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Hotspot Naturgarten – Totes Holz lebt

Beatrix Mühlethaler
Beatrix Mühlethaler
Beatrix Mühlethaler ist begeisterte Naturgärtnerin. Sie befasst sich als Journalistin vorwiegend mit Natur- und Umweltthemen und setzt sich an ihrem Wohnort für die heimische Flora und Fauna im Siedlungsraum ein. Fortbildung und Freude bieten ihr der eigene Naturgarten sowie Gemüse- und Beerenkulturen.

Unzählige Lebewesen brauchen totes Holz als Lebensraum und Nahrung. Alle haben dabei ihre besonderen Vorlieben. Deshalb ist es so wichtig, dass Holz in jeder Form und Lage im Garten bleibt: absterbende Bäume in aufrechter Position ebenso wie liegende Holzprügel.

Eine blühende Reifweide.
Eine Weide gefällt vielen – ob in der Blütezeit ihres Lebens oder danach. © Beatrix Mühlethaler

Bevor die Reifweide in unserem Garten abstarb, sorgte ihre Blüte jeden Frühling für Hochgefühle: Wenn rundum noch alles kahl war, leuchteten an sonnigen Tagen die silbrigen Kätzchen vor dem blauen Himmel. Sobald sie blühten, summten zahlreiche Bienen, die bereits im März Futter suchten, um die gelben Pollenkissen. Als die Weide zu kränkeln anfing und dann nicht mehr austrieb, war ich konsterniert. Spuren wie zum Beispiel Käferlöcher, die ihr Ableben erklärt hätten, sah ich keine. Im Bewusstsein, dass auch dieses Stadium ökologisch wertvoll ist, liess ich den Baum, nur etwas zurückgestutzt, in der Hecke stehen. Das sah nicht besonders schön aus. Aber als nach einiger Zeit Pilze sprossen und ein Buntspecht regelmässig am Holz herumhackte, wurde daraus eine auch ästhetisch spannende Holzskulptur.

Tote Reifweide.
An der toten Reifweide entwickelt sich neues Leben. © Beatrix Mühlethaler

Der Specht brachte es an den Tag: Hier hausten Käferlarven und verköstigten sich vom Holz. Insekten hatten offenbar die bereits kränkelnde Weide als Ablageplatz für ihre Eier gewählt. Fünf Jahre lang stand die Weide mit zunehmenden Spuren holzverarbeitender Organismen da. Letztes Jahr sicherte ich sie mit einer Schnur, weil sie etwas wackelig wurde. Der letzte Sturm hat sie nun in Schräglage gebracht. Damit wurde sie kürzlich, in einige Stücke zersägt, zu liegendem Holz.

Tote Reifweide
Am liegenden Holz der Reifweide werden andere Bewohner Gefallen finden. © Beatrix Mühlethaler

Auch eine weitere Weide wird offenbar intensiv von Larven genutzt. Das lässt sich zumindest aus ihrer durchlöcherten Rinde schliessen. Trotzdem hat sie nach einem Rückschnitt neue Triebe gebildet und seither vier Frühlingsblüten hervorgebracht. Auch diese Weide hat kaum mehr Wurzeln und wird wohl dieses Jahr zum letzten Mal Kätzchen treiben.  

Ein abgestrobener Weidestamm.
Diese Salweide zeigt schon viele Wunden. © Beatrix Mühlethaler

Zufällig stiessen wir eines Tages auf eine heisse Spur, wer sich hier gross und fett gefressen haben könnte. Eine riesige Raupe, die im Gras unterwegs war, namens Weidenbohrer. Gemäss Gartenliteratur ist dieses Tier ein schlimmer Schädling.

