Der Storch bringt die Babys, der Wolf frisst Grossmütter und eine schwarze Katze bedeutet Unglück. Unsere Märchen, Geschichten und Sprache sind voller Tiere. Wussten Sie zum Beispiel, wie der Eisvogel zu seiner Farbe kam? Wir tauchen ab in die Welt der Vogel-Mythen.
Vor kurzem stolperte ich über die mir unbekannte französische Sage, die dem Eisvogel eine Verbindung zu Noah nachsagt. Kurzerhand war die Inspiration für diesen Artikel geboren — ich wollte herausfinden, welche unbekannten Legenden, Sagen und Geschichten es gibt über unsere gefiederten Freunde. Die Recherchearbeit dazu gestaltete sich als etwas schwieriger als erwartet, denn wie genau findet man denn nun unbekannte Geschichten? Die «Ornithologischen Steckbriefe» von Peter Jascur boten mir mit den wissenswerten Fakten zumindest einen Anhaltspunkt, der weitere Recherchen ermöglichte. Gerne möchte ich nun einige Geschichten und Anekdoten, die mir untergekommen sind, vorstellen. Vögel können nämlich nicht nur Kulturfolger, sondern auch waschechte Kulturvögel sein.
Wie der Eisvogel zu seiner Farbe kam
Der Eisvogel ist einer der prächtigsten, farbigsten Vögel der Schweiz. Gerade in den Wintermonaten ist er aufgrund der fehlenden Blätter deshalb besonders leicht zu erkennen — falls man das Glück hat, über einen zu stolpern. Laut einer französischen Sage hat er sein farbiges Federkleid während der Sintflut bekommen. Ursprünglich soll der Eisvogel nämlich grau gewesen sein und so soll er sich auch auf der Arche Noah befunden haben.
Nachdem Noah die Taube ausgeschickt hatte, soll er auch den Eisvogel geschickt haben, um nach Land Ausschau zu halten. Weil sich bei seinem Ausflug allerdings ein Sturm erhob, musste er immer höher in den Himmel steigen, um nicht von den Wellen verschlungen zu werden. Dabei nahmen seine Federn das Himmelblau an. Schliesslich sah er die Sonne unter sich aufgehen, was ihn so faszinierte, dass er immer weiter auf diese zuflog. Von der immer grösseren Hitze fingen seine Bauchfedern Feuer — und malten diese orange. Er gab seinen Flug zur Sonne auf, um sich im Wasser abzukühlen. In der Zwischenzeit hatte Noah Land gefunden und so fand der Eisvogel die Arche nicht mehr auf dem Wasser. Laut der Sage sieht man ihn deshalb noch heute den Ufern entlang nach der Arche suchen und mit durchdringendem Ruf nach Noah rufen.
Ist es die Nachtigall oder die Lerche?
«Es war die Nachtigall und nicht die Lerche»: Spätestens mit dieser Zeile aus Romeo und Julia hat Shakespeare die beiden Vögel in der Menschheitsgeschichte verankert und für immer verbunden. Obwohl Julias Vogelwissen hier natürlich in Frage gestellt werden muss — weiss doch Romeo sofort, dass es sich nicht um eine Nachtigall, sondern tatsächlich um die Lerche handelt.
Gerade die Nachtigall, ist mit ihrem imposanten Gesang Muse für so manches Gedicht und Märchen. Heute häufig als Liebeslied aufgefasst, wurde der Gesang der Nachtigall in der Antike als Klagelied interpretiert. Grund dafür sind verschiedene griechische Sagen, in denen Frauen in Nachtigallen verwandelt werden. So zum Beispiel die Tragödie der Aëdon, die versehentlich ihren eigenen Sohn ersticht und darauf die Götter anfleht, ihr die menschliche Gestalt zu nehmen. Zeus verwandelt sie darauf in die erste Nachtigall und sie verbringt den Rest ihres Lebens wehklagend singend. Im Gegensatz zu Romeo waren die Griechen allerdings noch keine sehr guten Ornithologen, denn eigentlich singt nur die männliche Nachtigall.
