StartTippsNachhaltig leben«Tote Bags» – Klimasünde im Schrank?

«Tote Bags» – Klimasünde im Schrank?

Stofftaschen gelten als die nachhaltige Alternative zu Einwegtaschen aus Plastik oder Papier. Sie sind robuster, können häufiger wiederverwendet werden und sehen oft auch lässiger aus. In vielen Haushalten stapeln sich jedoch Unmengen Stofftaschen, die praktisch unbenutzt bleiben. Ist die Baumwolltasche also wirklich die nachhaltigste Einkaufstasche, wenn sie nur im Schrank liegt?

Es gibt sie in allen möglichen Farben und Mustern, mit lustigen Motiven und Sprüchen oder auch ganz schlicht, im klassischen Beige – die Rede ist von Stofftaschen, oder auch «Tote Bags» genannt. In vielen Haushalten wird sich ein ganzer Haufen solcher Beutel in einem dunklen Schrank wiederfinden. Ich habe bei mir zu Hause einmal nachgezählt – nicht weniger als 18 Stofftaschen befinden sich in meiner Stofftasche, in der die anderen Stofftaschen aufbewahrt werden. Dazu kommen noch die drei, die ich regelmässig benutze. Eine zum Einkaufen, eine für die Sportkleidung und eine für mein aktuelles Häkelprojekt. Macht 18 Stofftaschen die die Sonne wahrscheinlich zuletzt am Tag ihres Erwerbs gesehen haben.

Immer wieder bekommt man sie als Werbegeschenk, als Goodie Bag auf einer Messe oder wenn man seine Tasche beim Einkaufen vergessen hat. Da zahlt man zwar einen Aufpreis, aber es lohnt sich, schliesslich wird man ja darauf hingewiesen, dass man sie x-mal wieder verwenden kann und man damit nachhaltiger ist, als wenn man sich für die Plastik-Alternative entschieden hätte. Doch wie nachhaltig ist eine praktisch unbenutzte Stofftasche?

Stofftaschen
In vielen Haushalten stapeln sich haufenweise praktisch unbenutzte Stofftaschen. Bild: © Rhonda Müller.

Hoher Wasserverbrauch, Pestizid Einsatz und Düngen – Klimasünde Baumwollanbau 

Das grosse Problem der Stofftaschen ist, dass die meisten aus Baumwolle hergestellt werden. Dadurch sind sie zwar haltbarer und stabiler als Plastiktüten und biologisch abbaubar, aber die Baumwollproduktion verbraucht sehr viel Wasser. Zudem werden oft exzessiv Pestizide und Düngemittel eingesetzt. Die Folgen sind übersäuerte und ausgetrocknete Böden, die schliesslich erodieren. 

Ein bekanntes Opfer der Baumwollproduktion ist der Aralsee. Mehr als 50 Jahre lang wurde das Wasser der in den See mündenden Flüsse zur Bewässerung riesiger Baumwollfelder abgespeist. Wegen der geringen Niederschläge sank der Wasserspiegel um mehr als 20 Meter. Die Fläche des einst viertgrössten Binnensees schrumpfte bis 1997 um 44%. Mittlerweile ist der See fast vollständig ausgetrocknet.

Auch die Biodiversität leidet unter dem Gifteinsatz. Bei der Baumwollproduktion werden mehr Herbizide eingesetzt als bei jeder anderen Nutzpflanze. Baumwolle wird auf ca. 2.5% der weltweiten Ackerflächen angebaut, verbraucht aber 16% aller Insektizide und 7% aller Herbizide.

Baumwollpflanze
Baumwollanbau führt zu erodierten Böden. Bild: © Bishnu Sarangi via Pixabay.

Eine Tasche ein Leben lang wiederverwenden?

Es gibt verschiedene Studien, die sich mit dem Thema Einkaufstaschen auseinandersetzen. Dabei werden Tragetaschen aus unterschiedlichen Materialien hinsichtlich ihres ökologischen Fussabdrucks verglichen. Je nach Studie werden dabei Faktoren wie Emissionen bei der Produktion, Wasserverbrauch oder Pestizideinsatz berücksichtigt. Und dabei schneiden die Baumwolltaschen deutlich schlechter ab, als beispielsweise Einwegtaschen aus Kunststoff oder Papier.