Die Weidenbohrer-Raupe ist auf Totes Holz angewiesen.
Weidenbohrer-Raupe. © Beatrix Mühlethaler

Zwar lege der Weidenbohrer-Falter seine Eier bevorzugt in Rindenrisse von krankem und totem Holz, heisst es auf www.gartenlexikon.de. Da man dieses aber meist nicht im Garten belasse, wähle er als Alternative auch gesundes Holz. Trotz dieser Feststellung wird geraten, befallenes Gehölz samt dem Wurzelstock aus dem Garten zu entfernen. Befolgt man diesen Ratschlag, müssen sich zufliegende Falter dann tatsächlich an gesunden Bäumen vergreifen. Die Argumentation erinnert mich an die – widerlegte – Behauptung, Waldreservate dienten als Brutstätten für Borkenkäfer und seien deshalb gefährlich für umliegende Wälder. Man vergisst dabei, dass alle Insekten in einer vielfältigen Umgebung auch ihre Widersacher haben. Jedenfalls überlasse ich auch diese Weide ihren Bewohnern und setze gelegentlich eine neue.  

Im weichen Holz der Weide lassen diverse Insekten ihre Nachkommen heranwachsen. Dazu gehört der wunderschöne Moschusbock.

Ein Moschusbock liebt Totes Holz.
Der Moschusbock wächst als Larve im Holz heran. © Beatrix Mühlethaler

Den Moschusbock habe ich einige Male zur Sommerzeit im Garten angetroffen. Seine Larve verbringt zwei bis drei Jahre im Holz fressend, bis sie zum ausgewachsenen Käfer wird. Dieser nascht Pollen an grossen Doldenblüten und saugt Säfte an Bäumen. Oder er bedient sich an angefressenem Obst und lässt sich dabei auch von der Fotografin nicht stören.

Moschusbock auf Obst.
Der Moschusbock nascht gerne an Obst. © Beatrix Mühlethaler

Ein Wurzelstrunk, den wir vor vielen Jahren zur Stütze der Erde an einem kleinen Hang eingebaut hatten, erhielt ebenfalls Besuch, blieb dabei aber intakt. An den perfekten runden Käfergängen, die jedes Jahr mehr werden, hat bisher keine Wildbiene zum Legen ihrer Eier Gefallen gefunden – wohl wegen der schattigen Lage.

Holzstrunk_Flechte
Ein Holzstrunk, der noch lange als Wohnung dienen kann. © Beatrix Mühlethaler

Zahlreiche Spuren von Leben zeigen auch die dicken alten Triebe der Heckenkirsche. Gemäss Fachliteratur gibt es einen Spezialisten, der als Wiege für seine Nachkommenschaft ausschliesslich die Heckenkirsche wählt, den Geissblatt-Linienbock. Einen Beleg für diesen Bewohner in Form eines ausgewachsenen Käfers bekam ich im Garten aber nie zu Gesicht.

Heckenkrische
Die Triebe der Heckenkirsche tragen zahlreiche Spuren ihrer Bewohnerschaft. © Beatrix Mühlethaler

Weitere Insekten, die Holz als Basis brauchen, sind der Rosenkäfer und der Pinselkäfer. Ihre Larven entwickeln sich in verrottendem Holz, wobei der Engerling des Rosenkäfers sich oft auch im Kompost gut entwickelt. Wenn sie dann als ausgewachsene Käfer auf Blüten zu Gast sind, kann man sich über ihre Metamorphose zu einem so schönen Geschöpf wundern und freuen.

Die Larve des Pinselkäfers ernähren sich unter anderem von Totholz.
Pinselkäfer auf Akeleiblättriger Wiesenraute. © Beatrix Mühlethaler

Auf Holz angewiesen ist auch eine weitere auffällige Blütenbesucherin, die dunkelblaue Holzbiene. Diese grosse Wildbiene besucht gerne Schmetterlings- und Lippenblütler, in meinem Garten bevorzugt den Muskatellersalbei, die breitblättrige Platterbse und die Kefen. Für ihre Brut nagt sie ein tiefes Loch in trockenes, sonnenexponiertes Holz.

