Aus Gewohnheit trinken wir den Kaffee aus dem Kunststoffbecher. Im Wissen um die Konsequenzen der enthaltenen Schadstoffe auf die Gesundheit und die Natur, können wir uns kompetent dagegen entscheiden.
Originalartikel von Hraško, T. erschienen in OEKOSKOP, Fachzeitschrift der Ärztinnen und Ärzte für Umweltschutz (AefU), 3/24, 8–11.
Kontakt: tomas.hrasko@bluewin.ch, www.phoenixhealth.ch
Wenn es mir mit diesem Artikel gelingt, Sie und in der Folge sogar Ihr Umfeld zu überzeugen, für die Unterwegsverpflegung Flaschen, Geschirr, Becher und Mahlzeitenbehälter aus Edelstahl oder Glas zu beschaffen und soweit es immer geht auf Einwegverpackungen zu verzichten, hat er sein Ziel schon erreicht. Dies zu Gunsten Ihrer Gesundheit sowie der ganzen Erde, die diese Thematik auch betrifft. Denn der Plastikverbrauch steigt ständig.
Chronische Krankheiten nehmen global zu
In den letzten 40 Jahren stieg weltweit die Inzidenz (Betroffene pro Jahr) und damit auch die Prävalenz (Betroffene in der Population) von vielen chronischen sogenannten «Zivilisationskrankheiten» — und zwar dramatisch. Ich erwähne hier einige, die mit Chemikalien in Lebensmittelverpackungen ursächlich zusammenhängen könnten. Zu betonen ist jedoch, dass diese Zusammenhänge noch ungenügend erforscht und damit weder widerlegt noch abschliessend nachgewiesen sind.
Dazu zählen Krankheiten, die durch sogenannte endokrine Disruptoren (Hormongifte) mitbegünstigt sein können, etwa das metabolische Syndrom, das sich aus Diabetes mellitus Typ 2 (erworbene Zuckerkrankheit), Adipositas (Fettleibigkeit) sowie Dyslipidämie (erhöhte Cholesterinwerte) und arterieller Hypertonie (hoher Blutdruck) zusammensetzt. In China betrug die Prävalenz von Diabetes mellitus Typ 2 in den 1980er-Jahren zirka 1%. Aktuell ist diese Häufigkeit auf 15% gestiegen. In Europa ist die Situation ähnlich (aktuelle Prävalenz rund 10%) [1]1.
Hormongifte sind ebenfalls relevant für die — wie ich es nenne — «stille globale Pandemie». Ich meine damit die Infertilität. Die Menschheit hat ein riesiges Problem mit der Fruchtbarkeit. Laut der neusten WHO-Statistik aus dem Jahr 2023 ist jedes sechste Paar (zirka 16%) unfruchtbar [2,3]. Diese ungünstige Entwicklung hat ihre Entsprechung in der Tatsache, dass sich die Spermienkonzentration im Ejakulat in den letzten 50 Jahren halbiert hat! Heutige durchschnittliche Spermienkonzentrationen von «gesunden» Männern gälten gemessen an den Referenzen aus den 1960er-Jahren als bedenklich. Das aktuelle Tempo bei der Reduktion der Spermienkonzentration beträgt 2.6% jährlich. Setzt sich diese Reduktion linear fort, würde die aktuelle von der WHO als gerade noch fruchtbar gesetzte Untergrenze in 44 Jahren erreicht [4,5]. Dieser Trend widerspiegelt sich auch in den steigenden Zahlen von IVF-Eingriffen [6].
Die Natur im Plastikstrudel
Auch die Natur leidet unter chronischen Krankheiten. Laut dem Living Planet Report 2022 des World Wildlife Fund (WWF) sind die beobachteten Populationen von Wirbeltieren (Säugetiere, Vögel, Amphibien, Reptilien und Fische) seit 1970 im Durchschnitt um 69% zurückgegangen. Am schlimmsten hat es die Populationen in Lateinamerika und der Karibik getroffen, wo der Rückgang durchschnittlich 94% betrug. Auch die weltweiten Süsswasserarten sind mit einem durchschnittlichen Populationsrückgang von 83% unverhältnismässig stark betroffen [7]. In anderen Worten: Wie die Menschheit ist auch die Natur in den letzten Jahrzehnten dramatisch kränker geworden.
