Roter Zahntrost, Schlangenmaul oder Venus-Frauenspiegel kennen heutzutage viele Leute nicht mehr. Diese Pflanzen sind Teil des Lebensraums Acker und haben viele wertvolle Eigenschaften. Doch die Vielfalt der Ackerbegleitpflanzen ist in den letzten Jahrzehnten stark zurückgegangen.
Der Getreideanbau hat in der Schweiz eine über 7000-jährige Tradition. Bereits in der Jungsteinzeit bauten sesshafte Bauern Emmer und Einkorn an. Die damaligen Äcker waren klein, arbeitsintensiv und lieferten geringe Erträge. Früher waren Äcker bunt: Kornblumen, Mohn, Rittersporn und Ackerhahnenfuss prägten das Bild. Zwischen dem lückig wachsenden Getreide fiel viel Licht auf den Boden – gute Wachstumsbedingungen für kleine einjährige Pflanzenarten. Die Arten der Ackerbegleitflora haben sich über Jahrtausende an die Bewirtschaftung durch den Menschen angepasst, die meisten von ihnen weisen einen ähnlichen Entwicklungszyklus wie Getreide auf. Sie sind «Pionierpflanzen», deren Lebensstrategie auf Überleben trotz Störung durch jährliches Pflügen etc. ausgelegt ist. Ihre Samen können oft jahrzehntelang im Boden überdauern, um dann bei geeigneten Bedingungen zu keimen. In den letzten hundert Jahren hat sich der Ackerbau jedoch massiv verändert und intensiviert. So hat er zur Versorgung der wachsenden Bevölkerung beigetragen. Durch stärkere Düngung, neue ertragreichere Sorten und Herbizide dominieren heute jedoch dicht wachsende, unkrautfreie Monokulturen die Landwirtschaft. Dies lässt der Ackerbegleitflora kaum mehr Raum zum Aufkommen. So sind heute viele Arten der Ackerbegleitflora gefährdet oder vom Aussterben bedroht.
Faszinierende Arten
Einige dieser Pflanzenarten sind heute so selten, dass sie nur durch gezielte Förderprogramme erhalten werden können. Der Verein Hot Spots engagiert sich für die Erhaltung artenreicher Kulturlandschaften und hat deshalb ein solches Förderprogramm ins Leben gerufen. Ziel ist es, diese besonderen Lebensräume langfristig zu bewahren. Er unterstützt Landwirtschaftsbetriebe bei der Umsetzung von Fördermassnahmen für die Ackerbegleitflora und sucht nach Potenzialflächen in den Kantonen Zürich und Schaffhausen.
Die Förderung der Ackerflora muss direkt auf den Produktionsflächen erfolgen. Das vereint die Anliegen des Naturschutzes und der Landwirtschaft auf eine einmalige Weise, es geht nur Hand in Hand. Die Pflanzen der Ackerflora benötigen regelmässigen Pflugeinsatz, gleichzeitig auch mehr Licht am Boden als in ertragsreichen Feldern üblich.
Eine dieser seltenen Arten ist die Acker-Waldnelke. Die weissen Blüten der Acker-Waldnelke sind eine attraktive Nahrungsquelle für Nachtfalter: Sie öffnen sich abends und locken dann mit ihrem Duft die Nachtfalter an. Von der häufigeren Weissen Waldnelke kann man die Acker-Waldnelke mit einem einfachen Test unterscheiden: Beim Berühren sind die Blütenköpfe der Acker-Waldnelke aussen klebrig. Gemäss der Roten Liste der Schweiz gilt die Art als gefährdet. Dies bedeutet, dass das Risiko des Aussterbens dieser Art als hoch eingestuft wird. Ein Acker, auf dem die Art noch vorkommt, liegt im Rafzerfeld im Norden des Kantons Zürich. Im Rahmen des Projektes wird die Landwirtin bei der Bewirtschaftung des Ackers zugunsten der Ackerflora beratet und begleitet.
Vielfältige Ansprüche
Damit die Acker-Waldnelke versamen kann, ist es wichtig, nach der Ernte noch einige Wochen die Stoppeln stehen zu lassen und nicht sofort umzubrechen. Gleichzeitig muss auch darauf geachtet werden, dass unerwünschte Problempflanzen nicht zu stark aufkommen. Ob man die einzelnen Arten als Unkraut oder Begleitflora einstuft, hängt von ihrer Auswirkung auf den Ertrag ab: Pflanzen, die diesen nicht beeinträchtigen, fördern die Vielfalt und Bodengesundheit. Problematische Arten wie Ackerkratzdisteln oder Blacken gelten jedoch als Unkraut. Sie können sich im Acker so stark vermehren, dass der Ertrag des Getreides deutlich niedriger wird. Das Ziel in der Ackerfloraförderung ist sowohl langfristige Produktion wie auch gute Ackerflorabestände.
Ackerfloraförderung ist keine simple Aufgabe. Wer die Biodiversität der Pflanzen im Acker erhöhen möchte, kann bei der Wahl der Kulturpflanze, der Sorte und der Aussaat verschiedene Massnahmen ergreifen. Das Getreide ist die wichtigste Kulturpflanze, um seltene Ackerarten zu fördern, da die meisten Ackerbegleiter an den Entwicklungszyklus von Getreidearten angepasst sind. Für die Ackerbegleitflora ist es von Vorteil, wenn die Halme nicht zu dicht stehen, dann haben sie genügend Platz zum Wachsen. Daher eignen sich auch ältere, langstrohige Sorten wie Emmer und Einkorn, aber auch Roggen und Hafer relativ gut. In der Regel ist eine wendende Bodenbearbeitung Pflicht. So können die Samen von selteneren Arten von den tieferen Bodenschichten nach oben geholt werden. Allenfalls empfiehlt sich auch ein einmaliges tiefes Pflügen, um das frühere Samen-Potenzial zu aktivieren. Auf den ertragsschwächeren Böden, die sich für eine intensive Produktion sowieso nicht eignen, lassen sich die seltenen Pflanzen am besten fördern.
Wertvolle Ökosystemdienstleistungen
Ein blühender Acker ist ein Gewinn für alle: Die Bevölkerung schätzt die Farbtupfer in der Landschaft. Die Ackerflora bedeckt den Boden und schützt vor Erosion und verhindert die Dominanz hartnäckiger Unkräuter. Zudem bieten die Pflanzen Nahrung und Unterschlupf für Bestäuber und andere Nützlinge. Steht man in einem Acker mit viel Begleitflora, summt und brummt es um einen herum: So besuchen beispielsweise Hummeln sehr gerne die Rote Taubnessel oder den Mohn. Die Raupe des Kleinen Perlmutterfalters entwickelt sich nur auf dem Ackerstiefmütterchen. Der Erdrauch oder Weisse Gänsefuss bieten bodenbrütenden Vögeln wie Grauammer, Wachtel oder Feldlerche wichtige Samen. Auch Laufkäfer, welche ihrerseits Schädlinge fressen, finden Unterschlupf in einem bewachsenen Acker.
Wer also das nächste Mal an einem steinigen, ertragsärmeren Acker vorbeikommt, kann etwas genauer hinschauen. Auf Kuppen oder kleinen Hügeln im Acker, am Feldrand oder in einer Ecke zum Wenden lässt sich vielleicht der eine oder andere Schatz im Acker entdecken.




