Rund 80 Prozent der Amphibienarten in der Schweiz und der EU gelten als gefährdet – sie stehen auf der Roten Liste. Ein unterschätzter, aber bedeutender Grund sind Pflanzenschutzmittel.
Gekürzte Fassung eines Textes von ohnegift.ch, geschrieben von Lina Held
Amphibien gehören zu den am stärksten gefährdeten Tieren in der Schweiz, 15 von 19 Arten stehen auf der Roten Liste.[1] Eine Art ist in der Schweiz ausgestorben, sechs Arten sind stark gefährdet und acht verletzlich. Die Ursachen reichen von Lebensraumverlust über den Klimawandel bis hin zu Krankheiten und giftigen Stoffen.[1] Unterschätzt wird die Gefährdung durch Pflanzenschutzmittel (PSM), die in Gewässer und Böden gelangen und die Tiere dort in ihrer Entwicklung stören, ihr Verhalten ändern oder sie töten können.[2]
Keine separate Risikoprüfung für Amphibien
Trotz ihrer Gefährdung durch PSM werden Amphibien bei der Pestizid-Zulassung ungenügend untersucht. Bei der Risikoüberprüfung wird vereinfachend angenommen, dass Amphibien mit Fischen vergleichbar sind.[3] Doch Amphibien unterscheiden sich fundamental von Fischen – in ihrer Entwicklung, Lebensweise und insbesondere, wie sie PSM und anderen Umweltgiften ausgesetzt sind (Pestizidexposition).[2] So ist die Haut von Amphibien hochdurchlässig und Schadstoffe können leichter ins Tier eindringen.[2] Hinzu kommt ihre zweiphasige Entwicklung: Larvenstadien im Wasser, gefolgt von terrestrischen Phasen als Jung- und Alttiere. Beide Phasen bergen unterschiedliche Expositionsrisiken, die in der Risikobewertung bis heute weitgehend unberücksichtigt bleiben.[4]
Empfindlichkeit von Amphibien gegenüber Pflanzenschutzmitteln
Die Forschung zeigt kein einheitliches Bild, wie stark Amphibien, im Vergleich zu Fischen, durch PSM und andere Pestizide negativ beeinflusst werden. Zusammenfassend gilt, dass die Tiere je nach Art und Entwicklungsstadium unterschiedlich empfindlich sind und die geografische Herkunft und die genetische Ausstattung eine Rolle spielen. Generell sind Eier und Larven empfindlicher als erwachsene Tiere. Langzeitstudien sind wichtig, um chronische Auswirkungen zu erfassen. Zudem braucht es standardisierte Testverfahren, die speziell für Amphibien geeignet und auf ihre Gültigkeit überprüft (validiert) sind.[2]
Abklärungen zu Richtlinien seit über 10 Jahren hängig
In der EU wurde die Problematik bereits 2010 erkannt – seither besteht die Absicht, eine spezifische Richtlinie zur Risikobewertung von PSM für Amphibien auszuarbeiten.[2] Doch auch zehn Jahre später ist kaum ein Fortschritt zu erkennen.
Es gibt mehrere Gründe für diese Verzögerung. Einerseits fehlt es noch immer an standardisierten Testverfahren für Amphibien, was die Entwicklung einer einheitlichen Bewertungsgrundlage erschwert. Die EFSA stellte 2018[2] in einem umfassenden Bericht fest, dass erhebliche Wissenslücken über die Wirkung von Pestiziden auf Amphibien bestehen. Sie empfahl die Entwicklung spezifischer Schutzmassnahmen und Tests, doch konkrete Regulierungen blieben bisher aus.
Andererseits spielt auch die chemische Industrie eine Rolle. Laut der Organisation Pesticide Action Network PAN Europe (2024)[5] versuchen Interessenverbände der Agrarchemie, bestehende Ausnahmeregelungen auszudehnen und strengere Umweltauflagen zu verzögern – etwa durch Forderungen nach zusätzlichen Abklärungen und Studien. So werden gemäss PAN Europe politische Prozesse bewusst in die Länge gezogen.
Fazit
Die Forschung zeigt, dass viele Amphibienarten empfindlicher auf Pflanzenschutzmittel und andere Pestizide reagieren als Fische – mit Folgen wie Entwicklungsstörungen, Verhaltensänderungen oder erhöhter Sterblichkeit. Obwohl in der EU das Problem bereits vor über 10 Jahren erkannt wurde, fehlen bis heute standardisierte Testverfahren, geeignete Regulierungen und der politische Wille zum Handeln. Nötig sind unabhängige Risikoprüfungen, die die biologischen Besonderheiten der Amphibien berücksichtigen, und es braucht wirksame Schutzmassnahmen – bevor weitere Arten irreversibel aussterben.
Quellen
[1] BAFU (2023): Rote Liste der Amphibien
[2] EFSA (2018): Scientific Opinion on the state of the science on pesticide risk assessment for amphibians and reptiles
[3] Oekotoxzentrum (2015): Amphibien und Pflanzenschutzmittel – mehr Informationen sind gefragt
[4] Lenhardt (2018): Amphibians in the agricultural landscape
[5] Pesticide Action Network Europe (2024): The EU drags its feet on addressing water pollution