StartHintergrundWissenAmphibien mobil: ein Weg voller Hindernisse

Amphibien mobil: ein Weg voller Hindernisse

Mobilität ist Tieren ein ebenso grosses Bedürfnis wie den Menschen. Wandernde Frösche, Kröten & Co begegnen dabei vielschichtigen Gefahren. Überfahrene Amphibien auf Strassen sind dafür ein sichtbares Zeichen. Technische Lösungen können dieses Problem nur teilweise entschärfen.

Gekürzter Text von Isabelle Flöss, Wissenschaftliche Mitarbeiterin Arten- und Biotopschutz, Fachstelle Naturschutz, Amt für Landschaft und Natur, Baudirektion Kanton Zürich. Artikel aus der «Zürcher Umweltpraxis (ZUP, Ausgabe Nr. 99)»

Amphibien werden sofort mit Wasser assoziiert. Das ist aber nur die eine Hälfte der Wahrheit: Denn die meisten Amphibienarten verbringen einen Grossteil des Jahrs ausserhalb von Gewässern. Einige Arten wandern über grössere Strecken umher und haben dabei mancherlei Gefahren zu überstehen.
Der Weg zu den Laichgewässern führt nicht selten über Verkehrsachsen. Leider ist es nicht möglich, sämtliche Amphibien vor dem Strassentod zu bewahren. Doch Stellen, an denen Amphibien gehäuft eine Strasse zu überqueren versuchen, werden als Amphibienzugstellen definiert. Verkehrsteilnehmenden empfiehlt die nationale Koordinationsstelle für Amphibien- und Reptilienschutz (karch) diese Stellen zu den Hauptwanderzeiten zwischen sechs Uhr abends bis sechs Uhr morgens, möglichst zu umfahren oder wenigstens im Schritttempo (30km/h) zu befahren. An Amphibienzugstellen wird zudem gezielt nach Lösungen gesucht.

Eine mobile Warntafel
Achtung Frösche – und Naturschützer:innen! Eine mobile Warntafel fordert Verkehrsteilnehmer*innen auf, rücksichtsvoll zu fahren. © Regula Schmidt

 Zäune sind eine einfache Lösung …

Plastikzäune entlang von Strassen sind eine einfach ausführbare Sofortmassnahme. Allerdings ist es mit dem Errichten der Zäune nicht getan, da die Tiere ja über die Strasse zu ihren Laichgewässern gelangen wollen. Es braucht somit Personen, die ihnen dabei helfen. Lokale Freiwillige betreuen diese Zugstellen und leisten dabei wahre «Knochenarbeit»: Morgens und abends zur Dämmerstunde bei feuchtkühlem Wetter zum Teil dicht befahrene Strassen abschreiten, die Tiere einsammeln und über die Strasse zu tragen, erfordert einiges an Enthusiasmus und Tierliebe. Die Funktionalität des mobilen Zauns steht und fällt mit dem Engagement der lokalen Freiwilligen.

Im Jahr 2020 wurden im Kanton Zürich 69 sogenannt mobile Amphibienzugstellen auf diese Weise betreut. Dafür stellte der Unterhaltsdienst der Fachstelle Naturschutz 16,4 Kilometer Zäune auf, teilweise unterstützt von den Unterhaltsteams des Tiefbauamts.

Wer an einem Freiwilligeneinsatz interessiert ist, findet auf der Seite der Amphibienzugstellen in der Schweiz Orte, die noch nach Einsatzkräften suchen.

Zäune haben ein grosses «Aber»

Neben der aufwändigen Betreuung sind mobile Zäune mit einigen weiteren Problemen behaftet: Je nach Gelände erfordert das Einrichten der Zäune viel Aufwand. Die Kapazitätsgrenze des Unterhaltsdiensts ist deshalb beinahe erreicht, zumal fast alle Zäune gleichzeitig innert kurzer Zeit aufgestellt werden müssen.