Im Zusammenhang mit den Lebensmittelverpackungen stehen die Ozeane. In den Weltmeeren schwimmen sechs grosse Müllstrudel, die enormen Mengen Plastik enthalten. Der bekannteste und grösste dieser Müllinseln ist der sogenannte «Grosse Pazifikmüllteppich» («Great Pacific Garbage Patch, GPGP»). Er befindet sich seit 1997 zwischen Hawaii und Kalifornien. Sein Kern ist vier Mal so gross wie Deutschland und seine ganze Ausdehnung ist vierzig Mal so gross wie die Schweiz! In diesem Wirbel befindet sich so viel Plastik wie 500 Flugzeuge Boeing 747 wiegen (80 000 Tonnen). Es gibt Gebiete im Pazifik, die bis zu 45 Mal mehr Mikroplastik enthalten als Plankton [8,9].
Es erstaunt nicht, dass so viel Plastik in den Ozeanen und in den sie bevölkernden Tieren zu finden ist. Denn weltweit werden jährlich knapp 450 Millionen Tonnen neuer Plastik produziert.2 Zirka zwei Millionen Tonnen davon landen ungenutzt direkt in den Ozeanen [10]. Pro Kopf verursacht die Weltbevölkerung durchschnittlich 35 Kilogramm Plastikmüll pro Jahr. In der Schweiz sind es sogar 120 Kilogramm [11,12]. Es ist relativ schwierig, sich diese enormen Mengen bildlich vorzustellen. Grob umgerechnet auf Lastwagen-Ladungen, kippen wir jede Minute eine volle LKW-Ladung Plastikmüll in die Ozeane. Es ist offensichtlich, dass wir handeln müssen, um die Biodiversität und die Gesundheit für uns und die zukünftigen Generationen zu schützen. Im Privatleben ist es banal und einfach: Den Konsum von Plastikprodukten reduzieren, das senkt den Bedarf und so schliesslich die Plastikproduktion.
Unzählige Chemikalien in Lebensmittelverpackungen
Mit unserer Ernährung essen wir die Lebensmittelverpackungen quasi gleich mit. Die chemischen Schadstoffe migrieren aus der Verpackung in den Inhalt und aus dem Inhalt migrieren Stoffe in die Verpackung.3 Zwischen der Lebensmittelverpackung und dem Inhalt erfolgt ein ständiger Austausch. Hohe Temperatur, lange Lagezeiten, fettige oder saure Nahrungsmittel erhöhen die Migrationseffizienz und führen damit zu höheren Belastungen der Konsument:innen.
Auf diese vielseitige Thematik hat mich die Forscherin Dr. Jane Muncke vom Food Packaging Forum (FPF) aufmerksam gemacht [13–18]. Die Realität ist nicht schwarz-weiss. Natürlich haben Lebensmittelverpackungen mehrere positive Aspekte, die zu anerkennen sind. Zu diesen gehören beispielsweise eine längere Haltbarkeit (vermeiden von Food Waste), die Platzierung der Produktinformation, bessere Hygiene und Transportierbarkeit. Hingegen wurden in den sogenannten «Materialen mit Lebensmittelkontakt» (Food Contact Materials) über 14 000 chemische Substanzen festgestellt. Nur bei zirka 30% davon wurden die gesundheitliche Auswirkungen geprüft. Wir sehen also nur die Spitze des Eisbergs. Studien fanden in Lebensmittelverpackungen 352 verschiedene Substanzen, die krebserregend oder reproduktionstoxisch wirken können sowie 22 hormonaktive Substanzen. Und die Mehrheit dieser Substanzen gelangt in die verpackten Lebensmittel [13–18].
Vier Chemikalien aus der «Spitze des Eisbergs»
Nachstehend präsentiere ich vier häufige chemische Substanzen in Lebensmittelverpackungen: ihre Eigenschaften, wo sie Vorkommen und welche ihrer Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit gemäss Tier- und epidemiologischen Studien bekannt sind.
1. Phtalate
Phthalate werden seit den 1930er-Jahren produziert. Die Weichmacher kommen in der Plastikindustrie in grossen Mengen zum Einsatz. Sie haben sehr praktische Eigenschaften. Sie sind farblos, flexibel, geschmacklos. Und — leider — lipophil (fettlöslich), das heisst, sie migrieren in fetthaltige Lebensmittel wie Milch, Butter, Fleisch etc. und akkumulieren dann im Fettgewebe der Konsument:innen. Phthalate finden sich in PVC (Polyvinylchlorid) und in den PET-Flaschen (Polyethylenterephthalat), in Milchflaschen, in Teebeuteln und Kaffee-Pads oder in den weichen Folien für die Fleischverpackung. Um sich ein Bild von der Menge verwendeter Phthalate zu machen: Im Jahr 2017 berechnete man, dass weltweit jede Minute mehr als eine Million PET Flaschen gekauft werden! Und die sehr grosse Mehrheit dieser PET Flaschen werden nach Konsum des Inhalts gleich entsorgt. Es ist eine unvorstellbare Verschwendung von Ressourcen [19].
