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Honigbiene offiziell wieder als Wildtier anerkannt

Die Honigbiene ist nun in der Schweiz von offizieller Seite zum heimischen Wildtier erklärt. Der konkrete Schutz und die Förderung von wildlebenden Honigbienen bleiben hingegen weiterhin grösstenteils ungeklärt und werfen in den Augen der Experten multiple Fragen auf.

Text von Francis Cordillot und André Wermelinger, aus FREETHEBEES Bulletin – Nr. 18

Der Expertenbericht zum Status der Dunklen Honigbiene in der Schweiz wurde vom Bundesamt für Umwelt (BAFU) in Auftrag gegeben, weil im Frühling 2021 der nationale Gefährdungsstatus der Roten Liste Bienen von 1994 revidiert wird. Das Bundesamt wollte klären, wie mit der Honigbiene umzugehen sei. Das BAFU ist zuständig für Arten, die im Vollzugsbereich der Natur- und Heimatschutzgesetzgebung liegen. Die intensivwirtschaftlich genutzte Honigbiene liegt allerdings im Zuständigkeitsbereit der landwirtschaftlichen Gesetzgebung (Produktion und Zucht). Das Ziel des Expertenberichtes lag in der Klärung des Status und der Schutzbedürftigkeit der freilebenden Dunklen Honigbiene (der Unterart Apis mellifera mellifera) in der Schweiz. Er soll zudem helfen, mögliche Schutzmassnahmen für freilebende Völker in der Schweiz in Betracht zu ziehen.

Im Winter 2020 übergab die Expertengruppe den Endbericht dem BAFU. Die Redaktion des Gutachtens besorgten die Bienenexperten Christophe Praz (Info fauna – CSCF und Uni Neuenburg), Melanie Parejo (Zentrum für Bienenforschung, Agroscope und Institut für Bienengesundheit, Uni Bern) und Vincent Dietemann (Zentrum für Bienenforschung, Agroscope). FREETHEBEES wurde als betroffene Organisation mit wichtigem Fachwissen über wildlebende Honigbienen in der Schweiz in die Erstellung des Berichtes eingeladen.

Ergebnis: Eindeutig ein Wildtier

Wichtig und längst überfällig ist die mit dem Bericht klar und unmissverständlich festgehaltene Definition, dass es sich bei der Westlichen Honigbiene um ein heimisches Wildtier handelt. Das wurde auf Basis einer eingehenden Klärung vom Autor am Bundesamt für Umwelt bereits in 2015 durch den Rechtsdienst protokolliert, zwischenzeitlich aber wieder vergessen und dann im November 2019 gar durch dasselbe Bundesamt faktenwidrig und unwissenschaftlich negiert.

Schutz der Honigbiene noch unklar

Aber darf damit nun die als heimisches Wildtier bezeichnete Honigbiene in der Schweiz geschützt und gefördert werden, wie das FREETHEBEES seit der Gründung im Jahr 2013 anstrebt?

Im Prinzip ja, aber wegen fehlender wissenschaftlicher und rechtlicher Klärungen wären gemäss Expertenbericht einige Grauzonen noch zu klären.

Unter anderem sei der Nachweis der Eigenständigkeit freilebender Völker zu erbringen, also ihrer «Unabhängigkeit» von geimkerten Völkern, auch wenn sie von dort verwildert sind (Schwarmverhalten, Paarungsbiologie). Ferner müsse für eine Förderung im Sinne der Natur- und Heimatschutzgesetzgebung eine Gefährdung vorliegen, die durch den Gefährdungsstatus in der Schweiz belegt werde (Rote Liste der gefährdeten Bienen oder Liste der National Prioritären Arten). Aber eine Gefährdung können die Experten nicht erkennen, mangels Datengrundlage und wegen des Umstands, dass die Honigbiene praktisch überall die mit Abstand häufigste Bienenart ist, flächendeckend bis über die Baumgrenze.

Der Bericht hält immerhin fest: «Freilebende, sich selbsterhaltende Populationen, falls existierend, sind grundsätzlich schützenswert, insbesondere wenn diese der ursprünglichen einheimischen A. m. mellifera angehören. Es gäbe jedoch praktische und rechtliche Schwierigkeiten nur freilebende Völker der Unterart A. m. mellifera zu schützen: z.B. würde der Status von freilebenden Völkern oder Populationen anderer Unterarten oder Rassen unklar bleiben.»

