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Alpwirtschaft kann Pflanzenvielfalt fördern

Menschliche Aktivitäten wirken sich nicht nur negativ auf die Biodiversität aus. Ein internationales Team von Forschenden mit massgeblicher Beteiligung der Universitäten Bern und Basel zeigt, dass die Pflanzenvielfalt in der Berglandschaft zugenommen hat, seit Alpwirtschaft betrieben wird. Um diese Biodiversität zu bewahren, muss deshalb auch darüber nachgedacht werden, wie die Alpen in Zukunft weiterbewirtschaftet werden.

Das Sulsseewli hoch über dem Lauterbrunnental im Berner Oberland ist ein kleiner Bergsee, wie es sie in den Alpen zu Hunderten gibt. Doch nun hat der See ein Stückchen Wissenschaftsgeschichte geschrieben. Er lieferte die Grundlagen für die bis anhin detaillierteste paläoökologische Rekonstruktion der alpinen Vegetation der Vergangenheit. Ein internationales Team unter Führung von Sandra Garcès-Pastor und Inger Alsos vom arktischen Universitätsmuseum Norwegens, mit massgeblicher Beteiligung der Universitäten Bern und Basel, hat Ergebnisse dieser Rekonstruktion soeben in der Fachzeitschrift Nature Communications publiziert.

«Wir konnten mit neusten Methoden zeigen, dass die heutige hohe Vielfalt von Pflanzengemeinschaften und -arten in Teilen der alpinen Landschaft auch auf den Menschen zurückzuführen ist», sagt der Paläoökologe Christoph Schwörer vom Oeschger-Zentrum für Klimaforschung der Universität Bern, einer der Autoren der Studie. Besonders die Landschaften und Weiden in der subalpinen Stufe, unterhalb der Baumgrenze, sind heute sehr artenreich.

Rodung von Wäldern schuf neue ökologische Nischen

Das war allerdings nicht immer so. Pollen- und DNA-Analysen von Sedimentproben aus dem 1’900 Meter über Meer gelegenen Sulsseewli belegen, dass die Artenvielfalt von Pflanzen in der Umgebung des Sees mit der menschlichen Landnutzung stark anstieg. Zu Beginn des untersuchten Zeitintervalls reagierte die Vegetation vor allem auf klimatische Veränderungen, wie Temperatur und Niederschlag. Vor 6’000 Jahren dann machten sich immer stärker auch die menschlichen Aktivitäten bemerkbar. Zuerst wurde das Vieh nur gelegentlich zum Grasen in die Höhe geführt, doch in der Bronzezeit setzte sich die Alpwirtschaft durch. «Um Alpweiden zu schaffen, mussten unsere Vorfahren zuerst Wälder roden», erklärt Christoph Schwörer, «so entstanden neue ökologische Nischen und Lebensräume.»

Es konnten Pflanzenarten nebeneinander koexistieren, die normalerweise auf unterschiedlichen Höhenstufen anzutreffen sind. Das führte zu der heute für diese Region charakteristischen Pflanzenvielfalt. «Unsere Ergebnisse», so Schwörer, «beleuchten den Zusammenhang zwischen extensiver Weideviehhaltung, genügend Niederschlag und der einzigartigen subalpinen und alpinen Pflanzenvielfalt in den europäischen Alpen.» Allerdings hängen die positiven Folgen der Alpwirtschaft auch stark von deren Intensität ab. So ist zum Beispiel bekannt, dass sich der intensive Einsatz von Dünger negativ auf die Vielfalt auswirkt und dass dort, wo Bauern auf den Alpweiden Gülle ausbringen, die Zahl der Arten dramatisch abnimmt.

Klimaerwärmung und Verwaldung gefährdet Artenvielfalt in den Alpen

Der Zusammenhang zwischen Bewirtschaftung und Biodiversität ist nicht nur historisch gesehen interessant, er ist auch für die künftige Entwicklung wichtig. Die Artenvielfalt in den Alpen steht nämlich doppelt unter Druck: Einerseits werden zahlreiche Pflanzenarten wegen den steigenden Temperaturen als Folge des Klimawandels in die Höhe ausweichen. Das wird den Lebensraum für alpine Pflanzen, die an kalte Temperaturen angepasst sind, verkleinern. Anderseits wirkt sich auch die veränderte Landnutzung in den Bergen negativ aus. Weil in den vergangen 50 Jahren auf zahlreichen Alpen die Bewirtschaftung aufgegeben wurde, dehnte sich der Wald aus, und die für Wiesenpflanzen geeigneten Flächen nahmen ab.

So gesehen kommt der Alpwirtschaft in Zeiten des Klimawandels eine neue Bedeutung zu: «Um angesichts der fortschreitenden Klimaerwärmung die derzeitige hohe Pflanzenvielfalt subalpiner und alpiner Ökosysteme zu erhalten», heisst es in der Studie, «könnte in Gebirgsregionen mit einer langen Geschichte menschlicher Eingriffe, wie den europäischen Alpen, ein moderates Mass an menschlicher Bewirtschaftung notwendig sein.»

Die Originalpublikation finden Sie hier.

2 Kommentare

  1. Schön, wenn mit genetischen Methoden altbekanntes Wissen (s. Ellenberg: Vegetation Mitteleuropas mit den Alpen, 1963!) bestätigt werden kann. Allerdings ist der Blick der Studie schon sehr retrospektiv.
    Wer heute die im «Ellenberg» beschriebenen Alpwiesen und -weiden sucht, kann lange suchen. Die extreme Erschliessung, die Mechanisierung und die Industrialisierung der Alpwirtschaft haben im Verbund mit Tourismus und Energiewirtschaft – neben der im Artikel beschriebenen Verbuschung und Verwaldung – zu einer extremen Verarmung der Flora im montanen bis in die alpine Stufe geführt. Und diese, für die Biodiversität negative Entwicklung wird in der Schweiz mit einem hohen Einsatz an Steuermitteln gefördert.
    Aber nun haben wir es wenigstens wieder einmal schwarz auf weiss, dass es einmal sehr biodivers war.

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