Wegen der milderen Winter startet die Amphibienwanderung jahreszeitlich immer früher. Im vergangenen und in diesem Jahr waren die ersten Tiere bereits Ende Januar unterwegs. Längere Kälteperioden im Frühling unterbrechen die Wanderbewegungen immer wieder, weshalb die Zäune teilweise bis in den April stehen gelassen werden sollten. Im Frühling bilden sie dann aber zunehmend ein Hindernis für die landwirtschaftliche Bewirtschaftung. Die Zäune behindern auch die Mobilität anderer Tiere, beispielsweise die von Kleinsäugern – besonders, wenn diese von der Strassenseite her zum Zaun gelangen. Gravierend ist zudem, dass nur ein Teil der rückwandernden Alttiere ebenfalls durch mobile Zäune geschützt wird. Die Jungtiere, welche erst im Juni und Juli unterwegs sind, wandern in der Regel gänzlich ungeschützt. Ist die Verlustrate bei den Jungtieren zu hoch, kann eine Zugstelle trotz Schutzmassnahmen schliesslich erlöschen.

Freie Bahn dank Tunnelanlagen?

Kleintiertunnels unter der Strasse hindurch können die ganzjährige Mobilität von verschiedenen Tierarten gewährleisten. Sie benötigen kein lokales Einsatzteam und müssen lediglich wie die übrige Strasseninfrastruktur jährlich kontrolliert und gewartet werden.
Doch auch Tunnelanlagen sind mit Problemen behaftet. Neben den eigentlichen Tunnels sind Leiteinrichtungen notwendig, welche die Tiere zu den Durchgängen führen. Die Erstellung solcher Tunnels und Leiteinrichtungen ist je nach Geländeform technisch knifflig und verursacht relevante Kosten.
Die bedeutenden Vorteile führen allerdings dazu, dass bei grösseren kantonalen Strassenbauvorhaben die Erstellung von Kleintiertunnels im Bereich von Amphibienzugstellen jeweils eingehend geprüft und wenn möglich realisiert wird.

Zäune führen zu einem Amphibientunnel
Mobile Amphibienzäune führen zu einer Kleintierunterführung, die ein gefahrloses Queren der Fahrbahn ohne helfende Hände ermöglicht. © Andreas Baumann

Effektiv, aber unbeliebt: Strassensperrungen

Sind Tunnelanlagen nicht möglich, stellt die Strassensperrung eine dritte Lösungsmöglichkeit dar. Die nächtliche Strassensperrung zur Laichzeit wird denn auch an verschiedenen Stellen im Kanton Zürich bereits praktiziert. Sie hat den Vorteil, dass nur wenig Personal nötig ist und sämtliche Tiere gefahrlos die Strasse queren können. Auch in diesem Fall wird aber nur die Laichwanderung der erwachsenen Tiere geschützt, die Jungtiere sowie spät im Jahr rückwandernde Adulttiere bleiben ungeschützt. Der effektivste Schutz der gesamten Amphibienpopulation wird nur erreicht, wenn eine Strasse während dreier Perioden im Jahr gesperrt wird: im Frühjahr für die Laichwanderung (nachts), im Sommer für die Jungtierwanderung (ganztags) und im Herbst für die Adultwanderung (nachts). Aus Sicht des Amphibienschutzes würde die Dreifachsperrung einer Strasse die beste aller Lösungen darstellen. Nur der Rückbau einer Strasse würde diese Schutzwirkung noch übertreffen. Es liegt aber auf der Hand, dass diese Lösung je nach Bedeutung der Strasse selten praktikabel ist. Besonders die ganztägige Sommersperrung ist auch bei vorhandenen Ausweichrouten stark umstritten. Bislang wurde eine solche Dreifachsperrung im Kanton Zürich einzig im für Amphibien besonders wichtigen Eigental zwischen Bassersdorf und Oberembrach umgesetzt.

