StartHintergrundWissenKönnen Solaranlagen Biodiversität fördern?

Können Solaranlagen Biodiversität fördern?

Die Schweiz steht vor der Herausforderung, bis 2050 das Netto-Null-Ziel zu erreichen. Gleichzeitig darf aber bei der Energiewende die Natur nicht zu kurz kommen. Der Übergang zu den erneuerbaren Energien muss durchdacht passieren, um negative Folgen für die Biodiversität zu vermeiden — oder diese sogar zu fördern.

Viel wurde im Vorfeld zu den Abstimmungen über das Stromgesetz und die Biodiversitätsinitiative darüber diskutiert, ob und wie Biodiversität und der Ausbau der erneuerbaren Energien vereinbar sind. Klar ist, dass wir dringendst auf erneuerbare Energien umrüsten müssen. Auch klar ist jedoch, dass Projekte wie der geplante Solarpark in Grengiols auf Kosten der Natur stattfinden. Wie also bringen wir Energiewende und Biodiversitätskrise unter einen Hut?

Bestehende Infrastruktur bevorzugen

Die klar umweltfreundlichste Methode, ist der Ausbau von Photovoltaik-Anlagen (PV-Anlagen) auf bestehender Infrastruktur. Das Produktionspotenzial an geeigneten Bauten beträgt circa 82 TWh pro Jahr — das ist weitaus mehr als der momentane Verbrauch von circa 57 TWh (Stand 2022). Doch ganz so einfach ist es natürlich nicht. Einerseits stellt sich die Frage nach der Winterversorgung, denn in tiefen Lagen produzieren die PV-Anlagen rund zwei Drittel ihres Stroms im Sommerhalbjahr. Andererseits macht es wirtschaftlich keinen Sinn, wenige Jahre vor einer Dachsanierung eine PV-Anlage aufs Dach zu bauen. Zudem ist zu erwarten, dass der Verbrauch bis 2050 durch die Elektrifizierung von Mobilität, Industrie und Wärme auf 80 bis 90 TWh pro Jahr ansteigen wird.

Diese Probleme könnten durch Solarparks in hohen Lagen gelöst werden. Denn die Solarmodule haben einen hohen Wirkungsgrad bei tiefen Temperaturen und erhalten im Vergleich zu tieferen Lagen deutlich mehr Sonne im Winter da sie häufig über dem Nebel liegen und die Sonne am Schnee reflektiert. Oft produzieren PV-Anlagen in den Bergen sogar mehr Strom im Winter als im Sommer. Allerdings haben PV-Anlagen in den Bergen je nach Lage grosse Auswirkungen auf Natur und Landschaft. Der Fokus muss auf Flächen liegen, die ökologisch uninteressant oder bereits stark genutzt sind.

Artenförderung in Solarparks?

Es gibt diverse Berichte und Studien, die zeigen, dass sich Solarparks positiv auf die Biodiversität auswirken können. Allerdings ist dies stark vom Ausgangszustand abhängig. Handelt es sich um eine extensiv bewirtschaftete Grünfläche wird eine Überbauung mit einer PV-Anlage sich negativ auf die Biodiversität auswirken. Handelt es sich hingegen um intensiv bewirtschaftetes oder versiegeltes Land, gibt es durch entsprechende Planung und Pflege durchaus Potenzial für die Biodiversität. So können PV-Anlagen tatsächlich zu Rückzugsorten für manche bedrohte Arten werden.

Gerade in den stark zersiedelten, intensiv genutzten Teilen des Landes, bieten PV-Anlagen im Vergleich zu anderen Nutzungen der Natur Vorteile. Da die Anlagen nicht oft gewartet werden müssen, gibt es kaum noch Störungen und Tiere kriegen so die nötige Ruhe. Durch die Umstellung von intensiver zu extensiver Bewirtschaftung (beispielsweise können Schafe unter der Anlage grasen und so den Bewuchs klein halten) sind auch keine Pestizide, Düngung und Bodenbearbeitung mehr nötig.

Bei richtiger Planung, die Strukturen für Kleinsäugern, Amphibien und Reptilien bietet, entsteht durch die teilweise Beschattung ein kleinräumiges Nebeneinander verschiedenster Lebensräume. So kann auf 70-95% des Bodens der Anlage Biodiversität gefördert werden. Dass dies gar nicht so kompliziert ist, zeigt eine interaktive Grafik des Naturschutzbund Deutschland (NABU).

Enormer Eingriff in die Natur

Allerdings sind die Umstände, unter denen Freiflächen PV-Anlagen der Biodiversität zugutekommen würden, in den alpinen Regionen der Schweiz so gut wie nicht gegeben. Auch aus raumplanerischer und Landschaftsschutz Sicht sind diese geplanten alpinen PV-Anlagen höchst fraglich. Hinzu kommt, dass der initiale Bau, gerade an abgelegenen Orten, mit einer sehr grossen Störung des Ökosystems einhergeht — weit über das Land, das überbaut wird, heraus.

