Zug, Flugzeug oder Auto: Bei der nachhaltigsten Reisemethode scheiden sich die Gemüter – je nach persönlichen Prioritäten. Dabei ist es eine einfache Rechnung, der ich anhand meiner Zugreise von Zürich nach London auf den Grund gegangen bin. Für die nächsten Reisen fand ich ein paar hilfreiche Regeln.
Meine Uhr zeigt kurz vor 18 Uhr an. Durch den Lautsprecher des Zuges wird verkündet, dass die Ankunft in London pünktlich um 17 Uhr erwartet wird. An der Grenze EU-Grossbritannien lasse ich eine Zeitzone und meinen passlosen Reisepartner hinter mir. Die Zeiten, wo die Einreise nach Grossbritannien noch lediglich mit einer Identitätskarte möglich war, sind vorbei. Nach einer überflüssigen Zugfahrt von Zürich nach Paris und zurück, vergisst dies nun auch mein Reisepartner sicher so schnell nicht wieder. Nun bleibt ihm kaum etwas anderes übrig, als am nächsten Tag mit dem Flugzeug nachzureisen. Ironisch, dass wir uns, um den Fussabdruck einer Flugreise zu umgehen, ausdrücklich für die entschleunigte Reise-Variante per Zug entschieden haben.
Nach knappen acht Stunden rollt der Eurostar voller wohl erzogener französischer Kinder, einer Vielzahl von Menschen in Businessanzügen, einer Gruppe sich eifrig unterhaltender Bookclub-Frauen sowie mir, langsam in der London Pancreas International Railway Station ein. Die Sonne steht tief am Horizont und lässt die Gläser der königlichen Stadt goldig funkeln. Für die erste Nacht geht es mit der überfüllten und von sommerlicher Abendwärme durchströmten London Underground Richtung Unterkunft. Ich hieve die zwei schweren Koffer die verschmutze Treppe hoch, einen Lift gibt es in der älteste U-Bahn Europas nicht. Ich bin erschöpft, aber trotz allen Umständen froh, die Reise aus der Schweiz nach London mit dem Zug zurückgelegt zu haben und freue mich auf die Weiterreise in zwei Tagen nach Edinburgh. Denn meine Fussabdruck-Berechnungen bei der Reiseplanung, lassen mich auf der Richtigkeit meines Entscheides beharren.
Fakt ist: Es lohnt sich
Mit dem Zug nach Edinburgh zu reisen, war schon lange ein Traum von mir. Dass es sich auch aus ökologischer Sicht lohnt, befeuerte diesen Wunsch zusätzlich. Die achtstündige Fahrt nach London war einzigartig. Vorbei an den dichtstehenden Schweizer Reihenhäuschen, den weiten, ocker leuchtenden, französischen Sommerweizenfeldern bis zu den kleinen, backsteinroten, britischen Hobbit-Häuschen und verknorrten Bäumen in der wilden Landschaft Englands – zu jedem Abschnitt der Reise formte sich ein Bild für meine Erinnerungen. Eine ähnliche Strecke wird mein Reisepartner morgen in knapp zwei Stunden zurücklegen. Seine Bilder werden bestimmt komplett anders aussehen, doch die Nerven für einen zweiten Anlauf mit dem Zug sind schlicht nicht mehr vorhanden. Zudem sind alle Züge bereits ausgebucht und der ökonomische Wert eines Flugtickets um über 100 Schweizer Franken tiefer als ein Zugticket. Meine Recherchen zum ökologischen Kostenpunkt zeichneten bei der Reiseplanung hingegen ein anderes Bild: Ein fast ausgebuchter Flug verursacht ca. 207,3 kg CO2 pro Person, meine Reise im ausgebuchten Zug ca. 7,3 kg CO2 (Quelle: ecopassenger.org). Das bedeutet, mit dem Zug ist der CO2-Fussabdruck über 28 Mal kleiner – sprich, für denselben Fussabdruck wie ein Flug nach London, könnte ich 14 Mal mit dem Zug hin und zurück fahren. Interessant ist auch der Vergleich mit einem Mittelklassewagen. Wären mein Reisepartner und ich die ganze Strecke mit einem Dieselauto gefahren, wäre der CO2-Ausstoss 76,2 kg CO2 pro Person und damit immer noch mehr als fünf Mal so hoch wie der Ausstoss von zwei Zugpassagieren. Mit einem Elektroauto halbiert sich der Ausstoss etwa auf 36,1 kg CO2, ist damit aber immer noch mehr als doppelt so hoch, wie mit dem Zug.