Die Lerche findet sich weniger in Erzählungen und Mythen als die Nachtigall. Durch ihr früh morgendliches Zwitschern galt sie immerhin vielerorts als natürlicher Wecker. Wer sich heute noch darauf verlässt, wird jedoch häufig verschlafen — nur selten ist sie noch zu hören. Übrigens haben die Lerche und die Nachtigall doch noch mehr Gemeinsamkeiten als Shakespeare: Nicht nur, sind sie beide als Frühlingsbotinnen bekannt, beide sind auch namensgebenden für Asteroiden des Hauptgürtels. (713) Luscinia und (702) Alauda wurden von dem deutschen Astronomen Joseph Helffrich entdeckt und benannt.
Raben — Unglück oder Weisheit?
Das Verhältnis zwischen Menschen und Raben ist ein schwieriges. In der römischen, griechischen und germanischen Mythologie symbolisierten Raben meist Weisheit und Wissen, so begleiten den nordischen Gott Odin stets die beiden Raben Hugin und Munin. Trotzdem werden Raben in unserer Kultur heute mit Tod und Unglück verbunden.
Der Rabe war der Begleiter von Hexen und Zauberern, ein «Galgenvogel», der bei Hinrichtungen um die Opfer kreiste. In den Metamorphosen des Ovid wird erzählt, dass der einst strahlend weisse Rabe, der Vogel des Sonnengott Apollo, als Überbringer einer schlechten Nachricht bestraft wurde und fortan schwarzes Gefieder trug. Der Mythos des «Unglücksboten» rührt vermutlich von dieser Geschichte.
Eine weitere Quelle für die unheilvolle Symbolik des Raben ist das populäre Kinderlied «Hoppe hoppe Reiter», in dem es heisst: «Fällt er in den Graben, fressen ihn die Raben». Solche Lieder, die Kindern von klein auf Angst vor Raben einflössen, tragen zur negativen Wahrnehmung des Vogels bei. Auch die sehr negativ konnotierten «Rabeneltern» helfen dem Ruf des Raben nicht — da junge Raben nach Verlassen des Nests noch sehr unbeholfen wirken entstand der Mythos, Raben seien schlechte Eltern und würden ihre Jungen vorzeitig im Stich lassen.
Interessanterweise bleibt bis heute die dunkle, eher düstere Symbolik des Raben, die vor allem im Mittelalter entstand, in unserem Alltag stärker präsent als die alten, positiven Mythen aus der Antike, in denen Raben als weise Berater und Begleiter der Götter galten. Es ist faszinierend, wie sich über die Jahrhunderte die Wahrnehmung dieses Vogels gewandelt hat — von einem Symbol der Weisheit und göttlichen Beratung hin zu einem Todes-Vorboten.
Kiebitz-Eier für den König
Der Kiebitz galt früher sowohl als Totenvogel wie auch als Glücksbringer, je nach Region. An einigen Orten sagte man, dass wer seinen ersten Ruf hörte und Geld im Sack hatte, sicher sein konnte, das ganze Jahr genügend davon zu haben. An anderen Orten interpretierte man seine «kiju-witt»-Rufe als «Komm mit» Aufforderung — es brachte ihm den Ruf des Totenvogels.
In der niederländischen Provinz Friesland wurden noch bis 2006 Kiebitzeier gesucht und verspeist. Seit den 1930ern ist es in dieser Region ein Volkssport, das erste Kiebitzei des Jahres zu finden und dem König zu übergeben. Hunderte von Menschen gehen jedes Jahr auf die Wiesen und Weiden während des sogenannten «aaisykje». Die Person, die das erste Ei findet, wird wie ein Volksheld gefeiert.
Da der Kiebitz auch in den Niederlanden mittlerweile selten geworden ist, findet diese Tradition in dieser Weise nicht mehr statt — stattdessen wurde sie so abgeändert, dass sie mit dem Schutz der Vögel vereinbar ist. Heutzutage gehen circa 3’500 Eiersuchende auf die Wiesen, um Nester zu markieren, so dass die Landwirte darum herumfahren können, oder um Schutzvorrichtungen über den Nestern aufzustellen, so dass sie vom Weidevieh nicht zertrampelt werden können. Die Finder des ersten Nests werden immer noch vom Kommissar des Königs und dem Bürgermeister geehrt. Ein schönes Beispiel dafür, wie Traditionen zeitgemäss angepasst werden können.