Oft befindet sich weder ein leistungsfähiger Netzanschluss in der Nähe des Gebiets noch ist eine genügend grosse Grunderschliessung gegeben. Beides führt zu enormen Eingriffen in die Natur, zusätzlich zum Bau der Anlage. An steilen Hanglagen (über 20 Grad Neigung) ist davon auszugehen, dass der Bau von PV-Anlagen den Einsatz von Raupenfahrzeugen oder Schreitbaggern bedingt. Vor allem auf empfindlichen Böden führt dies zur Verdichtung und zu Schäden an Vegetation und Boden.

Der Fakt, dass unter sehr spezifischen Ausgangsbedingungen die Biodiversität von einem Solarpark profitieren kann, darf also nicht als Freifahrtschein benutzt werden, um die Alpen zuzupflastern. Allerdings ermöglicht der teilweise Schutz, den die PV-Module vor Austrocknung oder Witterung bieten, eine andere Strategie: eine höhere Nahrungsmittelproduktion trotz teilweiser Beschattung.

Agrikultur und Stromproduktion verbinden

Die sogenannte Agro-Photovoltaik ist eine relativ neue Bewirtschaftungsform, bei der Stromproduktion und Agrikultur kombiniert werden. In Deutschland wird dies bereits seit 2011 getestet und in der Schweiz wurde 2024 vom Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL) das Pilotprojekt AgriSolar gestartet. Im Fokus der Forschung stehen die Fragen nach den Vorteilen der Technologie für die Landwirtschaft. In der Schweiz sind solche Anlagen nur erlaubt, wenn sie einen Nutzen für die Kulturen bringen — also beispielsweise Witterungsschutz oder Beschattung.

Gerade in einem zukünftigen Klima mit mehr Trockenperioden, weniger Regen und mehr Extremereignissen könnte die Abschirmung der Solarmodule helfen, Ernteausfälle zu verringern. In Experimenten konnte bisher bestätigt werden, dass sich der Ertrag vor allem in sehr heissen, niederschlagsarmen Jahren erhöht. Zudem sinkt der Wasserverbrauch und die Pflanzen sind vor Starkregen oder Hagel geschützt. Unterschiedliche Nutzpflanzen sind allerdings unterschiedlich geeignet. So reagieren laut einem Bericht der ZHAW Mais und Hülsenfrüchte eher empfindlich auf den Schatten und die heterogenen Licht- und Wasserverhältnisse unter PV-Modulen. Als tolerant gelten hingegen Beeren, Obstkulturen und Fruchtgemüse.

Richtige Planung ist der Schlüssel zum Erfolg

Energiewende und Biodiversität müssen sich nicht ausschliessen, erfordern aber eine sorgfältige Planung. Umweltkriterien dürfen bei der Standortwahl nicht nebensächlich sein. Überstürzte Projekte führen in allererster Linie zu Einsprachen, die verhindert werden können, wenn Umweltorganisationen von Anfang an miteinbezogen werden. Vorrangig ist und bleibt, Energieverschwendung zu stoppen und den Ausbau erneuerbarer Energien auf bestehender Infrastruktur zu priorisieren.

Quellen und weitere Informationen:
NABU: Kriterien für naturverträgliche Solarparks
SCNAT: Ausbau erneuerbarer Energien biodiversitäts- und landschaftsverträglich planen
ZHAW: Machbarkeitsstudie Agro-Photovoltaik in der Schweizer Landwirtschaft
ZHAW: Auswirkungen von Freiflächen-Photovoltaikanlagen auf Biodiversität und Umwelt

1 Kommentar

  1. Soso, die Industrialisierung von Landwirtschaftsflächen mit PV-Anlagen soll also die Biodiversität positiv beeinflussen können? Und wenn in einer totgespritzten Agrarwüste mit PV-Anlagen eine Nutzungsintensivierung erfolgt, wird das sogar als Erfolg für den Naturschutz gefeiert?
    Ich glaube, ich lese nicht richtig!
    Bei Agro-Photovoltaik geht es ausschliesslich darum, mit immer mehr technischen Infrastrukturen die Fläche noch besser verwerten zu können und mehr Profit herauszuschlagen. Auf Kosten der Konsumentinnen und als zusätzliche Umweltbelastung.
    Ein Schweizer Landwirtschaftsbetrieb erzielt im Durchschnitt schon heute über 60 % seines Gewinns über Subventionen. Nur Norwegen leistet sich eine noch höhere Subventionierung. Und trotzdem geht es vielen Betrieben schlecht und die Bauern weisen die höchste Selbstmordrate aller Berufsgruppen auf.
    Dieses kontraproduktive «Nein, aber vielleicht doch, wenn …» der Umweltverbände führt den Naturschutz nur noch weiter in die Bedeutungslosigkeit.
    Wir brauchen eine ganz neue Landnutzung für die Erzeugung von Nahrungsmitteln und Industrierohstoffen. Das geht flächendeckend in Richtung Biolandbau, Permakultur, Agroforst und ähnlichen Systemen und eine neue Verbindung zwischen Produzenten und Konsumenten (z.B. mit CSA).

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