Die Blaue Holzbiene ist auf Totholz angewiesen.
Eine Blaue Holzbiene labt sich an Muskatellersalbei. © Beatrix Mühlethaler

So nutzen Tiere Holz teils als Wohnstruktur, teils als Nahrung – und oft beides. Doch nur wenige Insektenarten können Zellulose ohne fremde Hilfe abbauen. Sie sind somit auf Vorarbeiter angewiesen, die das Holz vorgängig zersetzen, damit sie es verdauen können: Pilze und Bakterien. Die Pilze dienen anderseits ebenfalls als Wohnraum für spezialisierte Insektenarten.

Pilzgarten auf Totholz
Auf Totholz entwickeln sich oft schöne Pilzgärtchen. © Beatrix Mühlethaler

Es ist eine riesige Zahl mehrheitlich heimlicher Organismen, die vom Holz leben, es dabei abbauen und als Bestandteil des Bodens wieder in den Kreislauf der Erde zurückführen. Jedes Stadium des Holzes vom Leben zum Tod und zum endgültigen Zerfall hat dabei eine unterschiedliche Bewohnerschaft. Diese unterscheidet sich zudem abhängig davon, ob am Standort Sonne oder Schatten dominiert und ob das Holz noch als Stamm dasteht oder ob es liegt. Innerhalb dieser Gemeinschaft aus Bakterien, Pilzen, Insekten und  anderem Kleingetier bestehen Wechselwirkungen und Abhängigkeiten, wie man sie besser von den Bestäubern und ihren Blüten kennt. Mit von der Partie sind ferner Räuber und Parasiten, beispielsweise Schlupfwespen.

Schlupfwespe
Eine Schlupfwespe bohrt ihren Legestachel in ein Wirtsinsekt in einem Holzpfahl. © Beatrix Mühlethaler

Im Lauf des Zersetzungsprozesses ändert sich die Bewohnerschaft laufend. Deshalb braucht es für die jeweiligen Spezialisten im nahen Umkreis ein kontinuierliches Angebot an besiedelbarem Holz, das heisst Holz in allen Stadien des Lebens und Zerfalls. Das kann auch Holz sein, das in irgendeiner Funktion im Garten zum Einsatz kommt, also gleichzeitig dem Menschen dient. Zum Beispiel Rindenschnitzel auf dem Weg.

Rindenschitzel nutzten diesen Pilzen.
Auf Rindenschnitzeln entwickeln sich oft Pilze. © Beatrix Mühlethaler

Pilze und Tiere können auch unbehandelte Zäune, Stickel, Bänke und Tische, die der Mensch für seine Zwecke im Garten platziert hat, mitnutzen. Klar geraten diese Gegenstände irgendwann ans Ende ihrer Funktionstüchtigkeit. So mussten wir nach vielen Jahren eine hölzerne Sitzgruppe aufgeben, weil die Ameisen unter unserer Sitzfläche zu dominant wurden. Es handelte sich dabei um Stämme von Bäumen, die unserem Haus hatten weichen müssen. Wir erlebten sie als spannende Sitzelemente, die sich im Lauf der Jahre veränderten und so immer etwas zu schauen gaben.

Totholz kann auch als Dekoration oder als Sitzgelegenheit genutzt werden.
Eine Sitzgruppe, die nicht ewig hält, aber dabei vielen nützt. © Beatrix Mühlethaler

Beitrag erschien erstmals im April 2015. Bei dieser Version handelt es sich um einen überarbeiteten Beitrag.

2 Kommentare

  1. Die Stürme im Winter haben viel Totholz zu Boden gebracht. Wer jetzt eine Beschäftigung sucht mit schulbefreiten unternehmungslustigen Kindern: schleppt Totholz in eure Gärten und baut Igelhäuser, Asthaufen für Eidechsen, Versteckburgen für Waldmäuse und Kröten – es braucht nur eine kleine Ecke im Garten, und wer keinen hat, darf vielleicht beim Nachbarn…..Auch das Anschleppen kann schon eine abenteuerliche Herausforderung sein, z.B. mit Seilen – der Erfindergeist ist gefragt!

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