Laut der UNEP («Umweltprogramm der Vereinten Nationen») muss eine Baumwolltasche 50 bis 150 Mal verwendet werden, bevor sie klimafreundlicher ist als eine Einwegtasche aus Plastik. Eine dänische Schutzbehörde, die auch andere Umwelteinflüsse wie Auswirkungen auf die Ozonschicht oder die Vergiftung von Ökosystemen berücksichtigt, kommt sogar auf ganze 7’100 Mal. Zur Einordnung: Man müsste eine einzige Stofftasche für knapp 20 Jahre jeden Tag verwenden. Die Empa St. Gallen hat eine eigene Studie zur Ökobilanz von Tragetaschen durchgeführt und kommt zum Schluss, dass jede Baumwolltasche rund 80 Mal wiederverwendet werden muss, um ihre Umweltbelastung auf die einer einmal verwendeten Tragetasche aus >80% Recycling-Kunststoff zu reduzieren. Und diese Zahlen gehen nur von einer einzigen Stofftasche aus. Massenweise Taschen anzuhäufen ist also keineswegs nachhaltig. 

Das Problem mit dem Abfall

Plastikverschmutzung ist ein globales Problem, von dem auch die vermeintliche «Recycling-Königin» Schweiz betroffen ist. Während die EU mittlerweile viele Einwegplastikprodukte (auch Plastiksäcke unter einem bestimmten Gewicht) verboten hat und ab 2030 gar keine Einwegplastikprodukte mehr zulassen will, ist die Schweiz von solchen Verboten noch weit entfernt.

Jährlich gelangen in der Schweiz rund 14’000 Tonnen Kunststoff in die Böden und Gewässer, davon ist Littering mit 2’700 Tonnen der zweitgrösste Faktor. Vor allem Plastiksäcke gelangen leicht in die Umwelt, denn auch wenn sie korrekt in einen Abfalleimer geworfen werden, kann ein starker Windstoss dazu führen, dass sie später im Gebüsch liegen. Eine dünne Plastiktüte braucht etwa 20 Jahre, um sich zu zersetzen. Während dieser Zeit können sich Tiere darin verfangen oder diese versehentlich einnehmen. Aber auch nach 20 Jahren sind sie nicht vollständig abgebaut, sondern lediglich zu Mikroplastik zerfallen. Dieses wird vor allem von Meerestieren mit Plankton verwechselt und gefressen.

In Sachen Abfall und Recycling haben die biologisch abbaubaren Baumwolltaschen also eindeutig die Nase vorn. Sie werden in der Regel auch deutlich seltener weggeworfen als Plastiktüten, da sie wesentlich länger wiederverwendet werden können. Unter Berücksichtigung der Recyclingfähigkeit und der biologischen Abbaubarkeit empfehlen Experten daher, Stofftaschen mindestens 25 Mal wiederzuverwenden – das ist auf jeden Fall machbarer als über 7’000 Mal.

Hauptsache Wiederverwenden

Egal ob Plastik, Papier oder Stoff – am wichtigsten ist, die Produkte so oft wie möglich wiederzuverwenden. Ausgediente Plastiktüten können zum Beispiel noch als Müllbeutel im Badezimmer verwendet werden. Zudem sollte man darauf achten, nicht zu viele Taschen anzuhäufen, die man nicht benutzt. Gerade Stofftaschen entfalten ihren vermeintlichen Umweltvorteil erst dann, wenn sie sehr oft benutzt werden. Auch zu einem nett gemeinten Werbegeschenk kann man Nein sagen.

Muss man sich trotzdem eine neue Stofftasche anschaffen kann man darauf achten, möglichst solche aus Bio-Baumwolle zu kaufen. Diese kommt ohne Pestizide und Dünger aus und ist nicht genmanipuliert. Dadurch sind die Baumwollpflanzen zwar weniger ertragreich, aber auch weniger umweltschädlich und können Wasser besser im Boden speichern, was den Wasserverbrauch verbessert. Laut Allnatura ist Organic Cotton/kbA in dieser Hinsicht die beste Wahl. Zudem kann man auf die Siegel der unabhängigen Zertifizierungsstellen IVN BEST und GOTS achten. Auch das Fairtrade Siegel sollte man beachten. Dies garantiert zwar keine Umweltfreundlichkeit, gibt jedoch gewisse Sozialstandards für die Baumwoll-Bauern vor. Noch besser sind Taschen aus Bio-Hanf, Bio-Leinen oder natürlich aus recyceltem Material. Am Schluss gilt jedoch: Keine neue Tasche zu kaufen ist besser als jede neue Tasche – egal aus welchem Material.

