Das Jahr 2022 war für die Biodiversität in der Schweiz und global kein gutes Jahr. Die Biodiversitätskrise wird insbesondere in der Politik noch immer zu wenig ernst genommen. Die Verabschiedung des Kunming-Montréal-Zielrahmens für die Biodiversität im Dezember ist ein Lichtblick. Jetzt braucht es eine wirksame und entschiedene Umsetzung.
Das Jahr 2022 begann für die Biodiversität bereits sehr schlecht – nämlich ohne den globalen Biodiversitäts-Zielrahmen, der eigentlich bereits 2020, an der Vertragsstaatenkonferenz der Biodiversitätskonvention in Kunming hätte verabschiedet werden sollen. Denn diese Konferenz war mehrfach verschoben worden.
Im Februar erfolgte der russische Angriff auf die Ukraine. Auch für die Naturschutz-Gemeinschaft war dieser Angriff ein schwerer Schlag. Nicht wenige haben persönliche Bekannte in ukrainischen Naturschutzorganisationen. Die Sorge um die Menschen im überfallenen Land ist gross. Und unzählige wertvolle Ökosysteme und Naturschutzgebiete wurden und werden durch den Krieg direkt in Mitleidenschaft gezogen.
Im März beschloss der Bundesrat ein Nein zur Biodiversitätsinitiative und beantragte einen indirekten Gegenvorschlag, der allerdings für den Erhalt der Biodiversität noch nicht genügt. In der Septembersession hat der Nationalrat daraus einen prüfenswerten Kompromiss gemacht.
Am 25. April war das Jubiläum 10 Jahre Strategie Biodiversität Schweiz SBS. Ein trauriger Anlass. Die Strategie basierte 2012 auf dem internationalen Biodiversitätsziel der 2010er-Jahre sowie auf den verfügbaren wissenschaftlichen Grundlagen für die Schweiz. Nur hat unser Land zehn Jahre lang nicht einmal einen ernsthaften Versuch gemacht, die Ziele zu erreichen. Die Bilanz zeigte: Keines der Ziele erreicht – ein verlorenes Jahrzehnt für die Biodiversität.
Im Sommer dann die Energiepolitik: Der Ausbau der Erneuerbaren Energien ist wichtig und dringend – einige Politikerinnen und Politiker versuchen aber, die Versäumnisse jahrzehntelanger Politik innerhalb von wenigen Wochen oder Monaten nachzuholen. Andere missbrauchen die Dringlichkeit sogar, um Partikularinteressen gegen die Natur durchzuboxen. Das bringt weder in Bezug auf Klimawandel noch in Bezug auf eine nachhaltige Förderung der Erneuerbaren echte Fortschritte.
Ein weiteres Jahr der Krisen und spezifisch der Biodiversitätskrise endete einigermassen versöhnlich. Im Dezember verabschiedeten beinahe 200 Staaten gemeinsam den Kunming-Montréal-Zielrahmen für die Biodiversität. Ein Teil der Ziele ist gut und ambitioniert, andere sind reine Absichtserklärungen, und eine Minderheit ist sogar ungenügend. Insgesamt ist die Verabschiedung des Kunming-Montréal-Zielrahmens für die Biodiversität aber ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung. Die Staatengemeinschaft anerkennt damit noch deutlicher als bisher, dass sich die Welt in einer ernsten Biodiversitätskrise befindet. Jetzt müssen rasch und entschieden die entsprechenden Massnahmen ergriffen werden, damit wir 2030 nicht mit leeren Händen dastehen. Nur eine konsequente und wirksame Umsetzung der internationalen Biodiversitätsziele auf nationaler Ebene hilft unserer Biodiversität tatsächlich und trägt dazu bei, unsere Lebensgrundlagen zu erhalten. Die Schweiz kann ihren Lebensgrundlagen und den künftigen Generationen kein weiteres verlorenes Jahrzehnt der Biodiversität zumuten.