftfeuchtigkeit gering, was für Junge tödlich sein kann.
Oder anders gesagt: Die Alten sterben an Altersschwäche. Nur wenige Arten leben länger als ein Jahr, und Junge kommen im Winter aus den genannten Gründen nicht auf. Damit kann der Bestand in Wohnungen zusammenbrechen. Aber keine Angst: Im Treppenhaus (ungeheizt), in Keller und Toilette (höhere Luftfeuchtigkeit) überleben bestimmt einige Zitterspinnen und breiten sich im Frühling wieder bis in die Wohnung aus.
Im Winter sehe ich im Haus kaum Insekten. Wie könnte eine erwachsene Spinne überleben?
Vertrocknen ist das grössere Problem, als Verhungern. Ich schätze, dass eine Zitterspinne der abgebildeten Grösse 2-3 Monate ohne Nahrung überlebt. Aber sogar in Wohnungen gibt es gelegentlich Motten, Trauermücken – oder andere Spinnen.
Wie sieht ihr Lebenszyklus im Lauf des Jahres aus?
Bei Hausspinnen ist der Jahresrhythmus weitgehend verloren gegangen. Man kann also grundsätzlich jederzeit Eier, Junge und Erwachsene finden. Selbstverständlich läuft im Sommer, bei hohem Nahrungsangebot, alles rascher: Die Spinnen reifen rascher, können mehr Eier legen, und es kommen mehr Junge zur Welt. Im Sommer sieht man oft Weibchen, die ein blassrosa, von wenigen Fäden umsponnenes Eiklümpchen zwischen den Kiefern mit sich tragen.
Was macht das Leben im Haus für sie attraktiv?
Das Fehlen von Konkurrenz – nur wenige Arten können auf Dauer im Haus überleben. Und für die Zitterspinne sind Häuser die einzige Möglichkeit, nördlich der Alpen zu überleben: Sie ertragen keinen Frost.
Wenn ich winzige Spinnen herumwuseln sehe, weiss ich nie, ob das eine besondere Art ist oder Junge. Gibt es auch ganz kleine Spinnenarten im Haus?
Sicherheit gibt nur der Blick auf die Geschlechtsorgane: Erwachsene Männchen haben am Taster stark verdickte Endglieder, die als Begattungsorgane dienen. Bei Weibchen ist der Blick mit einer Lupe auf die Unterseite des Hinterleibs erforderlich.
Es gibt ein knappes Dutzend Arten von Hausspinnen; die kleinste (das Zwergsechsauge, Oonops domesticus), misst ausgewachsen 2mm. Sie ist sehr selten (oder wird nur selten gefunden).
Welche Spinnenarten leben denn noch im Haus und welche sind am häufigsten?
Neben der Zitterspinne und dem Zwergsechsauge trifft man in Wohnräumen die Speispinne (4-6 mm), die Hauswinkelspinne (18 mm), die Fettspinne (5-7 mm) und gelegentlich eine weitere Kugelspinnenart. Weitaus am häufigsten ist aber die Zitterspinne. Es wird befürchtet, dass sie andere Hausspinnen verdrängt.
Im Keller kommen zusätzlich zwei Arten von Finsterspinnen, eine Sechsaugenspinne und die Höhlenspinne Nesticus cellulanus sowie die Höhlenkreuzspinne Meta menardi in Frage.
Wie sieht der Lebenszyklus der eigentlichen Hausspinne aus, also jener, die man so nennt?
Die Hauswinkelspinne Tegenaria atrica (es gibt noch eine weitere verwandte Art) hat sich von den Jahreszeiten emanzipiert. Doch es gibt eine Häufung von reifen Männchen im Herbst. Weibchen und Junge leben in ihrem Netz in Winkeln, hinter Möbeln usw. und sind kaum je zu sehen. Erwachsene Männchen dagegen machen sich auf die Wanderschaft. Auf der Suche nach einem Weibchen fallen sie uns auf, wenn sie behände eine Wand überqueren oder in die Badewanne stürzen und nicht mehr herausklettern können.
Zitterspinne und Hauswinkelspinne fangen ihre Beute mit Netzen. Wie unterscheiden sich diese? Und wo halten sich die Jägerinnen jeweils auf, um ihre Beute schnell packen zu können?
Die Hauswinkelspinne baut ein flächiges Netz, das in einen Trichter mündet; in diesem sitzt die Erbauerin. Wenn ein Tierchen über die Netzfläche krabbelt, spürt die Spinne die Erschütterung, eilt herbei, packt ihr Opfer und schleppt es in den Trichter. Zitterspinnen bauen ein weitläufiges, unregelmässiges Netz aus klebrigen Einzelfäden. Beutetiere bleiben kleben, was der Spinne Zeit gibt, heranzukommen; sie wendet der Beute ihren Hinterleib zu und bewirft sie mit den langen Hinterbeinen mit frischen Fäden. Sie selber bleibt ausserhalb der Reichweite ihres Opfers und kann deshalb auch grosse, wehrhafte Tiere, z.B. Hauswinkelspinnen, überwältigen.
Ausserhalb des Winters begegnet mir im Haus noch eine weitere Spinne. Sie hält sich jeweils am Boden auf oder sonst auf einer horizontalen Fläche: Die Springspinne.