Der Flug kann mit günstigen fünf Franken kompensiert werden und macht die Klimasünde damit scheinbar wett. Fünf Franken, das sind die Kosten, um in einem Land des globalen Südens ein Klimaprojekt umzusetzen, dass genau diese 207,3 kg CO2 wieder einspart. Der Flug sollte damit so zu sagen «klimaneutral» sein. Stossend daran: Möchte man die Sünde mit Projekten in der Schweiz kompensieren, würde dies 17 Schweizer Franken kosten. Die Begründung, dass in der Schweiz natürlich alles teurer ist, verstehe natürlich auch ich. Trotzdem ist es ein harter Schlag für die Klimagerechtigkeit. Es sind vor allem Länder des globalen Südens, die auf Grund des übermässigen CO2-Ausstosses von Bewohnenden der globalen Nordhalbkugel, am stärksten vom Klimawandel betroffen sind. Anstelle dieses Problem im Kern anzugehen, wird wild weiter geflogen und das schlechte Gewissen gestillt, indem ausgerechnet – mit einem für uns erbärmlichen Betrag – in diese Länder investiert wird. Und im globalen Süden soll man dann dankbar sein, dass überhaupt geholfen wird. Auch wenn es auf einer Klimasünde aufbaut, die eigentlich nicht mit Geld berechtigt werden kann und bei welcher es nach keiner Veränderung ausschaut. Eigentlich absurd, nicht?
Zug, Auto oder doch Flug?
Natürlich bin auch ich manchmal verunsichert, was denn wirklich die ökologischste Wahl ist. Ist mit dem Zug reisen wirklich immer besser? Meine Recherchen ergaben eine mir bekannte Antwort: Es ist kompliziert. Eine einfache Grundregel fand ich aber: Je ausgelasteter das Transportmittel ist, desto kleiner wird der Fussabdruck pro Person und Kilometer. Das gilt für den Zug-, Flug- wie auch Autoverkehr. Im «Transport and Environment Report 2020» der European Environment Agency verglichen Forschende die Umweltkosten vom Flugzeug mit dem Zug. Dabei wurden sämtliche Umweltkosten – also Kosten, die durch Beanspruchung der Umwelt und Vermeidung oder Beseitigen von Umweltbelastungen – internalisiert. Das Resultat zeigt, dass Reisen mit dem Zug in allen Fällen umweltfreundlicher ist als mit dem Flugzeug. Spannend wird es jedoch beim Vergleich mit dem Auto. In der Studie wurden elektrische und diesel- oder benzinbetriebene Autos mit Hochgeschwindigkeits- und Intercity-Zügen sowie fünf verschiedenen Airbus-Typen auf einer Strecke von 500 Kilometern verglichen. Sind alle Transportmittel durchschnittlich ausgelastet (was in Europa beim Auto 1.5 Passagiere bedeutet, in der Studie wurde aber mit einer Person gerechnet), ergibt sich eine einfache Rangordnung bezüglich Umweltkosten pro Person und Fahrkilometer: Am umweltfreundlichsten sind elektrisch betriebene Hochgeschwindigkeitszüge, da diese durchschnittlich die höchste Auslastung haben. Hochgeschwindigkeitszüge werden dicht gefolgt von Intercity-Zügen. Ungefähr doppelt so hohe Kosten verursacht ein Elektroauto mit einem Passagier. Als nächstes kommt tatsächlich das Flugzeug. Dabei sind die Kosten jedoch anders auf die Umweltaspekte Klima, Luftverschmutzung und Lärm verteilt, als bei Autos oder Zügen. Schliesslich bleibt der vermeintliche Umweltsünden-Sieger mit den höchsten Umweltkosten: Ein diesel- oder benzinbetriebenes Auto mit einer Person.