Schächte – Verlockung und Falle

Nicht nur bei der Querung von Strassen macht der Mensch ungewollt den Amphibien das Leben schwer. Weniger offenkundig, aber in der Summe wohl mindestens ebenso problematisch für Amphibien und viele weitere Kleintiere, sind Schächte aller Art, in welche die Tiere stürzen können. Seit einiger Zeit als Problem erkannt sind Abwasserschächte und Schlammsammler entlang von Strassen. Vielfach lenken Randsteine die Tiere direkt auf die Schächte zu, wo sie je nach Ausführung des Schachtdeckels hineinfallen. In der heissen Jahreszeit suchen Amphibien zudem solche Schächte gezielt auf, weil es dort feucht und kühl ist. In den Schächten ist zwar oft Wasser, aber kaum Nahrung vorhanden, und hinaus gelangen die Tiere nur über das Auslaufrohr. Weitere Schächte treten besonders in Siedlungen gehäuft auf. So fallen Amphibien sowie zahlreiche andere Tierarten häufig in Lichtschächte, wo sie meist sehr rasch an Hunger und Austrocknung verenden.

Rettung dank Ausstiegshilfen …

Für das Fallenproblem der Schächte gibt es inzwischen erste Lösungsansätze mit Ausstiegshilfen, die ziemlich gut funktionieren. Dreidimensionale Geflechte zum Beispiel, sogenannte «Krallmatten», sind für viele Amphibienarten und andere Kleintiere überwindbar.

Eine Gelbbauchunke hangelt sich an einer Krallmatte aus einem Schacht.
Eine Gelbbauchunke hangelt sich an einer Krallmatte aus einem Schacht. © Thomas Gerber

Alternativ finden hier auch spezielle Amphibienleitern aus Lochblech Anwendung. Beide Varianten erhöhen aber den Wartungsaufwand bei der jährlichen Schachtreinigung. Hier tüfteln engagierte Köpfe an weiteren, praktikableren Lösungen. Einige Gemeinden haben inzwischen bereits die heikelsten Abwasserschächte mit Ausstiegshilfen versehen. Von Kantonsseite sind Arbeiten im Gang, die die gefährlichsten Schächte entlang von Kantonsstrassen identifizieren und anschliessend entschärfen sollen.

Dünger: eine wenig offensichtliche Gefahr

Weitere Gefahr lauert auf Amphibien, die durch Äcker und Wiesen wandern. Nicht selten sind die Tiere zu einer Zeit unterwegs, wenn die Landwirte ihre Flächen erstmals im Jahr düngen. Gülle, aber auch die kleinen Düngerkörnchen, führen auf der dünnen Amphibienhaut zu regelrechten Verbrennungen. Auch wenn die Tiere nicht direkt daran sterben, bilden Hautverletzungen Eintrittspforten für Bakterien und Pilze, was zur Schwächung und schliesslich doch zum Tod der Tiere führen kann.

Vom Aussterben bedrohte Amphibien brauchen unzerschnittene Feuchtgebiete

Die Amphibienbestände sind in der ganzen Schweiz unter Druck. Bei keiner anderen Wirbeltiergruppe befinden sich prozentual so viele Arten auf der Roten Liste der vom Aussterben bedrohten Arten wie bei den Amphibien. In einem derart dicht besiedelten Kanton wie Zürich akzentuieren sich die Probleme der Amphibien besonders. Wie der Artikel zeigt, sind technische Lösungen sinnvoll und wichtig. Sie bilden aber nur einen Teil der Lösung. Grosse, unzerschnittene Feuchtgebiete bilden die Grundlage für starke Amphibienpopulationen. Solche Gebiete zu erhalten, zu vergrössern und auch neu zu schaffen gehört zu den Hauptaufgaben für die langfristige Erhaltung der Amphibien im Kanton Zürich.

1 Kommentar

  1. 30 km/h sind doche kein Schritttempo! (Erster Absatz). Bei diesem Tempo können die Frösche kaum rechtzeitig gesehen werden. Auf unserer Strasse ist Tempo 30 signalisiert und die Autos fahren eher langsamer. Trotzdem werden zur Zeit jede Nacht ca. 4 Frösche überfahren, und ohe Rettungaktionen wären es über doppelt so viele.

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