Auf Mastbetrieben werden neu angekommene Kälber routinemässig mit Antibiotika gefüttert – ob sie krank sind oder nicht. Mit einfachen Massnahmen könnte der unsinnige Antibiotikaeinsatz in der Kälbermast deutlich reduziert und das Tierwohl verbessert werden. Das zeigt das Konzept «Freiluftkalb».
Mastkälber leiden häufig an Lungenentzündungen und werden deshalb mit Antibiotika versorgt. Grund für die Erkrankung ist oftmals die Tatsache, dass die Kälber bereits drei bis vier Wochen nach der Geburt in die Mastbetriebe transportiert werden und dabei mit anderen Tieren in Kontakt kommen. Ihr unterentwickeltes Immunsystem kann die unbekannten Bakterien nicht abwehren – die Kälber werden krank und erhalten Antibiotika. Angekommen im Mastbetrieb, gelangen die Tiere in grössere Gruppen und die Krankheitserreger können sich wie ein Lauffeuer verbreiten. Doch nicht nur kranke Tiere werden mit Antibiotika behandelt. Die Verabreichung erfolgt nach der Ankunft meist routinemässig über das Futter. Problematisch dabei ist, dass die Bakterien resistent gegen die Antibiotika werden und Rückstände im Fleisch auf unseren Tellern landen.
Forschende der Universität Bern haben einen Weg gefunden, wie das Risiko einer Erkrankung der Kälber minimiert und damit der Einsatz von Antibiotika überflüssig gemacht werden kann. Das Konzept «Freiluftkalb» setzt an der Quelle an: Kälber für die Mast sollen nur von nahegelegenen Höfen zugekauft werden. Dadurch verringert sich der Transportweg und es werden beim Transport keine Tiere aus verschiedenen Betrieben gemischt. Die ersten Wochen in der Mast verbringen die Tiere im Freien in einer Art Quarantäne in Einzeliglus und werden gegen Lungenentzündungen geimpft. Erst nach dieser Zeit alleine kommen sie für die restliche Zeit ihrer Mastdauer (ca. vier Monate) in Gruppen von maximal zehn Kälbern zusammen, bleiben aber im überdachten Aussenbereich mit Gruppeniglu.
Eindeutiges Ergebnis
Für ein aussagekräftiges Resultat wurde das Konzept während eines Jahres in 19 Kälbermastbetrieben getestet und 19 Vergleichsbetrieben, die nach Vorgaben von IP-Suisse produzieren, gegenübergestellt. Obschon IP-Suisse ein Label ist, das hohe Anforderungen an das Tierwohl stellt, zeigte sich ein deutliches Bild. Die «Freiluftkälber» hatten weniger Atemwegs- und Verdauungskrankheiten und es gab kaum frühzeitige Todesfälle. Nur jedes sechste «Freiluftkalb» benötigte im Verlauf seines kurzen Lebens Antibiotika. In Vergleichsbetrieben mussten die Hälfte der Kälber mit Antibiotika versorgt werden. Mit dem Konzept «Freiluftkalb» reduzierte sich damit der Antibiotikaeinsatz um stolze 70%. Auch bei der Behandlungsdauer war das Resultat deutlich: Betriebe mit dem Freiluftkalb-Konzept verzeichneten fünfmal weniger Behandlungstage als die Vergleichsbetriebe.
Kaum wirtschaftliche Unterschiede
Zusätzlich zur Tiergesundheit wurde auch die Wirtschaftlichkeit der neuen Methode untersucht. Dabei hat die Forschung ergeben, dass es wirtschaftlich zwischen der konventionellen und der «Freiluftkalb» Methode kaum Unterschiede gibt. Die Vor- und Nachteile jedes Systems neutralisieren sich: Der etwas höhere Aufwand für «Freiluftkälber» wird durch die tiefe Sterblichkeit und eine gute Tagesmastleistung ausgeglichen. Trotzdem halten Bauern an der bestehenden Praxis fest. Da aktuell nur das konventionelle System subventioniert wird, besteht für sie kein Anreiz die Methode zu wechseln. Eine breite Umsetzung des Konzepts bräuchte demnach die Anerkennung durch Bundesämter, Labels und Grossverteiler – ein erfahrungsgemäss langer und steiniger Weg.
Originalpublikationen:
J. Becker et al.: Effects of the novel concept «outdoor veal calf» on antimicrobial use, mortality and weight gain in Switzerland. Preventive Veterinary Medicine (2020). doi:10.1016/j.prevetmed.2020.104907
L. Moser et al.: Welfare Assessment in Calves Fattened According to the «Outdoor Veal Calf» Concept and in Conventional Veal Fattening Operations in Switzerland. Animals (Basel) (2020). doi:10.3390/ani10101810
J. Becker et al.: Vergleichende Wirtschaftlichkeitsanalyse des Kälbermastsystems «Freiluftkalb» und der konventionellen IP-SUISSE- Labelmast. Schweizer Archiv für Tierheilkunde (2021). doi:10.17236/sat00293