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Ein Plädoyer für Gräser

Beatrix Mühlethaler
Beatrix Mühlethaler
Beatrix Mühlethaler ist begeisterte Naturgärtnerin. Sie befasst sich als Journalistin vorwiegend mit Natur- und Umweltthemen und setzt sich an ihrem Wohnort für die heimische Flora und Fauna im Siedlungsraum ein. Fortbildung und Freude bieten ihr der eigene Naturgarten sowie Gemüse- und Beerenkulturen.

Fachleute ringen seit Jahren um ein neues Image für Naturgärten: Design statt Chaos heisst die Devise. Auch ich mag einen formschönen Garten. Aber ohne etwas Wildnis bleibt er leere Hülle. Gerade im Herbst sollten wir den Wildwuchs schonen. Denn darin steckt Leben.

Text und Fotos: Beatrix Mühlethaler

Schade wegzuräumen: verblühter Rainfarn | © Beatrix Mühlethaler
Schade wegzuräumen: verblühter Rainfarn | © Beatrix Mühlethaler

Blüten in Hülle und Fülle machen uns glücklich und sind als Nahrungsgrundlage für die vielen Mitbewohner des Gartens unverzichtbar. Die spontan wachsenden Gräser und Kräuter zwischen den Blütenstauden sind ebenso nützlich: Als Raupen- und Larvenfutter sowie als Versteck. Aber sie befriedigen nicht unbedingt unsere ästhetischen Ansprüche, und so jäten wir manchmal zu viel weg. Besonders jetzt im Herbst, zur Zeit des traditionellen Räumens, wird zu radikal eingegriffen. Es muss nicht alles jetzt weg, sondern nur das, was stört. Hohe Stauden beispielsweise, die im Winter auf den Weg kippen könnten, schneide ich zurück. Im Stängel können immer noch Insekten überwintern.

Eine Schubkarre voll von Gras im Garten.
© Beatrix Mühlethaler

Es lohnt sich, selektiv vorzugehen, und so überlegt man sich zum Beispiel, wo Eier, Raupen und Puppen von Schmetterlingen den Winter überdauern. Schonen wir diese Strukturen so weit wie möglich! Da viele Insektenstadien in und unter Grasbüscheln überwintern, sollten wir diese auf keinen Fall im Herbst ausjäten und auch nicht zu tief mähen. Wer im Naturgarten keine Gräser toleriert, verpasst viele Chancen!

Wie beglückend ist es jeweils im Sommer, wenn das Waldbrettspiel im Garten flattert! Es kommt in lichten Wäldern und gehölzreichen Gärten vor. Die Raupen ernähren sich von Gräsern. In einem Naturgarten, in dem Gräser verpönt sind, kann sich dieser Schmetterling also nicht vermehren.

Das Waldbrettspiel im Garten.
Waldbrettspiel. © Beatrix Mühlethaler

Als Art lichter Wälder legt das Waldbrettspiel seine Eier bevorzugt an Waldgräser, und zwar an dürre Halme. Manchmal überwintert das Insekt als Raupe, meist aber verpuppt es sich nahe am Boden.

Viele weitere Schmetterlingsarten entwickeln sich an Gräsern. Zwar haben die meisten so hohe Ansprüche an ihren Lebensraum, dass sie in einem wenig diversen Siedlungsraum nicht zu erfüllen sind. Einige aber profitieren sehr wohl von guten Gärten. Voraussetzung ist, dass sie dort wenig gestörte Flächen finden, wo der ganze Entwicklungszyklus vom Ei zum Falter ablaufen kann. Neben dem Waldbrettspiel ist zum Beispiel das Ochsenauge ein möglicher Siedler.

Der Schmetterling Ochsenauge auf Blume.
Ochsenauge. © Beatrix Mühlethaler

Seine Eier legt auch das Ochsenauge eher an dürre Halme, und zwar in Bodennähe. Das Spektrum der Nahrungspflanzen ist gross und umfasst neben Süssgräsern auch Seggen. Dieser Schmetterling überwintert als Raupe. Im Sommer ist er auf ein gutes Blütenangebot angewiesen, da er im Unterschied zum Waldbrettspiel Nektar zu sich nimmt.