Keine eindeutige Klärung des Status der Europäischen Honigbiene

Die Beauftragung der Expertengruppe mittels fünf zu klärenden Fragen fokussierte auf den Status der Dunklen Biene, also nur auf die Unterart Apis mellifera mellifera, auch Rasse genannt. So war es praktisch nicht möglich, zu einer eindeutigen Klärung des Status der Art Apis mellifera zu kommen. Beim Lesen des Expertenberichtes wird dieser Klimmzug und Spagat offensichtlich. So erstaunt es zudem kaum, dass es wildlebende Dunkle Honigbienen der Unterart Mellifera in der Schweiz kaum mehr geben dürfte. Einerseits wurde die Dunkle Biene weitgehend aus der Schweiz verdrängt und durch Import- und Zuchtrassen ersetzt oder genetisch hybridisiert. In den ganz wenigen Gebieten, wo sie noch rassenrein vorkommt, müsste sie gemäss Expertenbericht auch gleich noch genetisch unabhängig und abgekoppelt von der geimkerten Biene in der Natur existieren.

Fragliche Erörterung einer möglichen Wiederansiedlung der Mellifera-Unterart

Der Expertenbericht geht ohne Beweiserbringung davon aus, dass es in der Schweiz keine wildlebenden Honigbienen mehr gibt und blendet damit die Frage nach dem Schutz und der Förderung aus. Hingegen wird die Frage nach der einer «Wiederansiedelung» gestellt und diskutiert. Dass eine wildlebende Honigbienenpopulation nur dann als wildlebend existieren kann, wenn diese von der imkerlich betreuten Population geografisch isoliert vorkommt, wird von den Experten ohne jegliche wissenschaftliche Basis dem Bericht zugrunde gelegt. Daraus schliessen sie, dass es «eine grosse Fläche mit genügend Nistplätzen und Nahrungsressourcen fernab bewirtschafteter Völker braucht, um eine freilebende Population langfristig und genetisch isoliert zu erhalten», dies auch, um einem möglichen lokalen Aussterben durch eingeschleppte Varroa-Milben zu entgehen.

Ein isoliertes Gebiet solchen Ausmasses mit passenden Lebensräumen ist in der Schweiz wahrscheinlich nicht zu finden und «mögliche Auswirkungen einer Wiederansiedlung auf bewirtschaftete Völker müssten berücksichtigt werden.» Bei dieser Grundannahme kann nicht einmal der Kanton Glarus als Schutzgebiet der Unterart Mellifera sich dafür eignen. Und abgesehen davon, ist sowohl aufgrund der Verbreitung auf Artniveau als auch die Voraussetzung für eine Wiederansiedlung nach Art. 18 Abs. 3 des Natur- und Heimatschutzgesetzes nicht erfüllt. Für eine Erhaltung oder Wiederansiedlung freilebender Honigbienenpopulationen müssten die Anliegen aller Beteiligten, insbesondere die 18’000 Imker*innen in der Schweiz berücksichtigt werden. Weiter gebe es wissenschaftlichen Klärungsbedarf mit mehrjährigen Felddaten inkl. genetischer Analysen rund um sich selbsterhaltende freilebende Wildpopulationen. Unter den einschränkenden Rahmenbedingungen kann man sich auch die Felddaten sparen, der Aufwand würde das bereits im Vorfeld bekannte Resultat kaum rechtfertigen.

Schlecht begründete Bedenken einer Gefährdung von imkerlich betreuten Wirtschaftsvölker durch wildlebende Honigbienenvölker

Die Möglichkeit der Einflussnahme auf den Expertenbericht hat sich auch der Imker Dachverband apisuisse nicht entgehen lassen. Beim Lesen des Berichtes fällt auf, dass unverhältnismässig oft und für einen sachlichen und objektiven Bericht überstark akzentuiert Bedenken einer Gefährdung von imkerlich betreuten Wirtschaftsvölkern durch wildlebende Honigbienenvölker geäussert werden. Diese durch imkerliche Partikularinteressen eingebrachte Bedenken in Sachen Krankheits- und Parasitenverbreitung können wissenschaftlich entkräftet werden. Wildlebende Bienenvölker im natürlichen Habitat haben vielfältige Abwehrmechanismen entwickelt, die sich unter Imkerbedingungen nicht oder nur sehr viel geringer einstellen können. Die übernatürlich hohe Krankheitsverbreitung geht unzweifelhaft von der intensiven Imkerei aus, nicht von wildlebenden Honigbienenvölkern. Immerhin vermerken die Gutachter, dass «wenn freilebende Populationen selbsterhaltend sind, und in geringen Dichten vorkommen, von ihnen wahrscheinlich allgemein eine geringe Gefahr der Krankheitsübertragung auf bewirtschaftete Völker ausgeht.»

