StartNewsForschungMit Stroh und Hanf zu klimafreundlichen Renovationen

Mit Stroh und Hanf zu klimafreundlichen Renovationen

Energetische Gebäudesanierungen sind entscheidend, damit die Schweiz ihre Klimaziele erreicht. ETH-​Forschende zeigen nun, welche Renovationsstrategien die Treibhausgas-​Emissionen besonders wirksam reduzieren: fossile Heizungen ersetzen und bio-​basierte Baustoffe wie Stroh und Hanf einsetzen.

Text von Benedikt Vogel für die ETH Zürich, die Originalpublikation finden Sie in den ETH-News der ETH Zürich.

Die Schweiz zählt knapp 1,8 Mio. Wohngebäude und eine weitere Million Nichtwohnbauten. Auf diesen Gebäudepark entfallen rund 40 Prozent des landesweiten Endenergiebedarfs. Die Gebäude bieten einen wichtigen Hebel auf dem Weg zu einer klimaneutralen Schweiz: Deutlich über die Hälfte aller Gebäude wird noch immer mit fossilen Energieträgern wie Öl oder Gas beheizt. Und der überwiegende Teil der Gebäude stammt aus einer Zeit ohne griffige Effizienzstandards. Viele von ihnen bedürfen dringend einer energetischen Sanierung.

Gebäudelebenszyklus im Blick

Für eine energetische Sanierung von Gebäuden gibt es mehrere Anknüpfungspunkte, darunter der Ersatz des Heizsystems und die Wärmedämmung bei Dach, Fenstern, Kellerdecken und Fassaden.  Grafik: Galimshina A, et al., Nat Commun (2024) / http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.

Gebäudesanierungen sind herkömmlicherweise auf den Energieverbrauch hin orientiert und umfassen zwei Hauptmassnahmen: Durch Dämmung der Gebäudehülle wird der Energieverbrauch gesenkt, durch den Ersatz fossiler Heizungen die Nutzung erneuerbarer Energien gefördert. Im Zeichen des Klimawandels stellt sich vermehrt die Frage, wie Renovationen ausgestaltet werden müssen, damit ein Gebäude über seinem gesamten Lebenszyklus hinweg möglichst wenig Treibhausgase emittiert.

Diese Frage wird seit Jahren am Departement Bau, Umwelt und Geomatik der ETH Zürich erforscht. Eine aktuelle Studie von Guillaume Habert, Professor für Nachhaltiges Bauen, und Bruno Sudret, Professor für Risiko, Sicherheit und Quantifizierung der Ungewissheiten, liefert dazu neue Antworten. Die Untersuchung entstand in Zusammenarbeit mit der Westschweizer Fachhochschule (Yverdon) und der Technischen Hochschule Chalmers (Göteborg). Sie wurde am 13. März 2024  in der Wissenschaftszeitschrift Nature Communications veröffentlicht.

Heizungsersatz und Wärmedämmung

Im Zentrum der Untersuchung standen sechs Gebäude, die zwischen 1911 und 1988 errichtet wurden und bisher weitgehend unrenoviert sind. Die Bauten wurden so ausgewählt, dass sie den gesamten Schweizer Gebäudepark repräsentieren. Für diese Immobilien errechneten die Forscherinnen und Forscher, wie viel Treibhausgas-​Emissionen durch unterschiedliche Sanierungsmassnahmen verursacht werden, und dies bezogen auf einen 60-​jährigen Gebäudelebenszyklus (ab dem Zeitpunkt der Sanierung). Untersucht wurde zum einen der Ersatz der bisherigen Heizung durch eine Gasheizung, eine Holzpellet-​Heizung oder eine Wärmepumpe, zum anderen der Einbau einer Wärmedämmung mit unterschiedlich dicken Schichten aus konventionellen Dämmstoffen (wie EPS, Glaswolle, Steinwolle, Zellulosefasern) beziehungsweise Dämmstoffen aus schnell wachsenden Pflanzen (wie Stroh und Hanf).

Der Einbezug der Baustoffe ist bedeutsam, weil diese im Herstellungsprozess sehr unterschiedlich viel Energie benötigen und damit eine mehr oder weniger hohe Treibhausgas-​Belastung aufweisen. «Die CO2-​Emissionen bei der Herstellung herkömmlicher Dämmstoffe sind teilweise sehr hoch, und durch ihren Einsatz bei Gebäudesanierungen wird der positive Effekt, der durch die Senkung des Energieverbrauchs erzielt wird, teilweise wieder zunichte gemacht», sagt Guillaume Habert. Baustoffe aus nachwachsenden Rohstoffen verursachen deutlich weniger Treibhausgase. Sie haben überdies den Vorteil, dass sie während ihres Wachstums CO2 aus der Atmosphäre binden und dieses dann langfristig im Gebäude gespeichert wird.

Schematische Darstellung der Methode der ETH-​Forschenden, um Lösungen für energetische Sanierungen zu finden, die über den Gebäude-​Lebenszyklus hinweg tiefe Treibhausgas-​Emissionen verursachen bei möglichst geringen Kosten. Grafik: Galimshina A, et al., Nat Commun (2024) / http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.