Auch der Braune Waldvogel braucht beides – Gräser und Blüten. Brombeerblüten schätzt er besonders. Entsprechend ist er oft an lichten Stellen mit Brombeerbewuchs im Wald anzutreffen. Er ist aber nicht auf diesen Lebensraum beschränkt, sondern kann Gärten nutzen. Das Weibchen lässt seine Eier auf den Boden fallen, die Raupe frisst an diversen Gräsern und verpuppt sich erst im Frühling an der Basis von Grasbüscheln.

Der Schmetterling brauner Waldvogel an einer Blüte.
Brauner Waldvogel. © Beatrix Mühlethaler

Von diversen Gräsern und Seggen ernähren sich überdies die Dickkopffalter. Ihre Raupen fressen im Schutz einer aus Gräsern gefertigten Hülle und verpuppen sich auch darin. Sie sind in vielfältigen Gärten häufig an Blüten zu sehen, wobei es schwierig ist, sie bis auf die Art zu bestimmen.

Der Schmetterling Dickkopffalter auf einer Blüte.
Dickkopffalter. © Beatrix Mühlethaler

An Orten, wo sich Gras und vielleicht auch sonstiges Gestrüpp entwickeln darf und wo nicht dauernd gemäht wird, können sich Heuschrecken ansiedeln. Die Rote Keulenschrecke beispielsweise ist an trockenen, warmen Waldrändern mit Gehölz und nicht zu häufig gemähten Säumen anzutreffen. In Gärten, wo sie ähnliche Verhältnisse findet, lässt sie sich ebenfalls gerne nieder.

Ein Paar der Roten Keulenschrecke.
Ein Paar der Roten Keulenschrecke. © Beatrix Mühlethaler

Die Rote Keulenschrecke ernährt sich von Süssgräsern und legt ihre Eier im Boden ab. Ihre Nachkommen sind somit vor allfälligem herbstlichem Pflegeeifer gut geschützt.

Garten, wo die Rote Keulenschrecke lebt.
Ecke im Garten, die der Roten Keulenschrecke zusagt. © Beatrix Mühlethaler

In einem Garten mit trockenen Böschungen und nicht zu dichter Vegetation kann sich der Nachtigall-Grashüpfer niederlassen. Für alle Grashüpfer-Arten ist Gras die Hauptnahrung. Ihre Eier legen sie meist im Boden ab, aber auch im Grasfilz.

Nachtigall-Grashüpfer auf Pflanze.
Nachtigall-Grashüpfer. © Beatrix Mühlethaler

Damit es im nächsten Sommer wieder schwirrt und flattert, lassen wir also die noch nicht gepflegten Heckensäume oder andere grasige Ecken einfach in Ruhe, gehen spazieren und geniessen die herbstliche Natur.

Nachtigall-Grashüpfer auf Pflanze.
Nachtigall-Grashüpfer. © Beatrix Mühlethaler

3 Kommentare

  1. Ich kann dem nur zustimmen. Ich schneide beinahe nichts zurück, meine Garten-Aufräumaktion starte ich meist gegen Ende März. Braucht übrigens auch weniger Platz in der Grüntonne, und der Garten hat seinen eigenen Dünger mit den heruntergefallenen Blättern.
    Allenfalls werden überbordende Pflanzen teilweise im Herbst herausgenommen.
    Über die Heuschrecken freue ich mich auch immer wieder!

  2. Auch ich stimme vollumfänglich zu und freue mich zudem an den schönen Bildern. Wie können wir dieses Gedankengut verbreiten? Was sage ich dem Gärtner im Nachbarsgarten, stellvertreretend für viele, der mit dem Fadenmäher (dieses alles vernichtende Gerät wird immer öfter auch anstelle des Rasenmähers eingesetzt) alles bis in die hinterste Ecke mäht, auch Stellen mit hohem Gras, und mir erklärt, er habe keine Zeit, das Gras vor dem Mähen abzusuchen nach Tieren. Dies nachdem er drei Waldmäuse «erwischt» hat, wie er bedauernd feststellt. Ich möchte gar nicht wissen, was er sonst noch «erwischt» hat, denn nebenan ist ein Naturgarten, und Kröten und Molche sind nun unterwegs zum Überwinterungsplatz…….

  3. Genau – Wiesen sind im Garten das halbe Leben!
    Bei mir entwickeln sich über 50% der Tagfalter an Gräsern und anderen Wiesenpflanzen, wie Hornklee, Rotklee, Wicken oder Ampfer.

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