StartHintergrundWissenDer kalte Sommer 2024?

Der kalte Sommer 2024?

Der Frühling und Sommer 2024 werden auf den ersten Blick als kühl und nass in Erinnerung bleiben. Doch die Realität ist komplexer, was vor allem mit der subjektiven Einschätzung des Menschen zu tun hat. Mit einem Blick in die Vergangenheit ordnen wir die Temperaturen der letzten paar Monate ein. Denn wenn sie etwas nicht waren, dann zu kalt.

Wenn wir in einigen Jahren auf das Jahr 2024 zurückblicken, werden wir wahrscheinlich Adjektive wie «nass», «sonnenarm» und «kalt» verwenden. Im Vergleich mit dem durchschnittlichen Schweizer Klima müsste es aber eher «nass», «sonnenarm» und «eines der wärmsten aller Zeiten» heissen. Woher aber kommt diese Diskrepanz zwischen Wahrnehmung und Messungen?

Die Macht der Gewohnheit …

Wenn der Mensch eins ist, dann ein Gewohnheitstier. Und an die durchschnittlich mittlerweile 2.8°C höheren Temperaturen in der Schweiz (verglichen mit den vor-industriellen Temperaturen von 1871-1900) scheinen wir uns gewöhnt zu haben. Was heutzutage als «schlechter Sommer» gilt, wäre im letzten Jahrhundert ein Prachtsommer gewesen.  An der Messstation Basel-Binningen, beispielsweise, war die erste Sommerhälfte (1. Juni bis 15. Juli) im letzten Jahrhundert nur vier Mal wärmer! Und im Vergleich zum langjährigen Mittel 1991-2020 war bisher jeder einzelne Monat im Jahr 2024 an dieser Station wärmer. Dieser Trend zeigt sich in der gesamten Schweiz — lediglich im Tessin und im Wallis war ein einziger Monat, der Mai, etwas kühler als im Durchschnitt von 1991-2020.

Das Herumspielen mit den MeteoSchweiz-Daten zeigt eindrücklich, wie stark sich unser Klima nur schon in den letzten 60 Jahren verändert hat. Beim Visualisieren der monatlichen Temperaturanomalien in der Schweiz hat man die Wahl, ob man diese absolut, im Vergleich zu 1961-1990 oder im Vergleich zu 1991-2020 darstellen möchte. Schweizweit zeigt sich hier ein ähnliches Bild für den Juni 2024: Im Vergleich zu den letzten 30 Jahren war der Juni vielerorts temperaturmässig absolut durchschnittlich. Kein Wunder, dass wir ihn nach den letzten sehr warmen Sommern als kalt empfinden. Im Vergleich zu den durchschnittlichen Juni-Temperaturen der Jahre 1961 bis 1990 war der Juni 2024 jedoch schweizweit rund 2-3° wärmer.

Und auch wenn der Sommer vergleichsweise kühl begonnen hat, wurde mittlerweile temperaturmässig kräftig aufgeholt. Während die Mitteltemperatur im Juni je nach Region noch bei 0.1-0.7°C über dem Mittel von 1991-2020 lag, waren es im Juli bereits 1.1-1.9°C (MeteoSchweiz, Klimamonitor).

Mit dem August hat für viele dann endlich der «richtige» Sommer begonnen. An vielen Tagen kletterte das Thermometer auf über 30°C und aus Dauerregen wurde Sommergewitter. So wie man den Sommer halt kennt, oder? So ähnlich, denn der August war schweizweit 2.4-3.1°C wärmer als das Mittel von 1991-2020, im Vergleich zu 1961-1990 sogar 4-5°C. Seit Messbeginn gab es überhaupt erst ein einziges Mal einen wärmeren August!