In Europa finden sich gemäss Studien Phthalate im Urin von zirka 95% der Bevölkerung Sie können das Risiko folgender Krankheiten erhöhen:
- Übergewicht, erhöhte Cholesterinwerte, Zuckerkrankheit und Fettleber (Steatosis hepatis);
- bei Frauen: Endometriose, frühzeitige Pubertät und frühzeitiges Eierstockversagen, unregelmässige Periode, polyzystische Ovarien, Brust-, Gebärmutter- und Eierstockkrebs;
- bei Männern: Brustvergrösserung, Fehlbildung der Harnröhre (Hypospadie), Hodenhochstand, Störung der Spermienproduktion, Hoden-, Prostata- und Brustkrebs;
- Autoimmunerkrankungen, Asthma und Allergien;
- Schilddrüsenerkrankungen;
- direkte toxische Auswirkung auf Herz, Niere und Leber sowie Gehirn (IQ-Senkung, Hyperaktivität) [20–23].
2. Styren
Polystyren wird seit 1931 in einer radikalischen Polymerisation aus Styren produziert.4 Es ist eine lipophile Substanz, die sehr persistent ist und hervorragende Isolationseigenschaften hat. Aus aufgeschäumtem Polystyren werden Schaumstofflebensmittelverpackungen (Stichwort Styropor; für Take-Away, z. B. Suppen, Kaffeebecher und -deckel), Trink- und Joghurtbecher wie auch Plastikschalen für Fleisch hergestellt.
Styren ist gesundheitlich problematisch. Nachstehende Risiken sind bekannt:
- Krebserkrankungen: Die Internationale Agentur für Krebsforschung (IARC) hat diese Substanz als wahrscheinlich krebserregend eingestuft, dies aufgrund des erhöhten Risikos von Leukämie und Lymphomen, das schon seit den 1980er-Jahren bekannt ist;
- Neurotoxizität: depressive Störung, Koordinations-, Kurzzeitgedächtnis- und Konzentrationsstörungen;
- Verdacht auf Reproduktions- und Entwicklungstoxizität [24–29].
3. Bisphenol A (BPA)
Bisphenol A (BPA) ist ein lipophiler Weichmacher, produziert seit 1891. BPA ist eines der am besten untersuchten Hormongiften. Es wird für Epoxidharz verwendet, womit Alu-Konserven- und Alu-Getränkedosen innenbeschichtet werden. BPA kommt auch bei der PVC-Herstellung zum Einsatz und für PC (Polycarbonat), woraus beispielsweise durchsichtige Lebensmittel-Boxen oder PC-Flaschen (PC «Mehrweggeschirr») und die Twist-Off-Deckel entstehen.
BPA eignet sich, um Ihnen die aktuelle Lage der gesetzlichen Regulation näher zu bringen. Die European Food Safety Authority (EFSA) hat das TDI-Limit (Total Daily Intake) für BPA im April 2023 unter dem Druck der neusten wissenschaftlichen Daten deutlich reduziert. Im Vergleich zum täglichen Grenzwert aus dem Jahr 2015 liegt er nun 20 000-fach tiefer bei 0.2 Nanogramm pro Kilogramm Körpergewicht (ng/kg) [30]!
