StartHintergrundReportageMit dem Zug zu den Nordlichtern

Mit dem Zug zu den Nordlichtern

Zwar konnte man in den letzten Monaten mit viel Glück auch in der Schweiz Polarlichter fotografieren, doch das Phänomen, wenn der Himmel plötzlich in zig verschiedenen Farben explodiert, wird man hier nicht zu sehen bekommen. Dabei lohnt sich gerade jetzt, zum Höhepunkt des Sonnenzyklus, ein Abstecher in den Norden. Aber geht das auch ohne Flugzeug? Na klar!

Kiruna, der 31.01.2022. Draussen sind es -20°C. Ich ziehe mir den dritten Pulli über, zwei Paar Handschuhe und dann die Winterjacke. Mit der Kamera bewaffnet, geht es ab nach draussen. Den Akku habe ich vorsichtshalber mit einem Wärmepad in der Jackentasche verstaut. Wir begeben uns an den Stadtrand, wo sich unsere Augen langsam an die Dunkelheit gewöhnen. Obwohl es sich wegen dem ganzen Schnee nicht wirklich dunkel anfühlt. Nach einigen Minuten sehen wir eine Wolke, die vorbeizieht. Bei genauerem Hinsehen sieht man den grünlichen Schimmer. Eine Langzeitbelichtung mit der Kamera bestätigt: Das ist keine Wolke. Was wir hier sehen, ist das nördliche Polarlicht, die Aurora borealis. Wir strahlen uns an, die 44 Stunden Zufahrt haben sich schon jetzt gelohnt. Und noch wissen wir nicht, wie der Himmel nur drei Tage später aussehen wird. Doch zurück zum Anfang.

Polarlicht
Fast zwei Tage im Zug, um mit dieser Aussicht belohnt zu werden. Bild: © Rhonda Müller.

Nachtzug nach Hamburg – der Klassiker 

Zürich, der 29.01.2022. Kurz nach 19 Uhr treffen wir uns am Hauptbahnhof, um unser Abenteuer zu beginnen. Für den Universitätskurs «Arctic Science» treffen wir uns mit Studierenden aus ganz Europa in Kiruna, Schweden. Während die naheliegende Variante ein Griff zum Flugticket gewesen wäre, haben wir uns für die aufregende Alternative der Zugfahrt entschieden. Knapp zwei Tage wird die Reise planmässig dauern.

Bereits einige Wochen zuvor waren wir beim SBB-Schalter, um das Interrail Ticket zu kaufen und die nötigen Reservationen vorzunehmen. Gerade bei weiten Zug-Reisen innerhalb Europas lohnt es sich, den normalen Preis mit dem eines Interrails-Tickets (plus Reservationen) zu vergleichen. Wer jünger als 27 Jahre ist, profitiert noch von einer günstigeren Variante, aber auch für über 27-Jährige lohnt es sich zum Beispiel schon bei einer Reise nach Edinburgh und zurück.

Der Nachtzug von Zürich nach Hamburg, der mittlerweile vom österreichischen Bahnkonzern ÖBB geführt wird, ist fast schon eine Traditionsverbindung innerhalb Europas. Seit 1945 wird die Strecke Hamburg — Basel / Zürich ununterbrochen geführt. Im Moment gibt es täglich eine Verbindung die 20:59 ab Zürich HB beziehungsweise 22:13 ab Basel SSB verkehrt und kurz nach acht Uhr am Hamburger Hauptbahnhof eintrifft.

Ein Unwetter macht einen Strich durch die Rechnung

Auch bei uns verläuft die Reise so weit nach Plan. In unserem Schlafabteil haben wir eine neue Bekanntschaft geschlossen, die uns bis nach Kopenhagen begleiten wird. Als wir den Zug verlassen und uns auf die Suche nach dem nächsten Bäcker machen — dank der Pünktlichkeit der Deutschen Bahn haben wir eine Stunde Aufenthalt — wird unsere Freude allerdings getrübt. In Norddeutschland zieht ein Sturm auf, alle Fernverbindungen aus Hamburg raus werden auf absehbare Zeit gestrichen. 

Sofort beginnen wir umzuplanen. Ursprünglich wollten wir mit dem Zug nach Kopenhagen und von dort weiter nach Stockholm fahren. Obwohl wir in Stockholm genügend Zeit eingeplant haben, um den anschliessenden Nachtzug zu erwischen, wird schnell klar, dass wir in Kopenhagen nur einen Zug später als geplant nehmen können. Sonst kommen wir zu spät in Stockholm an. Der kommende Abend ist übrigens der einzige, der für unseren einwöchigen Aufenthalt in Kiruna als wolkenlos vorhergesagt ist. Ein guter Grund, den Nachtzug und die vielleicht einzige Chance auf Polarlichter nicht zu verpassen. 