Wohin mit all den Stofftaschen?

Trotz all dieser Tipps habe ich nun immer noch 18 Stofftaschen zu Hause, die ich kaum benutze und ich werde wohl nicht die Einzige sein, die sich eine Bettdecke mit den überflüssigen Taschen stopfen könnte. Was also tun nun mit all den Stofftaschen? Wir haben einige Ideen zusammengetragen:

  • Grundsätzlich lohnt es sich, beispielsweise in der Fahrradtasche und in viel benutzten Rucksäcken je eine Tasche zu deponieren. So hat man immer eine griffbereit und muss hoffentlich nicht so oft eine neue kaufen.
  • Taschen, die sich noch in einem guten Zustand befinden, können gespendet werden. Zum Beispiel an einen Second-Hand-Laden, der sie dann an Kundinnen und Kunden weitergibt, die ihre eigene Tasche vergessen haben.
  • Man kann die Taschen auch als Geschenkverpackung verwenden. Wenn man Zeit hat und sich kreativ ausleben möchte, kann man sie dazu auch noch besticken, mit Pailletten bekleben, bemalen oder anderweitig verzieren. Dies ist nachhaltiger als jedes Mal zu Geschenkpapier zu greifen und die beschenkte Person kann sie dann gleich noch wiederverwenden. 
  • Die Taschen eignen sich auch, um Zuhause Ordnung zu schaffen. Man kann nicht nur alle anderen Stofftaschen praktisch verstauen, sondern das System auch zum Beispiel auf Schals, Handschuhe oder andere Kleinigkeiten ausweiten, die sonst im Haus herumfliegen.
  • Warum nicht kreativ werden? Das Material eignet sich wunderbar, um sich wieder einmal im Nähen zu üben. Eine Küchenschürze oder ein Kissenbezug wären mögliche Ideen. Sollte die Tasche bereits kaputt sein, kann man sie in Streifen schneiden und für andere Näh- oder Häkelprojekte verwenden.
  • Besonders die dünnen Baumwolltaschen eignen sich hervorragend, um Bienenwachstücher herzustellen. Eine Anleitung dazu finden Sie hier.

Quellen und weitere Informationen:

  • https://www.allnatura.ch
  • Edwards, C., Meyhoff Fry, J., Life cycle assessment of supermarket carrier bags: a review of the bags available in 2006, © Environment Agency, 2011. 
  • Hischier, R., Ökobilanz von Tragetaschen, Technology & Society Lab Empa St. Gallen, 2014.
  • The Danish Environmental Protection Agency, Life Cycle Assessment of grocery carrier bags, 2018.
  • United Nations Environment Programme, Single-use plastic bags and their alternatives – Recommendations from Life Cycle Assessments, Design and layout: Joséphine Courtois, 2020.

2 Kommentare

  1. Guter Artikel.

    Doch eine Anmerkung zum Aufpeppen der Taschen:
    Pailletten / Kleber = Plastik = Erdöl-Produkt = Langzeit-umweltschädlich

    Gleiches gilt für Farben, sofern diese Mineralöl-basiert sind wie bspw. Acrylfarben. Bei Farben außerdem deren Konservierungsstoffe beachten: in der Regel Biozidprodukte die schädlich für Wasserorganismen sind.

  2. Mit ein Problem sind die Taschen mit aufgedruckter Werbung, die man schon aus ästethischen Gründen oder anti-Werbung-Prinzipien nicht gern weiterverwendet. Oft lassen die sich solche gerade wegen
    der Werbeprints auch nicht gut weiterverarbeiten. Um solche Werbe-Taschen los zu werden, drei weitere Ideen: 1.Innen nach aussen wenden und einfach so weiterverwenden.Gegebenenfalls die Nähte ruckzuck neu abnähen – auch für Ungeübte machbar.
    2.Wo nur eine Hälte/Seite der Tasche bedruckt ist: Aus 2 Werbetaschen 1 neue ohne Werbung machen (auftrennen, halbieren, unbedruckte Hälften zusammennähen. Bei Bedarf lässt sich so auch eine doppelt so grosse herstellen. Optisch „neutralisiert“ sind sie als Ordnungshelfer auch schöner im Haushalt.
    3. Auch praktische Haushalttüchlein oder Baumwoll-Lappen lassen sich schnell und einfach daraus machen. Die oft schmalen Traghenkel lassen sich als Bändel beliebig weiterverwenden, z.B. für Geschenke.

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