Auch wird noch kurz auf die Nahrungskonkurrenz zwischen Honigbienen und den anderen Wildbienenarten eingegangen. Da freilebende Honigbienenvölker wahrscheinlich nur in geringeren Dichten anzutreffen sind, ist kaum Konkurrenz zu erwarten. «Sie sind einiges kleiner als von Imker*innen in grossen Beuten gehaltene Völker und verbrauchen somit weniger Ressourcen, vor allem auch, weil der Honig nicht geerntet wird. Negative Auswirkungen auf Wildbienen und andere Bestäuber durch Ressourcenkonkurrenz sind vor allem bei hohen Dichten bewirtschafteter Honigbienenvölker problematisch.» «Es ist anzunehmen, dass die Auswirkungen freilebender, selbsterhaltender Honigbienenpopulationen auf Wildbienen unter Berücksichtigung ihrer geringen Dichte und der Tatsache, dass die A. mellifera in der Schweiz eine einheimische Wildtierart ist, natürlich wären».

Fazit: Etappenerfolg auf dem Weg zum Schutz und zur Förderung von wildlebenden Honigbienenvölkern!

Die einschränkenden Fragestellungen im Gutachten mit dem Fokus auf die Unterart und der Auffassung, dass keine wildlebende Population im Flugradius von Imkerbienen sein darf, schliesst andere mögliche Antworten aus. Aber der Bericht ist grundsätzlich aufschlussreich und bietet ein breit recherchiertes Literaturverzeichnis. Den multiplen Herausforderungen hat sich die Expertengruppe verhältnismässig gut gestellt und das herausgeholt, was unter den gegebenen Rahmenbedingungen überhaupt möglich war. Aber neben einigen erfreulichen und längst überfälligen Feststellungen erkennt man im Bericht vielfältige Verzerrungen, fehlende Visionen und komplette Mutlosigkeit zur Lösung der wirklichen Probleme. Der berühmte gutschweizerische Kompromiss, der niemandem wirklich hilft, zuletzt der Honigbiene.

Kann der Bericht seinem ursprünglichen Ziel überhaupt gerecht werden?

Wie wäre der Bericht ausgefallen, ohne die bereits erwähnten Verzerrungen? Die heimische Westliche Honigbiene (Apis mellifera) dürfte in der Schweiz in freier Wildbahn weiterhin existieren, worauf laufend eingehende Fundmeldungen bei FREETHEBEES und mehrjährige Beobachtungen einiger wildlebender Völker unmissverständlich hindeuten. Da gemäss aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse die Honigbiene kaum domestiziert ist wie ein Haustier (Rind, Schwein) und Imker im Kern das Wildtier halten, drückt die Bezeichnung von Wildtier und Nutztier lediglich aus, ob sie frei oder unfrei gehalten wird. Weiter benötigt die Honigbiene keine Wiederansiedelung wie im Expertenbericht diskutiert, weil nur schon der Schutz und die Förderung der weiter wildlebenden Völker genügt. Und wie der Expertenbericht selbst zum Schluss kommt, wäre das «Vorkommen freilebender, selbsterhaltender Honigbienenpopulationen aus verschiedenen Gründen wünschenswert». Denn nur in der Natur kann sich die Honigbiene an aktuelle und zukünftige Umweltveränderungen anpassen. Halten wir sie nur mehr in der Imkerei, unterbinden wir ihre Anpassungsfähigkeit. Die Folge ist der Stopp ihrer mehr als dreissig Millionen jährigen erfolgreichen natürlichen Evolution.

Dieser Artikel ist von FREETHEBEES. Antworten zu Fragen rund um die Honigbiene finden Sie auf der Webseite von FREETHEBEES oder auf Facebook und Instagram.

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