Eine neue Studie von Wissenschaftler:innen der Universität Harvard und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung deckt auf: Interne Prognosen des Ölkonzerns ExxonMobil zu Klimaszenarien sagten bereits seit 1977 die globale Erwärmung als Folge des Verfeuerns fossiler Brennstoffe genauestens vorher. Die jetzt veröffentliche Analyse ist verblüffend.
Bereits bekannt war, dass ExxonMobil seit den 1970er Jahren von der Bedrohung durch die globale Erwärmung wusste. Die jetzt veröffentlichte Studie ist nun die erste quantitative Überprüfung der frühen Klimawissenschaft des Unternehmens. Vorherige Untersuchungen konzentrierten sich auf die widersprüchliche interne und externe Rhetorik von Exxon zum Klimawandel. Die neue Analyse untersucht die im Unternehmen vorliegenden Daten.
In der ersten systematischen Bewertung der Klimaprognosen der fossilen Brennstoffindustrie überhaupt haben die Forschenden die Erkenntnisse der Klimawissenschaft, die Exxon schon vor Jahrzehnten hatte, mit Zahlen belegt: dass die Verbrennung fossiler Brennstoffe zu einer globalen Erwärmung von 0,20 ± 0,04 Grad Celsius pro Jahrzehnt führen würde. Die Ergebnisse wurden in einem Diagramm zusammengefasst, das – beruhend auf statistischen Analysen von bislang unveröffentlichten Daten aus den unternehmenseigenen Dokumenten – alle von Wissenschaftler:innen von Exxon und der ExxonMobil Corp. zwischen 1977 und 2003 erstellten Prognosen zur globalen Erwärmung zeigt.
«Wir stellen fest, dass die meisten ihrer Projektionen eine Erwärmung vorhersagen, die mit späteren Beobachtungen übereinstimmt», heisst es in dem Bericht. «Ihre Vorhersagen stimmten auch mit denen unabhängiger akademischer und staatlicher Modelle überein und waren mindestens so gut wie diese.»
Unter Verwendung etablierter statistischer Verfahren kommt die Studie zu dem Ergebnis, dass 63-83 % der von den ExxonMobil-Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern gemeldeten globalen Erwärmungsprognosen mit den später beobachteten Temperaturen übereinstimmten. Darüber hinaus wiesen die von den ExxonMobil-Wissenschaftler:innen modellierten Projektionen einen durchschnittlichen «Skill Score» (Mass der Vorhersagegüte) von 72 ± 6 % auf, wobei der höchste Wert bei 99 % lag. Das ist sogar deutlich besser als die Vorhersagen des bekannten NASA-Wissenschaftlers James Hansen zur globalen Erwärmung, die 1988 dem US-Kongress vorgelegt wurden.
«Öffentliche Erklärungen des Unternehmens […] widersprachen seinen eigenen wissenschaftlichen Daten»
«Was ExxonMobil erstaunlich genau wusste, und was ExxonMobil dann bekanntlich leider tat, steht in scharfem Kontrast», erklärt Stefan Rahmstorf vom Potsdam-Institut für Klimaforschung (PIK), Ko-Autor der Studie. «Eine Exxon-Projektion sagte sogar schon 1977 korrekt voraus, dass die Nutzung fossiler Brennstoffe ein ‹kohlendioxidinduziertes Superinterglazial› verursachen würde. Das ist eine Warmzeit, die nicht nur viel wärmer ist als alles in der Geschichte der menschlichen Zivilisation, sondern sogar wärmer als die letzte Warmzeit vor 125.000 Jahren. Durch den unaufhörlichen Ausstoss von Treibhausgasen sind wir heute schon weit auf dem Weg dorthin.»
Die Studie kommt zu dem Schluss, dass die internen Analysen von «Exxon und ExxonMobil Corp. […] genau vorausgesagt haben, wann die vom Menschen verursachte globale Erwärmung zum ersten Mal in den Messdaten festgestellt werden würde, und sogar das ‹Kohlenstoffbudget› für eine Begrenzung der Erwärmung auf unter 2°C realistisch abgeschätzt haben. In jedem dieser Punkte widersprachen die öffentlichen Erklärungen des Unternehmens zur Klimawissenschaft jedoch seinen eigenen wissenschaftlichen Daten.»
Studie verleiht laufenden juristischen und politischen Ermittlungen gegen ExxonMobil zusätzliches Gewicht
«Diese Ergebnisse bestätigen und präzisieren die Aussagen von Wissenschaftler:innen, Journalist:innen, Anwält:innen, Politiker:innen und anderen, dass ExxonMobil die Bedrohung durch die vom Menschen verursachte globale Erwärmung sowohl vor als auch parallel zur Orchestrierung von Lobby- und Propagandakampagnen zur Verzögerung von Klimaschutzmassnahmen genau vorhergesehen hat, und widerlegen die Behauptungen der ExxonMobil Corp. und ihrer Verteidiger, dass diese Aussagen falsch seien», schreiben die Autorinnen und Autoren in der Studie.
«Dies ist der Sargnagel für die Behauptungen von ExxonMobil, dass das Unternehmen zu Unrecht der bewussten Klimavergehen beschuldigt wurde», kommentiert der Hauptautor von der Harvard University, Geoffrey Supran. «Unsere Analyse zeigt, dass ExxonMobils eigene Daten im Widerspruch zu ihren öffentlichen Erklärungen stehen, in denen Unsicherheiten übertrieben, Klimamodelle kritisiert, der Mythos globaler Abkühlung verbreitet und Unwissenheit darüber vorgetäuscht wurde, wann – oder ob – die vom Menschen verursachte globale Erwärmung messbar sein würde, während man zum Risiko gestrandeter fossiler Investitionen schwieg.»
Die Studie wurde im Fachmagazin «Science» veröffentlicht und finden Sie hier.