Springspinnen sind keine Hausspinnen. Sie kommen jeweils durchs offene Fenster ins Haus. Die häufige Zebra-Springspinne lebt oft an besonnten Hausmauern und packt ihre Beute meist im Sprung, nachdem sie einen Sicherheitsfaden auf der Unterlage befestigt hat. Den Winter verbringen die Tiere in selbstgesponnenen Zellen in Ritzen. Paarungszeit ist im Frühsommer, aber erwachsene Weibchen findet man beinahe das ganze Jahr. Auf uns wirken Springspinnen vertraut, weil sie ebenfalls «Augentiere» sind, also sich optisch orientieren und den Kopf (d.h. den Vorderkörper) drehen, um etwas anzuschauen. Auch weitere Arten können zufällig, etwa durch eine offene Türe, ins Haus gelangen, überleben da aber nicht auf Dauer: Zu wenig Nahrung, zu trocken, kaum Schlupfwinkel, kein Geschlechtspartner.
Bei mir spinnt die Gartenkreuzspinne ihr Radnetz am Haus, obwohl sie draussen lebt. Beispielsweise hängt sie es in eine wenig benutzte Türe oder ans Fenster. Leider passiert es dann schnell, dass ich unbeabsichtigt das Netz anreisse. Was gefällt dieser so nah am Haus?
Aussen am Haus hat sie alles, was sie braucht. Sie bewegt sich bestimmt nicht gezielt auf das Haus zu. Sie kann das gar nicht: Am Boden ist sie sehr unbeholfen. Distanzen von einigen Metern kann sie überwinden, indem sie einen Faden erzeugt und diesen vom Wind wegtreiben lässt. Verfängt er sich an einem Hindernis, befestigt sie ihr Fadenende an der Unterlage und hangelt dem Faden entlang. So kann sie auch ans Haus gelangen; dort sucht sie eine Stelle, wo sich ein Netz bauen lässt. Das kann ein Spalier sein oder eben eine Fensteröffnung. Wird das Netz täglich zerrissen, gibt sie irgendwann auf und bricht – die Richtung hängt vom Wind ab – an einen anderen Ort auf.
Hoffentlich hat Ihnen dieser Beitrag unsere kleinen Hausgenossinnen nähergebracht, sodass Sie diese akzeptieren und nur ihre Spinngewebe entfernen: ohne Staubsauger, denn das Einsaugen überleben Spinnen nicht! Die Fäden sehen wir hauptsächlich, wenn sie staubig sind. Sie sind dann für die Spinne weitgehend nutzlos, weil der staubbedeckte Leim nicht mehr klebt. Somit dient es den Hausspinnen, wenn wir solche alten Fäden entfernen – sie können dann frische Klebfäden ziehen. Verwendet man einen Besen oder Staubwedel, wird kaum eine Spinne zu Schaden kommen.
Zuletzt differenzieren wir noch etwas. Von allen Hausspinnen kommen Zitterspinnen mit den Bedingungen in neuen Bauwerken am besten zurecht. Andere Arten leiden unter dem Fehlen von Ritzen und auch geeigneten Beutetieren und kommen durch die Dominanz von Zitterspinnen zusätzlich unter Druck. Jakob Walter hält es deshalb für gerechtfertigt, Zitterspinnen teils fernzuhalten, zum Beispiel von der Dusche, wo andere Arten auch eine Chance haben. Mit dieser Überlegung orientiert sich Walter an einem Grundsatz im Naturschutz: Wenn eine Magerwiese entbuscht wird, dann nicht, weil Gebüsch schlecht wäre, sondern weil man in einer Magerwiese andere Pflanzen fördern will.
Mehr zum Thema Spinnen:
Jakob Walter in den Schaffhauser Nachrichten: Hüt im Gschpröch: Jakob Walter, Spinnenexperte | Schaffhauser Nachrichten (shn.ch)
Schrift von Jakob Walter: Gift und Strick und noch viel mehr: Spinnen. Naturforschende Gesellschaft Schaffhausen, Neujahrsblatt Nr. 69, 2017, bestellbar über http://www.ngsh.ch/neujahrsblaetter
Liebe Beatrix
Danke für diesen Einblick ins Leben der Hausspinnen. Interessante Tiere – dank meiner Beschäftigung mit ihnen, indem ich über sie las, sie immer wieder beobachtete, wie sie eigentlich leben, sind sie mir näher gekommen. Ich habe heute meine Spinnenphobie im Griff, ohne Therapie. Niemals würde ich mehr eine töten, wegen meiner unbegründeten Angst. Aber wenn eine Grosse im Zimmer ist, bin ich immer noch froh, wenn sie mir jemand einfängt und nach draussen befördert……
Und über die Speispinne weiß wie immer kaum jemand etwas außer daß sie ihre Beute anspuckt.
Gut zu wissen, dass Zitterspinnen im Winter draußen nicht überleben können. Machte mir immer Sorgen, dass sie im Winter bei mir verhungern müssen, aber jetzt weiß ich, dass es besser ist, wenn sie hier bleiben. Da ich Hund und Katze habe, steht fast in jedem Raum Wasser.
Nun habe ich auch endlich erfahren, wie Spinnen es schaffen, quer über den Weg Fäden zu spannen. Fand das immer rätselhaft.