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Regionales Mahdgut für die Biodiversität

Das Resultat des bei Neuanlagen und Aufwertungen von Blumenwiesen vorwiegend verwendeten Standardsaatgut: Landauf, landab sehen die Wiesen ähnlich aus. Als Alternative bietet sich die Mahdgutübertragung an. Eine neue Studie zeigt, dass dies zu hervorragenden Resultaten führt.

Dieser Artikel ist erschienen im Pro Natura Magazin 01/23. www.pronatura.ch/de/magazin

Jährlich werden in der Schweiz Hunderte Hektaren Wiesen neu gesät. etwa auf Biodiversitätsförderflächen, entlang von Strassen und Schienen, auf Hochwasserdämmen, im Siedlungsraum oder auf Skipisten. In den meisten Fällen wird dabei Standardsaatgut verwendet. Dies trägt dazu bei, dass regional unterschiedliche Wiesentypen und Artenzusammensetzungen verschwinden. Damit geht sehr viel verloren, denn selbst innerhalb einer Pflanzenart gibt es auf lokaler Ebene grosse genetische Unterschiede. Entstanden sind diese durch die Anpassung von Pflanzen an die jeweiligen Standort- und Nutzungsbedingungen. Äusserlich ist die genetische Vielfalt oft nur schwer zu erkennen, sie ist aber für die Stabilität (Resilienz) der Ökosysteme sehr wichtig und gewinnt mit dem Klimawandel an Bedeutung.

Ungenügende Auflagen

Dass bei Neuanlagen und Aufwertungen von Wiesen auch heute noch grösstenteils Standardsamenmischungen verwendet werden, erstaunt: Bereits 2009 gab die Schweizerische Kommission für die Erhaltung von Wildpflanzen die Empfehlung heraus, dass das verwendete Saatgut zumindest aus der gleichen biogeografischen Region stammen soll, besser noch aus der direkten Umgebung. Und die Biodiversitätsstrategie des Bundes verfolgt seit 2012 das Ziel, nicht nur die Vielfalt der Lebensräume und Arten zu erhalten, sondern auch die genetische Vielfalt innerhalb der Arten. Woran also hapert es? «Als Bremsen wirken die Auflagen und öffentlichen Ausschreibungen, die nur in wenigen Fällen regionales oder lokales Saatgut einfordern», sagt Andrea Lies, Projektleiterin in der Abteilung «Biotope und Arten« bei Pro Natura. Insbesondere für die Begrünung öffentlicher Infrastrukturprojekte würden deshalb hauptsächlich Saatgutmischungen verwendet, die keine regionalen oder lokalen Ökotypen enthielten.

Dabei gäbe es durchaus Alternativen: Die grossen Saatguthersteller haben sich in den letzten Jahren bemüht, verstärkt regionales Saatgut auf den Markt zu bringen. Für die biogeografischen grossregionen (z.B. Jura, Voralpen, Tessin) und für einige Teilregionen sind heute spezifische Saatgutmischungen verfügbar. Mit den Methoden der «Direktbegrünung» lassen sich Blumenwiesen gar mit lokal vorkommenden Arten ansäen. Bei diesen Ansaatmethoden wird das Saatgut nicht zwischenvermehrt, sondern direkt von der einen Fläche auf die andere gebracht. Entweder über das Mahdgut (Heugrassaat) oder über die Heudruschsaat: Bei Letzterer wird das Saatgut auf der einen Fläche geerntet (gedroschen, gebürstet, gesammelt) und auf der anderen Fläche ausgebracht. Die Direktbegrünung wird seit 2014 vom Projekt «Region Flora» gefördert. Herzstück des von pro Natura initiierten Projekts ist eine Webseite mit umfangreichen Informationen zu Direktbegrünungstechniken und einer Datenbank mit Saatgut-Spenderflächen in den Regionen.

Direktbegrünung: gute Resultate

Grosses Potenzial für die Direktbegrünung ergibt sich im Landwirtschaftsgebiet, wo auf Biodiversitätsförderflächen (BFF) jedes Jahr ca. 500 Hektaren Wiesen neu angelegt oder aufgewertet werden. Erreichen die BFF-Wiesen das botanische Qualitätslevel QII, so wird dies mit zusätzlichen Geldern abgegolten. Viele Landwirtinnen und Landwirte sind allerdings skeptisch, ob die Mahdgutübertragung zum gewünschten Resultat führt. Die Berater empfehlen ihnen die günstigen und bewährten Standardmischungen. nur geschätzte fünf Prozent der jährlichen Neusaaten erfolgen per Mahdgutübertragung. Dass sich die QII-Qualität auch damit sicher und kostengünstig erreichen lässt, zeigt nun eine neue Studie die im Rahmen des Projekts Region Flora durchgeführt und von Pro Natura finanziert wurde.

Der biologe Wolfgang Bischoff hat 13 Direktbegrünungen im dritten jähr nach der Ansaat mit 15 Ansaatflächen verglichen, die ebenfalls drei Jahre zuvor mit Standard- oder Spezialsaatgut (mit zusätzlichen und höheren Anteilen an QII-Arten) angesät wurden. Die Analysen zeigen, dass die Direktbegrünung sogar eine noch höhere Anzahl an QII-Arten aufweisen als Flächen, die mit Standard- und Spezialmischungen angesät wurden. Lies sieht in der Direktbegrünung «ein effizientes verfahren», um die – insbesondere im Talgebiet bestehende – grossen Defizite an artenreichen Wiesen zu verringern und die autochthonen (gebietseigenen) Blumen- und Gräserarten zu erhalten. Das Verfahren biete sich auch bei der Umsetzung der ökologische Infrastruktur an. In den nächsten Jahren sollen Hunderte von Hektaren Land durch Ansagten aufgewertet werden. «Die Verwendung von regionalem Saatgut ist ein «Must»», erklärt Andrea Lips. «Der Bund und die Kantone müssen dahingehend verbindliche Vorgaben definieren.»

Auch Käfer und Spinnen zügeln mit

Bei der Mahdgutübertragung wir das frisch geschnittene Heu einer Spenderwiese auf dem (teils stark) bearbeiteten, offenen Boden einer neu zu schaffenden Wiese verteilt. Dass sich mit dieser Methode die Pflanzen sehr gut etablieren, ist seit Längerem bekannt. Nun zeigt eine Studie von Daniel Slodowicz von der Universität Bern, dass mit dem Mahdgut auch bodenbewohnende Insekten erfolgreich übertragen werden: Pro Quadratmeter wurden auf der Empfängerwiese durchschnittlich neun Insekten-Individuen gezählt, insbesondere Käfer und Spinnen. Auch wies die Studie nach, dass die Bearbeitung des Bodens (eggen/pflügen) keine negativen Auswirkungen auf die Insekten und Spinnen hat. Sie liefert also klare Argumente dafür, dass bei einer Denaturierung anstelle einer Samenmischung frisches Schnittgut einer hochwertigen Spenderfläche verwendet werden sollte. Nur auf diese Weise gelangen nebst den Pflanzenarten sofort auch wirbellose Tiere auf die neue Fläche.

Die Studie (pdf) von Wolfgang Bischoff finden Sie hier.

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