Der Ständerat bringt den Beschleunigungserlass aus dem Lot, indem er das Verbandsbeschwerderecht bei den 16 Wasserkraftprojekten des Stromgesetzes streicht und so die Stimme der Natur zum Verstummen bringt. Und dies, obwohl man vor sechs Monaten der Stimmbevölkerung noch das Gegenteil versprochen hat.
Bei der Verbandsbeschwerde geht es nicht um Verbände – es geht um Landschaft und Natur, berichtet die Stiftung Landschaftsschutz Schweiz in einer Medienmitteilung. Weil es dort keine Nachbar:innen gibt, die Bauprojekte hinterfragen könnten, weist das Recht diese Verantwortung bestimmten Umweltorganisationen zu. Sie können Vorhaben mit einer Beschwerde gerichtlich überprüfen lassen, so klein oder gross diese auch sein mögen: Hält das Projekt das geltende Recht ein?
Verbandsbeschwerderecht wurde noch im Sommer garantiert
Doch der Ständerat hat dieses Zahnrad heute herausgeschraubt – in Bezug auf 16 Wasserkraftvorhaben, welche der Runde Tisch Wasserkraft 2021 als prüfenswerte Möglichkeiten gelistet hatte. Die Abschlusserklärung des Runden Tisches hielt fest, das Verbandsbeschwerderecht bleibe gewahrt, und noch im Sommer warb Bundesrat Rösti mit dieser Garantie für das Stromgesetz, das viele Umweltorganisationen nicht zuletzt wegen dieser Garantie unterstützten. Bundesrat Rösti empfahl darum im Ständerat, das Beschwerderecht auch für die 16 Wasserkraftprojekte beizubehalten.
Der Wortbruch des Ständerats bedeutet, dass keine Person oder Organisation mehr die 16 Vorhaben gerichtlich prüfen lassen kann. Noch bevor bei manchen dieser Projekte konkrete Pläne vorliegen, ist der Weg für deren Bau geebnet – ohne dass sie geltendes Recht einhalten müssen. Noch haben wir eine umsichtige Gesetzgebung – aber was nützen Vorschriften, die man nicht einhalten muss?
Ersatzmassnahmen: Wo liegt das Problem?
Wie die Umweltallianz berichtet, könnten künftig auch die Ersatzmassnahmen bei Kraftwerken schlechter umgesetzt werden. Ursprünglich hatte die sogenannte Beschleunigungsvorlage zum Ziel, die Bewilligungsverfahren von Energieprojekten von nationalem Interesse zu vereinfachen und effizienter zu gestalten – ein Anliegen, das auch die Umweltorganisationen explizit befürworten.
Doch nun setzt der Ständerat einen Grundpfeiler des Umweltrecht aufs Spiel: Denn jedes Kraftwerk greift in die Natur ein und verursacht Schäden. Diese als Teil des Gesamtprojekts auszugleichen – mit ganz konkreten Massnahmen für die geschädigten Lebensräume – ist heute Sache der Kraftwerksbetreiber: eine seit Jahrzehnten bewährte Praxis. Dies war auch immer im Interesse der Kraftwerksbetreiber. So konnten sie ihren Beitrag leisten für eine naturverträgliche Energieproduktion.
Der Ständerat will nun, dass sich die Kraftwerksbetreiber aus ihrer Verantwortung herauskaufen können. Neu sollen die personell oft unterdotierten Kantone zu einem späteren Zeitpunkt für die Umsetzung der Ersatzmassnahmen zuständig sein. Dies würde bedeuten, dass der Ersatz zu spät, nur teilweise oder gar nicht umgesetzt würde. Dadurch wird der Naturschutz empfindlich geschwächt! Und wenn wir in Zeiten des massiven Artensterbens etwas nicht brauchen, dann ist es weniger Schutz für Tier- und Pflanzenarten.
Vorlage ist absturzgefährdet
Die Entscheide des Ständerats bringen nun die Vorlage in massive Schieflage und untergraben deren Mehrheitsfähigkeit. Das Verbandsbeschwerderecht ist ein Eckpfeiler des Umweltrechts und zentral für die Einhaltung der Gewaltenteilung. Die beschlossene Einschränkung dieses Rechts ist unnötig, unvernünftig und nicht verhältnismässig. Die Ersatzmassnahmen müssen bei Eingriffen in schutzwürdige Lebensräume weiterhin gesichert sein. Auch in weiteren Punkten ist die Vorlage in ihrer derzeitigen Form schädlich für die in der Schweiz besonders stark gefährdete Biodiversität. Hier muss der Nationalrat den Entscheid des Ständerats dringend korrigieren.
Es gibt einen Merksatz: Gesetze sind immer so gut wie die Menschen, die sie vollziehen. Den Ständerat mit dem Nationalrat neutralisieren wäre eine gute Idee. Aber ob das klappt ist unsicher, hängt davon ab, ob der Nationalrat mehr Umweltverantwortung hat als sein kleiner Bruder. Obs schlussendlich gar der Bundesrat richten soll? Das bezweifle ich. Mir scheint eher, dass sich die Schweiz als Rechtsstaat langsam aber sicher abmeldet.
Die Kraftwerke haben eine starke Lobby: Immer wieder berichten Medien über Rekordumsätze beim Export von in der Schweiz erzeugtem Strom: https://t1p.de/ew2ge und https://t1p.de/a8qcd
Grossunternehmen wie Axpo und die Berner Kraftwerke haben das Mäntelchen des «Umweltschutzes» angezogen und werben damit ungeniert auf Fernsehen SRF. Hier profitieren wenige sehr stark. In den meisten Schweizer Bergbächen überleben längst keine Fische mehr. Die Natur, die wir für unser eigenes Leben und das unserer Nachkommen brauchen, geht aus Geldgier zugrunde.
Wie viele solcher Entscheide braucht es eigentlich noch, bis die Umweltallianz ihre gescheiterte Strategie der Kooperation und der friedlichen Koexistenz mit all den unredlichen Vertretern von Politik und Wirtschaft ändert?
Solche Machenschaften müssen unbedingt viel mehr in der Bevölkerung verbreitet werden. Ausser von den Umweltverbänden in ihrer Bubble erfährt die Öffentlichkeit kaum etwas. Ängstliche Medien? Wieviel lassen wir uns noch gefallen, wie oft uns reinlegen? Wir «Umweltschützenden» sind meist viel zu lieb, zu freundlich, immer suchen wir Konsens und kompromisse. Dies wird zunehmend missbraucht. Einfach traurig.