Seit gut 30 Jahren beginnt die Weinlese im Burgund durchschnittlich 13 Tage früher als in den vorangehenden sechs Jahrhunderten. Dies zeigt eine soeben veröffentliche Datenreihe zur Traubenernte der vergangenen 664 Jahre. Die historischen Aufzeichnungen wurden unter anderem an der Universität Bern ausgewertet.
Wann genau in den Rebbergen die Weinlese einsetzt, interessiert nicht nur Winzerinnen und Weinliebhaber. Die Daten zur Traubenernte sind auch für die Klimaforschung hochinteressant, so berichtet die Universität Bern in einer Medienmitteilung. Der Grund: Der Beginn der Ernte lässt sich als sogenannter Klimaproxy nutzen, also als indirekten Anzeiger der Veränderung, der in natürlichen Archiven wie Baumringen, Eisbohrkernen und Korallen aufgezeichnet ist – oder aber in historischen Dokumenten wie etwa zur Weinlese. Trauben eigenen sich besonders gut für einen Blick in die Klimavergangenheit, da sie sehr empfindlich auf Temperatur und Regen reagieren. Die einzigartige Rekonstruktion zur Weinlese im Burgund ist soeben in der Fachzeitschrift «Climate of the Past» der European Geosciences Union (EGU) publiziert worden.
«Dass sich der beschleunigte Erwärmungstrend seit den 1980er Jahren in dieser Zeitreihe so klar erkennen lässt, haben wir nicht vorhergesehen», erklärt Christian Pfister, emeritierter Professor für Klima- und Umweltgeschichte an der Universität Bern und Mitglied des Oeschger-Zentrums für Klimaforschung. Er war zusammen mit Kolleginnen und Kollegen in der Schweiz, Frankreich und Deutschland für die Studie verantwortlich.
Aufzeichnungen zu Lohnzahlungen an Erntehelfer
Thomas Labbé, der Hauptautor der Studie, der an den Universitäten von Burgund und Leipzig forscht, rekonstruierte die Daten der Traubenernte in Beaune, der Weinhauptstadt des Burgunds, minutiös bis ins Jahr 1354 zurück. Er nutzte dazu eine grosse Anzahl unveröffentlichter Archivquellen, darunter Informationen über Lohnzahlungen an Traubenpflücker, Aufzeichnungen aus dem Stadtrat von Beaune und Zeitungsberichte. Die ununterbrochene Aufzeichnung von Daten zur Traubenernte, die nun in «Climate of the Past» veröffentlicht wurde, ist die längste rekonstruierte Zeitreihe dieser Art und endet im Jahr 2018.
«Bei den Erntedaten lassen sich klar zwei Phasen erkennen», so Thomas Labbé. Bis 1987 seien die Trauben typischerweise ab dem 28. September gelesen worden. Seit 1988 aber habe die Weinlese im Durchschnitt 13 Tage früher eingesetzt. Die Analysen des Datenmaterials zeigen, dass in der Vergangenheit heisse und trockene Jahre ungewöhnlich waren, in den letzten 30 Jahren aber zum Normalfall geworden sind. Das aus Historikern und Naturwissenschaftern bestehende Forschungsteam hat seine Zeitreihen mit Hilfe von detaillierten Temperaturaufzeichnungen aus Paris über die vergangenen 360 Jahre validiert. Dies ermöglichte eine Schätzung der Temperaturen zwischen April und Juli für die Region Beaune über alle im Datensatz abgedeckten 664 Jahre.
Vom Wissen zum Handeln
«Der Übergang zu einer schnellen globalen Warmphase nach 1988 zeigt sich sehr deutlich. Und es ist für alle offensichtlich, dass die vergangenen 30 Jahre ausgewöhnlich waren», sagt Christian Pfister. «Ich wünsche mir, dass unsere Rekonstruktion dazu beiträgt, dass die Menschen die Klimasituation, in der sich unser Planet befindet, realistisch zu beurteilen und endlich zu handeln beginnen.»