Ungeplant mit der Fähre nach Dänemark

Wir haben also nur acht Stunden Zeit, um nach Kopenhagen zu gelangen. Die Schlange beim Reisezentrum ist natürlich riesig, weswegen wir kurzerhand die Sache selber in die Hand nehmen und uns ein Flixbus Ticket nach Kopenhagen kaufen. Genau drei Tickets sind noch übrig, perfekt also für meine Kollegin und mich, so wie unsere neue Bekanntschaft. Vor unserer Abfahrt haben wir dann doch noch kurz Zeit für einen Kaffee.

Während die Zugverbindung von Hamburg nach Kopenhagen nur gute vier Stunden dauert, braucht der Bus mindestens sechs. Anders als beim Zug fährt man allerdings nicht über die Brücke, um die Ostsee zu überqueren, sondern wird mit einer Fähre von Puttgarden (Deutschland) nach Rødby (Dänemark) transportiert. Wir haben Glück und von dem Sturm ist nichts zu bemerken, also wird bei der knapp stündigen Schifffahrt auch niemand seekrank.

Auch ungeplant ein Highlight: Die Fähre von Puttgarden nach Rødby. Bild: © Rhonda Müller.

Die nächste Verzögerung folgt sogleich

Auf der dänischen Seite der Ostsee angelangt, wird unser Bus prompt vom Zoll angehalten, der von allen Reisenden das Gepäck kontrollieren will. Eine erneute Geduldsprobe für unsere Nerven, die aufgrund unseres nun doch sehr strammen Zeitplans schon ordentlich strapaziert sind. Zu unserem Glück geben sich die Zollbeamten nach wenigen Koffern damit zufrieden, von jedem ein amtliches Dokument zu sehen und schicken uns zurück in den Bus. So schaffen wir es schlussendlich 15 Minuten vor Abfahrt des letztmöglichen Zuges an den Kopenhagener Hauptbahnhof. Dieser bringt uns dann auch zuverlässig nach Stockholm, wo wir nach über 24 Stunden Gesamtreisezeit schliesslich ankommen. Eigentlich wären hier zwei Stunden Aufenthalt geplant gewesen — perfekt um irgendwo gemütlich Abend zu essen — doch mit unserer Verspätung heisst es, direkt auf den Nachtzug zu eilen.

Auch der Nachtzug von und nach Boden, der letzten Station vor unserem Ziel Kiruna, verkehrt täglich, mit Abfahrt um 21:57 in Stockholm. Knappe 13 Stunden verbringt man in dem Zug, bevor man morgens kurz vor elf ausgeschlafen in Boden ankommt. Von dort aus fährt ein Regionalzug vier Stunden in Richtung Norden, über den Polarkreis, bis man schliesslich die nördlichste Stadt Schwedens, Kiruna, erreicht.

Der gemütlichste Nachtzug Europas?

Ganz so einfach geht das bei unserer Reise dann natürlich doch nicht. Doch erst einmal schliessen wir in unserem Zugabteil einmal mehr neue Freundschaften: Eine jüngere Frau aus Südamerika, die nach Schweden ziehen möchte, und eine Mutter aus Damaskus, die seit vielen Jahren in Umeå lebt. Mehrere Stunden tauschen wir Geschichten aus, bevor wir uns schlafen legen.

Am nächsten Morgen wache ich erst kurz vor neun Uhr auf. Der schwedische Nachtzug ist unglaublich gemütlich, mit breiten Betten und kuscheligen Decken. Einzig das Fenster lässt zu wünschen übrig — auf der Innenseite hat sich eine Eisschicht gebildet. Apropos Temperaturen — vor dem Fenster präsentiert sich ein Winterwunderland sondergleichen. Der Schnee glitzert unter der tief stehenden Sonne, die Bäume sehen aus wie gezuckert.

Eine Winterlandschaft wie aus dem Bilderbuch. Die Fotos aus dem vorbeifahrenden Zug werden der Schönheit nicht gerecht. Bild: © Rhonda Müller.

Das Ende einer zweitägigen Reise

Bevor wir dann in Boden eintreffen gibt es doch noch eine letzte Komplikation: Der Zug bleibt mitten auf der Strecke stehen. Informationen gibt es bis kurz vor der Weiterfahrt keine – offenbar hatte der voran fahrende Zug ein technisches Problem — also vertrödeln wir uns die Zeit in dem wir die Landschaft vor dem Fenster bestaunen. Nach etwas mehr als einer Stunde geht es dann doch weiter. In Boden haben wir natürlich unseren Anschlusszug nach Kiruna verpasst doch kurz vor zwölf fährt ein weiterer Zug. Glück für uns, denn der Nächste wäre erst am späteren Nachmittag gefahren und Abends in Kiruna angekommen — die Nordlichter haben wir um kurz nach neun Uhr Abends gesehen, das wäre also ganz schön knapp geworden.

