Möchte man seinen Garten zu einem insektenfreundlichen Naturgarten umgestalten, gilt es immer wieder auszuwählen: Welche Pflanzen, Bäume, Sträucher dürfen bleiben, welche sollten ersetzt werden? Eine entscheidende Frage lautet, wie wertvoll das jeweilige Grün ist. Schadet es gar? Was wäre eine gute Alternative? Doch manchmal fällt die Trennung nicht leicht.
Erinnerungen an unsere Kindheit erfüllen uns häufig mit Nostalgie: «Ich weiss noch, wie wir jedes Jahr…», «Wir konnten es immer kaum erwarten, dass…». Diese Erinnerungen zaubern uns ein Lächeln auf das Gesicht. Sie erfüllen uns mit einem ganz besonderen melancholischen Glück. Für mich persönlich waren blühende Forsythien immer ein Sinnbild solcher nostalgischer Kindheitserinnerungen. Das strahlende Gelb, dass über das endlose Grau-in-Grau des kalten, regen-klammen Winters der Grossstadt triumphierte. Plötzlich waren sie da, überall. Sie trotzten Betonstrassen und klemmten zwischen kahlen Häuserfassaden.
Wenn die Forsythien blühten, dann war bald Frühling. Dann war bald Ostern mit bunten Eiern, die die gelbe Pracht noch zusätzlich schmückten. Dann wurden die Sonnenstrahlen stark genug, um einen wohligen Schauer über das Gesicht zu jagen und die Luft erfüllte sich mit Düften von solch verheissungsvoller Intensität, dass sie im Gehirn ein regelrechtes Feuerwerk auslösten.
Als ich meinen Pachtgarten übernahm war ich sehr glücklich, als ich in der hintersten Ecke, beinahe von Bäumen verdrängt und Wurzeldruck und Dauerschatten tapfer trotzend, tatsächlich eine Forsythie stand. Die Blüten waren spärlich, der gesamte Strauch jämmerlich anzusehen, aber sie war da. Kurz darauf mussten die die grossen alten Bäume samt Wurzeln und allem, was dort nistete, einer Grossbaustelle am Nachbargrundstück weichen. Ein deprimierender Anblick. Das Setzen neuer, grösserer Sträucher oder gar Bäume sei bis auf weiteres zu unterlassen, hiess es. Die Forsythie durfte bleiben. Sie steht jetzt unmittelbar an der Gartengrenze. Und blüht und strahlt im neu gewonnenen Licht.
Verständlicherweise ist dies nur ein sehr kleiner Trost gegen den Verlust des vorherigen Baumbestandes, aber ein Trost ist es dennoch. Mein kleiner blühende Strauch melancholischen Glücks.
Entsprechend getroffen war ich, als ich erfuhr, dass die Forsythie eine Mogelpackung ist. Bei einer Infoveranstaltung lernte ich, dass hier weder Nektar noch Pollen auf hungrige Insekten warten. Bei Temperaturen, die häufig noch eine echte Kraftprobe für die kleinen Körper darstellen, fliegen sie oft über lange Distanzen, angelockt von der gelben Pracht und dem was sie verheisst, nur um dann völlig entkräftet festzustellen, dass da nichts zu holen ist. Obwohl der Strauch nicht giftig ist, kann er zu einer regelrechten Todesfalle werden. Wieso war mir die öde Stille inmitten der Blütenfülle vorher nie aufgefallen? Forsythie wie konntest du nur?
Also weg damit? Rausreissen, diesen einem Naturgarten unwürdigen Strauch und durch etwas ersetzen, das wertvoller ist? Ich glaube, dies ist ein Dilemma, dass viele Leute kennen, die ihren Garten in einen wertvollen Naturgarten umgestalten wollen. Man lässt sich beraten oder liest sich selbst das Wissen an, was zu tun und zu lassen ist. Und dann steht man vor diesem Strauch, dieser Pflanze, diesem importierten Eindringling und denkt nur: «Aber…»
Machen wir es kurz: Ich brachte es nicht übers Herz. Und ich bin glücklich mit dieser Entscheidung. Ich finde, auch in einem Naturgarten muss nicht alles strikt und stur dem «grossen Ziel» unterworfen werden, oft lassen sich gute Lösungen und Kompromisse finden. Denn vor allem im Naturgarten ist man oft flexibler, als man so denkt. Da ich an der gerodeten Grenze meines Pachtgrundstücks keine grösseren Pflanzungen anlegen kann, habe ich den Baumbestand sozusagen en miniature ersetzt und dort eine Reihe kleinbleibender Obstbäumchen und -sträucher gesetzt die schmal bleiben und maximal 2,5 Meter Höhe erreichen.
Dies ersetzt keine jahrzehntealten Bäume, aber vielleicht wachsen sie mit den Jahren zu einer netten kleinen Hecke zusammen. Startpunkt dieser Hecke ist unmittelbar am Forsythienstrauch, der aktuell noch als Windfang eine kleine Zwetschge beschützt, die heuer in einem wahren Blütenmeer explodiert. Ein wenig unauffälliger versteht sich, in schlichtem Weiss, geht sie optisch ein wenig unter neben der gelben Leuchtkraft. Aber wer von weit her angeflogen kommt, findet hier mit Sicherheit etwas, um sich für den Rückweg zu stärken.
Jasmin Jansen wird neu, zusammen mit Christine Dobler Gross (seit 2012) und Beatrix Mühletaler (seit 2014), aus ihrem Naturgarten erzählen. Sie ist am Rande eines der grössten Ballungszentren in Europa aufgewachsen und hat erst in ihrem Zürcher Naturgarten die Bekanntschaft mit Blindschleichen und Schwalbenschwänzen gemacht. Als echtes Grossstadtkind ist das Gärtnern für sie immer wieder ein Blick in eine unbekannte Schatzkiste. Erst kürzlich hat sie einen lange Zeit brach liegenden Garten übernommen.
Sehr schöner Beitrag! Poetisch und nüchtern zugleich, wie das wahre Leben.
Liebe Jasmin. Das ist ein wunderbarer Beitrag. Den Zwiespalt den Du beschreibst, fühle ich immer wieder wenn ich das fröhliche Gelb sehe. Es ist eine grossartige Idee, dass die Du Zwetschge dort gesetzt hast!! Herzlichen Dank für deinen Beitrag und ich freue mich auf Weitere.
Liebe Jasmin. Danke. Dass mit den Forsythien wusste ich nicht und werde dies nächstes Jahr mal gespannt beobachten. Mit Schneeglöggli und Primeli in allen Farben habe ich aber auch noch andere Frühblüher im Garten. Die besten Erfahrungen habe ich aber mit Himbeeren und Schnittlauch gemacht. Das zieht unzählige Hummeln, Wild- und Honigbienen an und zumindest die Himbeeren auch die Nachbarskinder, welche dann in zwanzig Jahren vielleicht ihre eigenen Himbeeren pflegen werden. Holder würde sich auch noch gut in deiner Hecke machen und vielleicht noch eine Haselnuss. Diesen Strauch habe ich vermutlich den Sekundärbewohnern von meinem Meisennistkasten zu verdanken.