Die subjektive Temperatureinschätzung des Menschen

Es ist eigentlich nicht erstaunlich, aber Menschen sind mit ihrer subjektiven Wahrnehmung als Thermometer herzlich wenig geeignet. Zwei Faktoren spielen dabei eine besonders grosse Rolle:

  1. 15°C sind nicht gleich 15°C. Soll heissen, dass wir Temperaturen ganz anders wahrnehmen, je nach Umstand. 15°C an einem bewölkten Tag mit Wind empfinden wir als kühl, während wir 15°C bei strahlendem Sonnenschein als schön mild empfinden. Da es gerade Anfangs Sommer unterdurchschnittlich wenige Sonnenstunden gab, empfanden wir das Wetter als kühl, obwohl es teilweise sogar überdurchschnittlich warm war.
  2. Wir registrieren die Temperatur fast nur tagsüber. Die Nächte sind aber bei Bewölkung oft wärmer als bei klarem Himmel. Wir registrieren also den gesamten Tag bei Bewölkung als «zu kühl», obwohl das Tagesmittel durch die erhöhte Temperatur in der Nacht in der Norm liegt.

… und des Vergessens

Doch auch im Vergessen sind wir Menschen ganz grosse Klasse. Wer weiss noch, wann die Schweiz den wärmsten Winter aller Zeiten erlebt hat? Es war Dezember 2023 bis Februar 2024. Dieser war 4°C (!) wärmer als der vor-industrielle Durchschnitt von 1871-1900. Dieser Fakt war spätestens ab April vergessen, als es gefühlt bis Mitte Juni durchgeregnet hat. Immerhin da stimmt unsere Wahrnehmung, denn geregnet hat es im Mai und Juni tatsächlich mehr als normal.

Während der Mai tatsächlich fast in der ganzen Schweiz für mehr Niederschlag brachte als im Mittel 1991-2020, waren die regionalen Unterschiede im Juni grösser. Vor allem im Unterengadin und in Teilen der Westschweiz war der Juni eher niederschlagsarm.

Die Lehren des Sommers 2024

Doch was nehmen wir nun mit aus dem Frühling und Sommer 2024, die kalt und nass und grau waren, aber eigentlich ja doch nicht so ganz? Zumindest einige Lehren können wir ziehen:

  1. Was heute als zu kühl gilt, ist im Vergleich mit der jüngeren Klimavergangenheit (1991-2020) zu warm oder im besten Fall im Durchschnitt. Im Vergleich mit der etwas älteren Klimavergangenheit (1961-1990) ist es allerdings massiv zu warm.
  2. Was wir als «schlechten» Sommer wahrnehmen hat sich in den letzten Jahrzehnten stark verändert.
  3. Es kann hilfreich sein, manchmal die eigene Subjektivität mit Fakten und Zahlen abzugleichen. Denn Menschen können zwar vieles, aber ein Thermometer ersetzen gehört nicht dazu.

Unterschied Wetter und Klima

Das Thema kommt jedes Mal auf, wenn es um Wetterabweichungen geht: Der Unterschied zwischen Wetter und Klima.

  • Wetter: Als Wetter bezeichnet man, was zu einem bestimmten Zeitpunkt und an einem bestimmten Ort in der Atmosphäre passiert. Es lässt sich beobachten und messen. Wolke, Regen, Sonne, Temperatur — sie alle sind Teil des Wetters. Das Wetter lässt sich für einige Tage ziemlich genau voraussagen, je weiter in der Zukunft, desto schlechter werden die Prognosen allerdings.
  • Klima: Als Klima bezeichnet man das durchschnittliche Wetter über einen langen Zeitraum, also die Statistik des Wetters. In den Klimawissenschaften rechnet man meistens mit einem Zeitraum von 30 Jahre. Auch das Klima lässt sich vorhersagen. Allerdings sind solche Berechnungen sehr viel komplizierter als ein Wetterbericht, denn nicht nur das Geschehen in der Atmosphäre, sondern alle Wechselwirkungen des Systems Erde müssen berücksichtigt werden. Diese Klima-Projektionen sind auch entsprechend abhängig von Variablen, wie beispielsweise dem zukünftigen Umgang mit Treibhausgasen.

Quellen und weitere Informationen:
www.meteoschweiz.admin.ch
MeteoSchweiz Monatsgitterkarten
www.tagesanzeiger.ch/schweizer-unwettersommer-2024-vergleich-mit-anderen-jahren

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