Zwei Studien zeigen erneut, dass Gewässer in landwirtschaftlich genutzten Einzugsgebieten stark mit Pflanzenschutzmitteln belastet sind. Die Konzentrationen einzelner Stoffe stellen über Monate hinweg ein Risiko für chronische Schäden der Pflanzen und Tiere im Wasser dar.
Vom März bis im Oktober 2017 haben die Eawag und das Oekotoxzentrum Proben aus fünf kleineren Bächen genommen. Wie die Eawag berichtet, wurden die Einzugsgebiete der Bäche dabei jeweils unterschiedlich landwirtschaftlich genutzt. Untersucht wurden die Proben auf Pflanzenschutzmittel. Die Resultate sind besorgniserregend. Die Konzentration von Pflanzenschutzmitteln liegen längere Zeit über Werten, ab denen für Pflanzen und Tiere im Wasser ein akut toxisches Risiko besteht. In den meisten Proben wurden 30 oder mehr verschiedene Wirkstoffe gemessen. Untersuchungen der Artenvielfalt in den Bächen und Biotests bestätigen die Gefahr, welche von diesen Stoffgemischen ausgeht.
Bachlebewesen langanhaltendem Risiko ausgesetzt
Pro Standort wurden zwischen 71 und 89 Wirkstoffe gefunden, insgesamt 145 Stoffe. Für jeden Stoff wurde mittels Tests Umweltqualitätskriterien festgelegt. Diese wurden in allen fünf Bächen überschritten. Über dreieinhalb bis sechseinhalb Monate lang, das heisst stellenweise während der ganzen Vegetationszeit, bestand ein Risiko für eine chronische Schädigung der Organismen im Bach. Während 14 bis 74 Tagen war das Risiko so hoch, dass mit akuten Beeinträchtigungen der Lebensgemeinschaften gerechnet werden muss. Zu diesem Befund führten einzelne besonders problematische Stoffe, aber schliesslich auch die ganze Mischung aus Herbiziden, Fungiziden, Insektiziden und weiteren Mitteln. Die Schwelle, ab welcher negative Effekte auf Fortpflanzung, Entwicklung und Gesundheit von Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen befürchtet werden müssen, wurde mehrmals überschritten. Im Eschelisbach (TG) lag das berechnete Risiko bis 36 mal und im Weierbach (BL) bis 50 mal über der Schwelle. Bei den wirbellosen Tieren zeigte sich, dass empfindliche Arten an belasteten Standorten schlicht fehlten.
Pauschaler Grenzwert aus Verordnung sagt wenig aus
Der aktuell gültige Grenzwert (Anforderungswert) für organische Pestizide der Gewässerschutzverordnung von 0.1 µg/L wurde von 66 Wirkstoffen ein- oder mehrmals überschritten. Darunter von den zwei Herbiziden Glyphosat und Mecoprop. Doch gerade diese zwei Beispiele von häufig eingesetzten Stoffen zeigen, dass der pauschale Anforderungswert wenig über die Gefahr für die Gewässerorganismen aussagt. Denn er berücksichtigt die ökotoxikologische Wirkung der Substanzen nicht. So sind negative Wirkungen von Glyphosat im Gewässer erst ab Konzentrationen zu befürchten, die über 120 µg/L liegen; gemessen wurden im Mittel 0.16 µg/L. Dagegen verletzten 18 Stoffe, die bereits in extrem tiefen Konzentrationen schädlich sind, ihre unterhalb von 0.1 µg/L liegenden Umweltqualitätskriterien. Einige als Nervengift wirkende Insektizide, welche erst seit kurzem überhaupt gemessen werden können, sind dabei noch gar nicht berücksichtigt. Vor solchen Wirkstoffen sind Gewässerorganismen durch den pauschalen Wert der Gewässerschutzverordnung viel zu wenig geschützt.
Von Jahr zu Jahr andere Stoffe
Zwei der fünf untersuchten Bäche (Eschelisbach/TG und Weierbach/BL) waren schon 2015 beprobt worden. Ein Vergleich der beiden Untersuchungsjahre zeigt ein sehr unterschiedliches Stoffspektrum. So sind im Weierbach insgesamt 21 Substanzen problematisch für Wasserlebewesen. Davon zeigten aber nur vier davon in beiden Jahren zu hohe Konzentrationen. Als Gründe dafür kommen vor allem das Wetter und die Lage der jeweiligen Anbauflächen zum Gewässer in Frage. Während die Gesamtbelastung im Eschelisbach 2017 leicht höher war als 2015, ging sie im Weierbach zurück.
Die breite Palette an eingesetzten Stoffen und die hohe zeitliche Variabilität machen zwei Punkte deutlich: Die Gewässerüberwachung muss ein breites Spektrum an Wirkstoffen im Auge behalten. Aktuell könnte die Messung von rund 50 Pflanzenschutzmitteln laut Bodenhydrologe Christian Stamm von der Eawag gut 75 Prozent des Risikos erklären. Und zur Reduktion der Gewässerbelastung brauche es ein ganzes Bündel an Massnahmen: «Dazu zählen der Ersatz von besonders kritischen Stoffen, eine generelle Reduktion des Einsatzes von Pflanzenschutzmitteln und das Minimieren von Verlusten aus den Anbauflächen – alles Punkte, die im Nationalen Aktionsplan Pflanzenschutzmittel vorgesehen sind und nun möglichst rasch umgesetzt werden müssen», sagt Stamm.
Repräsentativ für viele Schweizer Bäche
Die hohe Zahl an Pestiziden in Schweizer Gewässern – vor allem Pflanzenschutzmittel aus der Landwirtschaft – ist spätestens seit Studien von 2012 und 2015 bekannt. Doch deren Ergebnisse wurden auch in Frage gestellt: Die gewählten Gewässer seien nicht repräsentativ und es sei unklar, welcher Anteil der Wirkstoffe aus nicht-landwirtschaftlichen Anwendungen stammten. Für die Kampagne 2017 haben die Forschenden daher aufgezeigt, dass in den beprobten Bächen praktisch kein Siedlungsabwasser mitgemessen wird. Zudem liegen die Standorte zwar in intensiv genutzten Einzugsgebieten, diese sind aber durchaus nicht aussergewöhnlich. «Bei vier von fünf Bächen würde selbst eine zehnfach extensivere Landwirtschaft im Einzugsgebiet wohl noch zu Überschreitungen der Qualitätskriterien führen», sagt Christian Stamm, «in diese Kategorie fallen rund 13‘000 Kilometer Schweizer Bachläufe.»
Die Resultate der Studie wurden im Umfang von zwei Artikeln in der Zeitschriften «Aqua&Gas» publiziert. Hier kommen Sie direkt zu dem Artikel «Ökotoxikologische Untersuchungen bestätigen Risiko von Pflanzenschutzmitteln» und dem Artikel «Anhaltend hohe Pflanzenschutzmittel-Belastung in Bächen».