Auf ehemaligen Chemiearealen kommt Benzidin vor, eine krebserregende Substanz. Aber je nach Kanton wird damit unterschiedlich seriös umgegangen, wie eine neue Studie der Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz zeigt.
Vor 25 Jahren trat die Altlastenverordnung (AltlV) in Kraft. Anlässlich davon liessen Die Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (AefU) am Beispiel des hochgiftigen Benzidin prüfen, was 25 Jahre Sanierungspflicht für belastete Chemiegelände gebracht haben. Die neue Studie ‹Benzidin: Wie Kantone das Ultragift aus den Augen verlieren› hat der Altlastenexperte und AefU-Geschäftsleiter Martin Forter verfasst.
Benzidin ist – wie andere aromatische Amine – ein gesichertes humanes Karzinogen. Es löst beim Menschen nach längerer Latenzzeit Blasenkrebs aus. Dies anerkennt die Schweizerische Unfallversicherungsanstalt (SUVA) als Berufskrankheit. Benzidin ist die zweitgefährlichste Substanz im Kontext der Altlastenverordnung. Die Studie für die AefU weist nach: Das Gift ist auf den Chemiegeländen in Basel, Schweizerhalle BL und Monthey VS altlastenrelevant. Die Untersuchung zeigt aber auch: Die drei Standortkantone gehen mit der Benzidin-Problematik sehr unterschiedlich um.
Vorbildliches Wallis
Der Kanton Wallis erkennt die Tragweite einer Verschmutzung durch Benzidin schon 2003. Er, Ciba SC (heute BASF) und Syngenta gehen seither bei der Erkundung und Sanierung der (Benzidin-)Altlasten im Chemiegelände Monthey systematisch und mit nachvollziehbaren Kriterien vor.
Unkoordinierter Kanton Basel-Stadt
Ganz anders in Basel-Stadt. Bei den Chemiegeländen Klybeck und Rosental fällt der Kanton durch ein unkoordiniertes Vorgehen und lückenhafte Standortuntersuchungen auf. Das geht soweit, dass Benzidin teils sogar jahrelang «vergessen» wird. Ausserdem war die Walliser Benzidin-Analytik 2003 schon 333-mal und 2008 sogar 500-mal sensibler als diejenige im Rosental. Hier brachte die praktisch blinde Analytik – wenig überraschend – kein Benzidin zum Vorschein.
Die bisherigen Untersuchungen im Klybeck und im Rosental können eine Verschmutzung mit Benzidin nicht zuverlässig ausschliessen. Dabei sollen auf diesen ehemaligen Chemiegeländen neue Stadtteile mit Wohnungen und Arbeitsplätzen für tausende Menschen entstehen. Wohnen und Benzidin aber geht nicht zusammen. Aktuell könnte Benzidin bei einer Altlastsanierung im Rosental durch Immobilien Basel-Stadt zum Risiko für Bauarbeiter und Anwohner:innen werden.
Baselland: Benzidin-Risiko 20 Jahre lang nicht erkannt
Auch beim Chemiegelände Schweizerhalle besteht die Möglichkeit einer Benzidin-Verschmutzung. Trotzdem dokumentieren 20 Jahre Altlastenuntersuchungen nichts zu Benzidin. Das Amt für Umweltschutz und Energie Baselland (AUE BL) sowie Novartis und Ciba SC respektive heute BASF erkannten dieses Risiko nicht. Benzidin war kein Thema und wurde also von 2001 bis 2021 auch nicht gesucht.
Baselland und Jura holen Benzidin-Analysen nach – und Basel-Stadt?
Den teils Benzidin-haltigen Chemieabfall, der auf ihren Chemiearealen anfiel, liessen die Vorgängerfirmen von BASF, Novartis und Syngenta in zahlreiche Giftmülldeponien in der trinationalen Region Basel (CH/D/F) und in der Schweiz, etwa in Bonfol JU, ablagern. Benzidin war aber auch bei der Untersuchung dieser Deponien meist kein Thema – bis die Gemeinde Allschwil 2021 bei der angeblich totalsanierten Deponie Roemisloch in Neuwiller (F) die Substanz weit über dem Schweizer Grenzwert nachwies. In der Folge suchte auch der Kanton Jura bei der ausgehobenen Chemiemülldeponie Bonfol nach Benzidin – und fand die Substanz 2022 in deren Sohle in teils hohen Konzentrationen. Diese muss nun voraussichtlich ebenfalls teilweise ausgegraben werden. Auch Baselland beginnt 2022 bei den Chemiegeländen und Chemiemülldeponien in seinem Kantonsgebiet die Benzidin-Untersuchungen nachzuholen. Nur Basel-Stadt hat bisher noch immer keine systematische Untersuchung auf Benzidin angekündigt.
Schlechtes Zeugnis für die Altlastenverordnung
Die Aefu kritisieren die Altlastverordnung (AltlV): Ohne zuverlässige Kontrollmechanismen und Sanktionen konnte sie nicht verhindern, dass Standortkantone von Chemiegeländen und Chemiemülldeponien das Ultragift Benzidin – die zweitgefährlichste Substanz im Kontext dieser Verordnung – ausblenden. Mit der Folge, dass nun bereits erfolgte Altlastenuntersuchungen und sogar abgeschlossen geglaubte Sanierungen nochmals aufgerollt und neu beurteilt werden müssen. Das stellt das Hauptanliegen der AltlV in Frage, nämlich die grössten Umweltrisiken von Altlasten für Mensch und Umwelt zu erkennen und zu beseitigen. Deshalb fordern die Aefu eine Revision der Altlastverordnung. Sie müsse künftig gewährleisten, dass bei Vermutung auf so gefährliche Substanzen wie Benzidin zuverlässig und gemäss dem Stand der (Analyse-)Technik abgeklärt wird, ob sie die Schutzgüter aktuell oder in Zukunft gefährden oder verschmutzen könnten. Dazu muss das Vorgehen bei Untersuchung und Sanierung von Altlasten schweizweit harmonisiert und auf ein einheitliches, hohes Qualitätsniveau gebracht werden. Um die Umsetzung sicherzustellen, braucht es Kontrollmechanismen und Sanktionsmöglichkeiten. Zudem muss die Revision die komplexe Schadstoffvielfalt an Produktionsstandorten und in Deponien der chemischen Industrie berücksichtigen.
Die vollständige Studie ist hier zu finden.