Die Umsetzung des gesetzlich vorgeschriebenen Naturschutzes ist in der Schweiz vielerorts in Verzug. Es fehlt vor allem an personellen und finanziellen Mitteln. Dabei würden Investitionen in den Schutz der Natur heute, der nächsten Generation Folgekosten in Milliardenhöhe ersparen.
Nachdem die nationalrätliche Umweltkommission das vorgesehene Budget von zusätzlich 276 Millionen Franken für dringend nötige Massnahmen im Naturschutz für die nächsten 4 Jahre gänzlich streichen will (naturschutz.ch berichtete), wirft Pro Natura einen Blick auf Finanzierunglücken im Schweizer Naturschutz.
Eine aktuelle, aber nicht vollständige Liste:
- Unterhalt der Biotope von nationaler Bedeutung: Die Biotope von nationaler Bedeutung sind das Herz der Schweizer Natur. Sie machen nur gerade 2 Prozent der Landesfläche aus und sind seit vielen Jahren gesetzlich geschützt. Eine kantonale Erhebung von 2021 zeigt allerdings, dass Dreiviertel der rund 7’100 nationalen Biotopobjekte ungenügend geschützt und gepflegt werden. Laut einer Studie des Bundes bräuchte es für den gesetzeskonformen Schutz und Unterhalt jährlich 126 Millionen Franken sowie einen einmaligen Betrag von 1.6 Milliarden Franken für Sanierungen. Dieser Betrag fehlt heute und gefährdet damit den Erhalt der wichtigsten Naturschutzgebiete. Gemäss Bundesamt für Umwelt sind der rechtlich vorgeschriebene Schutz und Unterhalt der Biotope dadurch nicht gewährleistet.
- Gewässerrevitalisierungen: 75 Prozent der einheimischen Fische sind durch die Zerstörung ihrer Lebensräume bedroht. Um dem Verlust von Gewässerlebensräumen entgegenzuwirken, hat der Bund 2010 beschlossen, bis 2090 4000 Kilometer Gewässer zu renaturieren. Seither wurden jährlich knapp 20 Kilometer renaturiert – notwendig wären mehr als doppelt so viel. Allein 2024 fehlen für die Umsetzung von Revitalisierungsmassnahmen rund 32 Millionen Franken.
- Ökologische Sanierung von Wasserkraftanlagen: Gewässer sind die am stärksten bedrohten Lebensräume der Schweiz. Seit 2011 sind im revidierten Gewässerschutzgesetz ökologische Sanierungen der Wasserkraftanlagen vorgeschrieben. Erst ein Bruchteil davon ist heute umgesetzt. Die dafür notwendigen Gelder, die wir alle über den Strompreis bezahlen, reichen zudem kaum aus, um das Ziel bis 2030 zu erreichen.
- Ersatzmassnahmen bei der Wasserkraftnutzung: Aufgrund der vielen Verbauungen sind heute weniger als 5 Prozent der Schweizer Fliessgewässer intakt. Wenn Konzessionen alter Wasserkraftwerke ablaufen, mussten diese bisher Wiederherstellungs- oder Ersatzmassnahmen für ihre Beeinträchtigung der Natur leisten. So sieht es das Gesetz seit den 80er Jahren vor. Grundsätzlich wurde der Umfang der Massnahmen am ursprünglichen, unbeeinträchtigten Zustand bemessen. In seiner Zeit als Nationalrat hat Albert Rösti eine parlamentarische Initiative eingereicht, die neu den aktuellen Zustand mit den bestehenden, teils massiven Beeinträchtigungen, als Referenz setzt. Damit werden Wasserkraftwerke, die vor den 80er Jahren gebaut worden sind, nie Ersatzmassnahmen leisten müssen. Der Natur entgehen damit die nötigen Mittel zur Verbesserung der Biodiversität.
- Böschungsunterhalt der SBB: Bahnböschungen bedecken in der Schweiz die Fläche von 3500 Fussballfelder. Sie könnten Ersatzlebensraum für bedrohte Tiere und Pflanzen sein und der Bundesbetrieb hat auch die Zielvorgabe bis 2030, 20 Prozent der Böschungen naturnah zu pflegen. Aufgrund des internen Spardrucks erreichen die SBB aktuell gerade einmal 5%.
Untätigkeit kann Milliarden kosten
Economiesuisse schätzt den Wert einer intakten Natur für den Schweizer Tourismus auf 19,3 Milliarden Franken pro Jahr und Agroscope die jährliche Bestäubungsleistung auf rund 350 Millionen Franken. Was auf uns zukommt, wenn das Artensterben ungehindert weitergeht und solche Ökosystemleistungen einbrechen, zeigt eine Kostenschätzung des Bundesrates: «ein Nichthandeln in der Schweiz würde ab 2050 Kosten von jährlich 14 bis 16 Milliarden Franken verursachen.»
Die Biodiversitätsinitiative, die am 22. September zur Abstimmung steht, verlangt deshalb von Bund und Kantonen, dass sie die erforderlichen Mittel zum Erhalt der Lebensgrundlagen bereitstellen. Der Bundesrat schätzt die Umsetzungskosten auf rund 400 Millionen Franken pro Jahr, ein Bruchteil der geschätzten Folgekosten des Biodiversitätsverlustes. Mit einem JA am 22. September hinterlassen wir den künftigen Generationen anstatt eines Schuldenbergs eine intakte Natur.