Grundsätzlich gilt jedoch: Bei der absoluten Mehrheit der hormonaktiven Substanzen kann kein Grenzwert eine im Sinne des Vorsorgeprinzips gesundheitliche Langzeitsicherheit garantieren. Das hat uns die Geschichte schon mehrmals gezeigt. BPA findet sich laut Studien wie die Phthalate im Urin bei zirka 95% der europäischen Bevölkerung. Die Substanz kann das Risiko dieser Krankheiten erhöhen:
- Krebserkrankungen: Darm, Brust und Eierstöcke;
- bei Frauen: polyzystische Ovarien, Fehlgeburten, Endometriose;
- bei Männern: Störung der Spermienproduktion, Libido-Senkung und Erektionsstörung;
- Erworbene Zuckerkrankheit, Fettleibigkeit und kardiovaskuläre Erkrankungen inkl. Hypertonie
- Depressive- und Angst-Störung [21,30–34]
4. Per- und polyfluorierte Alkylverbindungen (PFAS)
PFAS sind eine Gruppe von über 12 000 in der Regel lipophilen und daher wasserabweisenden Substanzen. Aufgrund ihrer Langlebigkeit und Persistenz in der Umwelt sowie in den Organismen, sind sie auch als «Ewigkeitschemikalien» bekannt. Produziert werden sie seit 1938. Die PFAS finden so viele Anwendungen, dass sie bereits ubiquitär sind. Betreffend den Lebensmittelverpackungen werden sie etwa eingesetzt in beschichteten Papier- und Kartonboxen für Pizza, Popcorn, Burger, Muffins, Butter, Pommes, Salate und andere Mahlzeiten. PFAS finden sich gemäss Studien im Blut von über 90% der europäischen Bevölkerung. Diese Chemikalien können das Risiko von nachstehend aufgelisteten Krankheiten erhöhen:
- Krebserkrankungen: Brust, Hoden, Leber und Nieren;
- bei Frauen: Reduktion der Fertilität, erhöhtes Risiko für eine Frühgeburt und Schwangerschaftsabbruch, Endometriose;
- bei Exposition im Mutterleib: tieferes Geburtsgewicht, frühzeitige Pubertät, Fettleibigkeit, Störung der Spermienproduktion im Erwachsenenalter, reduzierte Reaktion auf Vakzine;
- Schilddrüsenerkrankungen;
erworbene Zuckerkrankheit, Fettleber und erhöhte Cholesterinwerte;
direkte toxische Auswirkung auf Leber und Nieren (Nierenversagen) [21,35–38].
Fazit
Wollen wir Krankheiten heilen oder wollen wir ihnen vorbeugen? Prävention ist das erste Gebot, um die Anzahl chronischer Krankheiten zu senken. Auch bei den Lebensmittelverpackungen. Sie sind durch unbedenkliche Alternativen zu ersetzen.
Es ist höchste Zeit, dass wir alle handeln. Es genügt nicht, wenn die «erlaubten» Grenzwerte für einige dieser Substanzen x-fach reduziert werden. Es genügt nicht, wenn viele von diesen Substanzen auf der REACH5-Kandidatenliste (schon seit Jahren) als besonders besorgniserregenden Stoffe6 gelistet sind oder wenn sie der POP-Verordnung (persistente organische Schadstoffe) unterliegen (Stockholm Convention7). Es ist Zeit, dass wir die Verwendung von Lebensmittel-Kunststoffverpackungen auf das absolut notwendige Minimum reduzieren. Anstatt Plastik können wir in vielen Situationen Glas oder Metall verwenden.
Wir wirken damit präventiv. Einerseits egoistisch, um Krankheiten bei uns selbst zu vermeiden, respektive als Frau auch bei der nächsten Generation. Andererseits helfen wir mit dem Verzicht auf unnötige Lebensmittelverpackungen der Natur. Wir entlasten sie vom Müll, zu dem Lebensmittelverpackungen werden, kaum sind sie leer. Jeder Einkauf zählt: Entscheiden Sie sich für eine gesündere Lebensmittelwelt!
Referenzen unter www.aefu.ch/oekoskop/hrasko_referenzen
Über den Autor
Dipl. Arzt Tomáš Hraško ist Facharzt FMH für Endokrinologie und Diabetologie an der Seegarten Klinik in Kilchberg ZH und Oberarzt im Notfallzentrum der Hirslanden Klinik Linde in Biel BE. Er ist ärztlicher Leiter der internationalen Fortbildung Klinische Umweltmedizin SCOPRO und zertifizierter Waldtherapie-Guide ANFT. Mit seiner Ehefrau ist er Mitgründer des Projekts Phoenix-Health8, das sich mit Umweltgesundheit und Gesundheitsförderung beschäftigt.
info@phoenixhealth.ch, www.scopro.de/en/clinical-environmental-medicine-2
Anmerkungen:
1Referenzen unter www.aefu.ch/oekoskop/hrasko_referenzen
2www.ourworldindata.org/plastic-pollution
3Letzteres hat auch Auswirkungen auf das Recycling von Plastikverpackungen. Das Recyklat kann Stoffe aus den ursprünglich damit verpackten Lebensmitteln enthalten, etwa Pestizide. www.foodpackagingforum.org/resources/background-articles/migration
4www.wikipedia.org/wiki/I.G._Farben
5REACH ist die Chemikalienverordnung der EU.
6Substances of very high concern (SVHC); www.echa.europa.eu/candidate-list-table
7www.wikipedia.org/wiki/Stockholm_Convention_on_Persistent_Organic_Pollutans
8www.phoenixhealth.ch