Am 31.1.2022 kommen wir also endlich in Kiruna an — um 15:00, nach über 44 Stunden im Zug. Ob es sich gelohnt hat? Unsere Antwort ist glasklar: Ja! Trotz der verschiedensten Strapazen war diese Reise ein absolutes Highlight mit vielen Geschichten die wir während einer Flugreise so nie erlebt hätten. Und die Belohnung gibt es am selben Abend, mit einem wolkenlosen Himmel und einem grünen Leuchten. 

Nordlichter über Kiruna. Bild: © Rhonda Müller.

Entstehung von Polarlichtern 

Polarlichter entstehen bei Sonneneruptionen, während derer grosse Mengen elektrisch geladener Teilchen ausgestossen werden, die nach circa zwei Tagen die Erde erreichen. Dieser sogenannte Sonnenwind wird vom Magnetfeld zu den Polen abgelenkt, wo die Teilchen schliesslich auf die Sauerstoff- und Stickstoffatome der Atmosphäre prallen. Die Atome werden angeregt und strahlen Licht aus.

Die Eruptionen auf der Oberfläche der Sonne entstehen nicht immer gleich häufig. Die Sonne durchläuft einen Aktivitätszyklus von elf Jahren. Alle elf Jahre befindet sich die Sonne in einem besonders aktiven Stadium, dem solaren Maximum. Während dieses Maximums gibt es besonders häufig starke Eruptionen, die für die Polarlichter, die bis Mitteleuropa sichtbar sind, verantwortlich sind. Das nächste solare Maximum wird zwischen 2024 und 2026 erwartet. Wir befinden und also in einem Zeitpunkt, wo die Häufigkeit von starken Sonneneruptionen immer mehr zunimmt.

Der wolkenloseste Ort um Polarlichter zu sehen

Drei Tage später befinden wir uns in Abisko — eine Stunde mit dem Bus von Kiruna Richtung Norden. Abisko gilt als der wolkenloseste Ort des Aurora-Ovals (das ovalförmige Gebiet rund um die Pole, von wo aus Polarlichter gesehen werden können) und wird deshalb auch «das blaue Loch von Abisko» genannt. Wir befinden uns gerade in den letzten Minuten einer reichlich deprimierenden Vorlesung über die Einflüsse des Klimawandels auf die Arktis, die Stimmung ist auf dem absoluten Tiefpunkt. Doch dann kommt eine Studentin von der Toilette zurück gerannt und erzählt aufgeregt, dass die Polarlichter zu sehen sind. Blitzschnell werfen sich alle in ihre vielen Schichten und kaum sind wir draussen, explodiert der Himmel über uns in Tausend verschiedenen Farben. 

Kaum mit der Kamera einfangbar: Eine pulsierende Aurora borealis. Bild: © Rhonda Müller.

Als wir im Vorfeld mit Leuten über unsere anstehende Reise gesprochen haben, haben wir ganz schön merkwürdige Blicke bekommen. «Zwei Tage im Zug? Mit dem Flugzeug kann man in weniger als sieben Stunden ankommen.» Das ist korrekt. Hätten wir uns jedoch für den Flug entschieden, hätten wir nie mitbekommen, wie sich die Landschaft um uns langsam verändert, wären nicht morgens plötzlich in einem Winterwunderland aufgewacht und hätten wohl auch keine neuen Bekanntschaften gemacht. Und nach 44 Stunden Zugfahrt dann abends die Nordlichter zu sehen wird für immer ein unvergesslicher Moment sein.

Polarlichter in der Schweiz

Damit die Polarlichter bis in die Schweiz sichtbar sind muss die Sonnenaktivität besonders hoch sein. Entsprechend starke Sonnenwinde werden auch als geomagnetische Stürme bezeichnet. In der Schweiz sind Polarlichter eigentlich nur bei der stärksten Sturmkategorie G5 sichtbar. Dabei entstehen nicht nur die spektakulären Nordlichter, die Stürme können auch Satellitentechnik, Stromleitungen, Funk und Navigation stören.

Polarlichter in unseren Breiten sind nur sehr schwierig und kurzfristig vorherzusagen. Bei gutem Wetter und starkem geomagnetischen Sturm kann es sich lohnen, einen dunklen Ort mit guter Sicht nach Norden aufzusuchen. Trotzdem braucht es viel Glück, um bei uns die Aurora borealis zu beobachten.

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