87 Prozent weniger Treibhausgase

Die Berechnungen der Treibhausgas-​Emissionen während des 60-​jährigen Gebäudelebenszyklus’ zeigen: Um den Treibhausgas-​Ausstoss wirksam und möglichst kostengünstig zu senken, steht der Ersatz von Öl- und Gasheizungen an erster Stelle. Sehr wichtig ist überdies der Einsatz von bio-​basierten Baustoffen zur Wärmedämmung. «Unsere Ergebnisse zeigen, dass wir im Schweizer Gebäudepark hauptsächlich durch Umstellung auf Wärmepumpen oder Holzpellets, aber auch durch die Nutzung von bio-​basierten Baustoffen zum Beispiel in Form von Strohballen, Hanfmatten und Hanfbeton bei den von uns getroffenen Annahmen bis zu 87 Prozent der Treibhausgas-​Emissionen einsparen könnten», fasst Alina Galimshina ein Hauptergebnis der Studie zusammen. Diese beruht massgeblich auf der Doktorarbeit, die sie an der ETH Zürich verfasst hat.

Zur Berechnung der Treibhausgas-​Emissionen und der Investitions-​, Betriebs-​ und Unterhalts-​Kosten über den Lebenszyklus hinweg setzte die Forscherin eine innovative Methode ein. Die Wahl der richtigen Sanierungsstrategie hängt nämlich massgeblich von künftigen Entwicklungen ab, etwa dem klimabedingten Anstieg der Umgebungstemperaturen, aber auch von den Energiepreisen, dem «CO2-​Gehalt» des Netzstroms, dem Nutzerverhalten und weiteren Faktoren. Die Untersuchung hat diese Ungewissheiten berücksichtigt durch Einbezug geeigneter mathematischer Werkzeuge.

Rechenmodelle zur Bewertung der Lebenszykluskriterien erfordern viel Computerzeit. Um den Rechenaufwand zu verringern, wurde ein Ersatzmodell mit Hilfe von Techniken des maschinellen Lernens entwickelt. «Dank dieses Ersatzmodells konnten wir eine umfassende Optimierung der verschiedenen Parameter der möglichen Sanierungsoptionen durchführen – unter Berücksichtigung der Unsicherheiten bei Energiepreisen, CO2-​Gehalt des Netzstroms und Umgebungstemperaturen», sagt Bruno Sudret. Ermöglicht wurde diese Optimierung durch das Software-​Tool UQLab, das seine Gruppe entwickelt und seit 2015 zur Quantifizierung von Unsicherheiten in Vorhersagemodellen verschiedener Disziplinen eingesetzt hat. Für dieses Projekt bauten es die Forschenden weiter aus.

Eine Analyse des Wärmebedarfs des Schweizer Gebäudebestands nach Baujahren (gemäss Bundesamt für Statistik) zeigt, dass bei Gebäuden, die vor 1980 gebaut wurden, ein grosses Potenzial zur Steigerung der Energieeffizienz besteht. Grafik: Galimshina A, et al., Nat Commun (2024) / http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/

Ergebnisse praktisch umsetzen

Die Forderung nach dem Ersatz fossiler Heizungen ist heute in aller Munde, die Nutzung pflanzlicher Baustoffe wie Stroh und Hanf hingegen steht erst am Anfang. Der Bausektor begegnet diesen Materialien noch mit Skepsis, weil sie mitunter erhebliche grössere Dämmstärken benötigen und Fragen bezüglich Feuchtigkeit und Brandschutz aufwerfen. Diskutiert werden auch die hohen Kosten von Renovationen mit bio-​basierten Dämmstoffen, wobei die Kritiker bisweilen die Einsparungen bei den Betriebskosten ausblenden.

Vor diesem Hintergrund hat sich das Forscherteam das Ziel gesetzt, die Erkenntnisse der eigenen Arbeit bei Planern, Architekten und weiteren Baufachleuten bekannt zu machen. Das geschieht im Rahmen eines laufenden Projekts, das aus dem Agora-​Programm des Schweizerischen Nationalfonds alimentiert wird. Hierzu zählen Diskussionsveranstaltungen und eine Umfrage bei mit Expertinnen und Experten aus der Baubranche. Parallel wird eine Webseite aufgebaut, die ein Software-​Tool zur Verfügung stellt, mit dem sich Sanierungsstrategien hinsichtlich ihrer Klimafreundlichkeit vergleichen lassen.

Literaturhinweis:

Galimshina A, Moustapha M, Hollberg A, Lasvaux S, Sudret B, Habert G: Strategies for robust renovation of residential buildings in Switzerland. Nature Communications 15, Article number: 2227 (2024). DOI: https://www.nature.com/articles/s41467-024-46305-9

1 Kommentar

  1. Das klingt super. Leider höre ich aus der Praxis sehr wenig solches. Wie wäre es, wenn wenigstens die Gemeinden, Städte, Kantone, der Bund mit gutem Beispiel vorausgingen? Mindestens in unseren grösseren Stadtparlamenten und -regierungen sollten die wesentlichen Mehrheiten eigentlich vorhanden sein. Geht bitte voran, Züri, Bärn, Baasel, Lôz, Schnääf!

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