Wenn wir den Garten im Herbst nochmals geniessen und auf den Winter vorbereiten, sollten wir uns Zeit nehmen und auch an die Mitbewohner im Garten denken. Manch eine Ecke, ein Gestrüpp, ein Laubhaufen, ein Stengel ist Lebensraum, Nest oder Versteck geworden. Vieles kann auch als Überwinterungsplatz genutzt werden. Pflanzenstengel zum Beispiel werden oft abgeführt, ohne dass wir von ihren Bewohnern und darin enthaltenen Nestern wissen. Stengelbewohner lassen sich übrigens das Jahr hindurch gezielt fördern und toll beobachten, auch auf dem Balkon. Davon handelt dieser Beitrag.
Text und Bilder von Christine Dobler Gross
Alle Bilder wurden in meinem naturnahe gestalteten Garten aufgenommen.
Im Herbst kann der Garten nochmals bis weit in den Oktober hinein vielen Insekten Nahrung bieten, sei dies mit blühendem Efeu, Astern aller Art, Kosmee, Fetthenne, Herbstanemone, Storchschnabel, Sonnenblume, Sonnenhut, Rose, Kleearten, Wegwarte, Bergminze usw.
Bei den Vorbereitungsarbeiten für den Winter gilt für den Gärtner, für die Gärtnerin dasselbe wie das ganze Jahr hindurch: beim Putzen und Aufräumen werden viele Lebensräume oder Nester zerstört, deshalb ist grosse Zurückhaltung geboten. Hier hat im September die wunderschöne Wespenspinne ihren überwinternden Cocon in einen Grasbüschel gebaut und sorgfältig getarnt..
Heute möchte ich das Augenmerk auf markhaltige Pflanzenstengel richten. Diese ermöglichen, vertikal angeboten, überraschende Beobachtungen, im Garten und auf dem Balkon. Sie werden sowohl als Nistplatz als auch, einmal verlassen, als Versteck und Lebensraum genutzt. Hier verrät das weisse, herausgenagte Mark des Stengels einen Bewohner!
Wenn Sie Insekten fördern möchten, gehen Sie folgendermassen vor: Beim Zurechtstutzen von Brombeeren oder Abschneiden von Himbeeren dickere Stengel zuschneiden. Diese vertikal an ein selbst erfundenes «Gerüst» binden, in den Boden oder Blumentopf stecken oder ans Balkongeländer binden.
Dasselbe kann mit markhaltigen Stengeln von Heckenrosen, Disteln, Herzgespann, Königskerzen, Kletten, Beifuss gemacht werden. Man kann diese auch an Ort belassen und oben abschneiden.
Einige Wildbienenarten und Solitärwespenarten werden in der Regel rasch ihre Nester hineinnagen.
Sie werden von oben und von unten besiedelt, auch auf einem Balkon.
Sehr beliebt sind Himbeer- oder Brombeerstengel bei der Blauen Keulhornbiene Ceratina cyanea. Hier abgebildet sind Weibchen und Männchen, letzteres im Anflug. Sie füttern ihre Brut mit Pollen von verschiedenen Pflanzenfamilien.
Wenn ich neue Stengel anbiete, ist die solitär lebende Faltenwespe Gymnomerus laevipes sofort zur Stelle! Sie trägt Rüsselkäferlarven für ihre Brut ein.
Natürlicherweise knicken verblühte Pflanzen eines Tages ohne unser Zutun, hier eine Kardendistel.
Bei der Bruchstelle fand eine Grabwespe Pemphredon spec. ihr neues Zuhause.
Auf das Nest dieser Faltenwespe hat es die Goldwespe Chrysis fasciata abgesehen.
Die schönen metallisch schimmernden Wespen führen allesamt eine parasitische Lebensweise.
Aber auch Schlupfwespen sind ständig auf der Suche nach einem Nest, sie suchen mit ihren Fühlern die Stelle ab, wo sie eine Larve orten…
……um darauf mit ihrem Legestachel gezielt ein Ei zu platzieren, nachdem der Stachel die Wand des Stengels durchbohrt hat. Man stelle sich diese Präzisionsarbeit vor!
Ein sichtbar gemachter, verlassener Cocon zeigt, wie die Faltenwespen den Stengel mit Lehm auskleiden.
Nicht immer ist ersichtlich, was da abgeht: wessen Larve schleppt diese Faltenwespe weg und warum?
Mit welcher Larve ist die Schwarzspornige Stengel-Mauerbiene Osmia leucomelana beschäftigt und warum?
Wessen Puppenhülle ragt aus diesem Stengel?
Und welche Versammlung habe ich hier beim neugierigen Öffnen dieses morschen Himbeerstengels im September gestört?
Verlassene Stengel bieten oft Lebensraum für andere Tiere an, welche einen schon bestehenden Hohlraum bevorzugen. Eine Krabbenspinne hockt darin auf der Lauer.
…. und ist, wie man sieht, ein gefährlicher Hinterhalt: diese Wildbiene hats erwischt……
Aber auch ein kleines Ameisenvolk wie das der Knotenameise Temnothorax spec kann verlassene Stengel bewohnen.
Ahoi, die Luft ist rein! Kein Gärtner mit Putzausrüstung in Sicht! Wir wollen hier wohnen bleiben!
Danke für diese Einblicke in eine wenig bekannte urbane Wohnbaukultur inkl. Seitenblicken auf die mutmassliche Hausbesetzerszene in den rechtsfreien Räumen des Naturgartens samt einer mutmasslichen Zwangsräumung. Alles schon da gewesen! Was könnten Stadtbauerinnen und Architekten nicht alles lernen, über nachwachsendes und klimataugliches Baumaterial, über dichtes Bauen ohne Versiegelung der Aussenräume, wenn sie ab und zu den Blick von ihren virtuellen Modellen auf die kleinformatigen und altbewährten Siedlungsformen hinter dem Haus lenken würden, was natürlich nur geht, wenn dort mehr als ein Schottergarten oder ein Parkplatz ist.
Wunderschöne Bilder, die eindrücklich zeigen, wie wichtig allerlei verschiedene Strukturen im naturnahen Garten sind. Wenn man bedenkt, was bereits einige wenige Stengel an Nistmöglichkeiten, Futterstellen und Unterkünften bieten, kann man sich ausmalen, was ein ganzer Garten alles leisten kann. Toller Artikel Christine.