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Insektensterben – eine schleichende Katastrophe

In einer Studie befragten Forscher der Goethe-Universität in Frankfurt am Main knapp 2000 Personen zu dem Thema Insekten. Das Resultat zeigt, dass vor allem jüngere und weniger gebildete Menschen die Bedeutung von Insekten für Ökosysteme unterschätzen.

Heute gibt es 80 Prozent weniger Insekten in der Luft als zu Zeiten unserer Grosseltern. Wieso uns das stark beunruhigen sollte und wie man die Leute auf das Insektensterben sensibilisieren kann erklärt der Biologe Bruno Streit, Seniorprofessor für Ökologie und Evolution der Goethe-Universität.

Ohne Insekten keine Vögel, Fledermäuse, Igel etc.

Ältere Menschen bedauern das schleichende Verschwinden der summenden Vielfalt mehr als jüngere. Vielleicht, weil die es nicht anderes kennen. Aber laut Umfrage ist die richtige Einschätzung des Insektensterbens auch eine Frage der Bildung. Das unterscheidet die schleichende Katastrophe am meisten von den plötzlichen, deren Folgen direkt spürbar sind. «Gäbe es schlagartig keine Insekten mehr, würden alle insektenbestäubten Blütenpflanzen verschwinden, Ab- und Umbauprozesse im Wald weitgehend zum Erliegen kommen. Die auf Insektennahrung spezialisierten Vögel, Fledermäuse, Igel und Spitzmäuse würden weitgehend oder ganz aussterben», erklärt Bruno Streit. Erst im Laufe vieler Millionen Jahre könnte sich theoretisch wieder eine neue entsprechende Vielfalt einstellen. «So weit wird es zwar nicht kommen, aber eine Abnahme der Singvögel ist teilweise bereits eingetreten», fügt er hinzu.

Produkte werden teurer

Das hat auch wirtschaftliche Folgen. Auf chinesischen Obstplantagen wird die Obstblütenbestäubung teilweise schon durch Menschen auf Leitern vorgenommen. Kurzfristig erwartet Streit, dass einige Produkte wie Obst teurer werden. «Wenn aber die globalisierte Weltwirtschaft schrumpft oder zusammenbricht – ein Szenario, das wir derzeit alle ausblenden – und die Bevölkerung auch bei uns wieder stärker zu einer regionalen Selbstversorgung übergeht, werden sich die Nachteile einer irreversibel verarmten Natur durchaus drastisch zeigen», warnt der Experte.

Denn mit der biologischen Vielfalt verschwinden auch genetische Ressourcen von unserem Erdball. Gezüchtete Pflanzen und Tiere sind meist genetisch verarmt und spezialisiert. Damit erhöht sich das Risiko, dass sie künftigem Parasiten- oder Klimastress zum Opfer fallen. Viele der wenig bekannten Wildarten beherbergen zudem auch Substanzen oder Fähigkeiten, die für uns in der Zukunft noch interessant werden könnten.

Wie können Menschen für das Insektensterben sensibilisiert werden?

Wie man Menschen für die Folgen des Insektensterbens sensibilisieren kann, ist für Bruno Streit und seine Kollegen bei Bio-Frankfurt ein grosses Thema. «Man kann die Farbenpracht des Ligusterschwärmers zeigen, die beeindruckende Grösse des Hirschkäfers und die Nützlichkeit der vielen Bestäuber für Wildpflanzen und unser Obst zu erläutern. Aber da kommt man bei Menschen mit Ekel, Phobien oder notorischem Desinteresse an ‚Krabbeltieren‘ rasch an die Grenzen seiner Überzeugungskraft», weiss Streit aus Erfahrung. Viele Kollegen nutzten daher die Honigbiene als Sympathieträger. Aber ausgerechnet die sei ein gezüchtetes Hochleistungsnutztier, das – so wird oft vermutet – regional manche der derzeit noch rund 500 Wildbienenarten erheblich unter Existenzdruck setzt.

Lässt sich das Insektensterben überhaupt noch aufhalten?

«Grundsätzlich wäre es noch möglich, die ursprüngliche Insektenfauna wieder zum Krabbeln und Summen zu bringen. Aber dazu müsste unser Landschafts- und Landwirtschaftskonzept radikal geändert werden», so Streit. Pessimisten wenden ein, dass es politisch nicht umsetzbar sein wird, die endlosen Monokulturen, regulierten Wasserläufe, die Benebelungen durch Biozide und die Verfrachtungen von Schad- und Düngestoffen über Wind, Niederschläge und Sickerwasser zu unterbinden. Denn darüber hinaus müssten auch wieder Hecken, Blumenwiesen und weitere Freiflächen zu Lasten der Landwirtschaftsflächen generiert werden, die zu einem grossen Teil der Produktion von Viehfutter dienen. Das würde Kosten, Lohneinbussen und soziale Spannungen erzeugen und letztlich auch die Konkurrenzfähigkeit auf dem Weltmarkt mindern.

Bei Kindern und Erwachsenen soll der emotionale Bezug zur Natur gestärkt werden

Als Kompromiss fordern Streit und seine Kollegen den Erhalt von so viel Strukturvielfalt und Niedrigbelastung, wie möglich und sozial akzeptabel ist. Sie setzen sich dafür ein, bei Kindern und noch naturnah empfindenden Erwachsenen den emotionalen Bezug zur Natur zu stärken. Neben den traditionellen Schutzgebieten plädieren sie auch für die Einrichtung von «Wildnis»-Arealen wie sie gerade auf der ehemaligen Müllkippe „Monte Scherbelino“ in Frankfurt entstehen. «Dann hat auch der Nicht-Biologe wieder eine Chance, zu sehen und zu erleben, wie sich Natur entwickelt. Denn das Verständnis ergibt sich nicht einfach durch den Besuch der Zoologischen und Botanischen Gärten oder Museen, so wertvoll und wichtig diese als zusätzliche Motivationshelfer sind und bleiben!», schliesst Streit.

Den vollen Wortlaut des Interviews mit Bruno Streit zum Insektensterben finden sie hier.

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