Jeder von uns sieht täglich eine Menge Tiger, Löwen und Elefanten. Nicht im Zoo, sondern in Firmen-Logos, in der Werbung, als Trickfilme oder in Form von Plüschtieren. Weil wir Bilder von diesen Tieren so häufig antreffen im Alltag, vermuten Wissenschaftler, dass wir uns ein verzerrtes Bild von deren Gefährdung in der Wildnis machen – mit verheerenden Folgen!
Sie sind die Lieblingstiere der meisten Kinder – und leider in echt kaum noch anzutreffen! Wie genau uns die schiere Menge an «virtuellen» Tiere beeinflusst, wollten Forschende der University of South Paris genauer untersuchen. In Webumfragen liessen die Wissenschaftler Primarschüler wählen, welche Tiere für sie am charismatischsten sind. Zusätzlich untersuchten sie, welche Tierarten auf Zoo-Webseiten und in Zeichentrickfilmen vorkommen. Die herausgekommenen Top Ten sind Tiger, Löwe, Elefant, Giraffe, Leopard, Panda, Gepard, Eisbär, Wolf und Gorilla.
Jede dieser Arten ist in der Wildnis hochgradig gefährdet, mit dramatischen Habitats- und Populationsrückgängen. Zum Beispiel ist die Anzahl wildlebender Löwen heute nur noch 8% der historischen Grösse. In der breiten Gesellschaft sind diese Zustände kaum bekannt. Schockierend ist auch das Schicksal der Tiger, die ohne drastische Schutzmassnahmen in 30 Jahren ausgestorben sein werden, Elefanten in 20–100 Jahren, Eisbären in 50 Jahren.
Jeder zweite schätzt Gefährdung falsch ein
In einem weiteren Teil der Studie wurden Hochschulstudenten und Menschen aus der allgemeinen Bevölkerung gebeten, den Gefährdungs-Status dieser Tierarten einzuschätzen. Jeder zweite befragte Studierende lag mit seiner Einschätzung falsch. Am nächsten dran waren sie beim Eisbären – was verständlich ist, weil er oft als Klimabotschafter auf dünner Eisscholle abgebildet ist. Löwen und Giraffen wurden am häufigsten falsch eingeschätzt – auch sie erlitten starke Populationsrückgänge und streifen nicht mehr in üppigen Zahlen durch die Savanne. Die Wissenschaftler sind überzeugt, dass diese Fehleinschätzungen damit zusammenhängen, dass wir diese charismatischen Tiere täglich in Filmen, Bücher, Spielzeugläden und Werbungen sehen und deswegen unbewusst darauf schliessen, sie seien nicht bedroht.
«Ohne es zu wissen tragen Firmen, die Giraffen, Geparden oder Eisbären für Marketing-Zwecke einsetzen, aktiv zu der Fehlwahrnehmung bei, dass diese Tiere nicht vom Aussterben bedroht seien und darum keines Schutzes bedürfen», sagt Franck Courchamp von der University of South Paris gegenüber ZME Science.
Wir sehen mehr Löwen als es gibt
Über 40 Freiwillige aus Frankreich erhielten die Aufgabe, während der Dauer einer Woche zu notieren, wie vielen «virtuellen» Tieren sie begegnen. Durchschnittlich sahen sie jede Art rund 30 Mal, was bedeutet, dass wir wahrlich überflutet werden mit hunderten dieser virtuellen Tieren pro Monat. Eine Versuchsperson sah durchschnittlich 4.4 Löwen pro Tag, das heisst, in einem Jahr hat er/sie zwei bis dreimal mehr virtuelle Löwen gesehen, als in ganz Westafrika zur Zeit überhaupt leben.
Firmen mit Tier-Logos sollen für Artenschutz bezahlen
Diese «Desensibilisierung» führt dazu, dass viele Menschen den Schutz dieser Tierarten nicht nachvollziehen können. Wenn eine Firma also das Bild eines Tieres als Logo verbreitet, ohne gleichzeitig darauf hinzuweisen, dass dieses vom Aussterben bedroht ist, untergräbt sie so unbewusst die Schutzbemühungen der Umweltverbände und verschlechtern so das Schicksal der gefährdeten Art. Die Wissenschaftler sind deshalb der Meinung, dass die Firmen einen Teil der Gewinne, die sie ja u.a. der symbolischen Bedeutung des Tiers in ihrem Logo verdanken, in Artenschutzprojekte investieren sollten. Wenn Unternehmen für die Verwendung eines Tiers als Werbeträger Geld zahlen müssten, stünden viel mehr finanzielle Mittel für den Schutz eben jener charismatischen Arten zur Verfügung. Damit könnten die Firmen den negativen Effekt ausgleichen, den sie verursachen, wenn sie diese Tiere als «häufig» erscheinen lassen.
Weitere Informationen siehe Studie: Courchamp F, Jaric I, Albert C, Meinard Y, Ripple WJ, Chapron G (2018) The paradoxical extinction of the most charismatic animals. PLoS Biol 16(4): e2003997.