Nun kommen aber zwei springende Punkte hinzu: Erstens ist bei Flügen wichtig zu betonen, dass Flugzeuge durch die Reisehöhe in anderen Luftschichten höhere Kosten verursachen, um einen Faktor der noch nicht vollständig klar ist. Zu ihm bestehen zur Zeit lediglich Schätzungen. Kommt dieser geschätzte Faktor hinzu, verursacht ein Flug ungefähr gleich viel Kosten wie das Benzin- oder Dieselauto, dass mit einer Person besetzt ist. Das Auto scheint also tatsächlich ein wahrer Umweltkiller zu sein. Hier kommt aber der zweite und ausschlaggebende Punkt für alle Transportmittel hinzu: Fahren anstatt nur einer Person vier Personen in einem diesel- oder benzinbetriebenen Auto, sinken die Kosten dieses beinahe auf das Level der Züge. Ein Elektroauto mit vier Personen schlägt schliesslich selbst den Hochgeschwindigkeitszug.
Besonders beim Fussabdruck von Zügen ist zudem bei vielen Fussabdruckrechner extra Vorsicht geboten. Die Emissionsberechnungen von Zugreisen unterscheiden sich von Land zu Land, da vor allem der Strommix für den Betrieb nicht überall gleich ist. Nicht alle Rechner funktionieren nach derselben Methodologie und nutzen die länderspezifischen Daten zu Zugkompositionen, Lokomotiven und Energiequelle. Der für diese Reportage verwendete Rechner ecopassenger.org gibt in der Methode an, den Fussabdruck von Zugreisen auf den aktuellsten, verfügbaren länderspezifischen Daten zu berechnen. Bei Autos und Flugzeugen ist dieser Unterschied von Land zu Land viel geringer, da international produzierte und verwendete Autos wie auch Flugzeuge dieselben Nutzungsregeln und -bedingungen erfüllen.
Was bleibt…
… ist sicherlich ein relativ kleiner Fussabdruck (meinerseits) sowie ein neues Bewusstsein für verschiedene Transportmitteln und ihre Auswirkungen.
… ist die Einsicht, dass ich noch nie so erholt an meiner Destination angekommen bin. Im Zug hatte ich nicht mit verändertem Luftdruck, Dehydrierung, langen Wartezeiten und Gepäckaufgabe zu kämpfen und konnte im Gegensatz zu einer Fahrt im Autositz aufstehen und herumgehen, wann immer es mir lieb war.
… sind aber sicherlich besonders die reichen Erinnerungen. Wenn ich heute die Karte von Europa betrachte, überkommt mich ein ganz anderes Gefühl. Zur gesamten Strecke, die ich zurück gelegt habe, kommen mir Bilder der Landschaft in den Sinn. Ich weiss nun, wie es dort aussieht. Europa kommt mir vor wie ein Puzzle, bei welchem ich nun einige Teile mit visuellen Erinnerungen mehr ergänzen kann, wie mein Reisepartner. Bei ihm ist wohl alles Weiss, Blau und Grün. Bei mir voller Wiesen, Bauernhäusern, Windrädern, Landschaften, Strassen, Brücken und Bahnhöfen. Zudem denke ich oft an die ersten Züge in Europa zurück und wie sich unsere Vorfahren wohl dazumal gefühlt haben, als sie dieselbe Strecke fuhren. Das gibt mir ein Gefühl der Verbundenheit. Im Gegensatz zu einem Flug kommt mir die entschleunigte Reisevariante per Zug als reicheres und weniger hektisches Abendteuer vor. Und genau so sollten Ferien ja sein.
Was mir bezüglich Recherche bleibt, ist ein ambivalentes Gefühl gegenüber dem ökologischen Reisen. Ich frage mich, was man sich alles erlauben darf und was nicht. Wo sollte man sich einschränken und wie stark? Mir wurde bewusst, dass es – ein Mal mehr – keine starren Regeln gibt, unzählige Faktoren in einen CO2-Fussabdruck hineinspielen und die beste Wahl des Transportmittels stark von der Situation abhängig ist. Egal welche Entscheidung man trifft, es ist nie komplett Schwarz oder Weiss (oder Grün). Gewisse Regeln, an welchen man sich festzuhalten kann, gibt es aber schon. Aus den Fakten meiner Recherche sind folgende abzuleiten, wobei der letzte wohl der wichtigste ist:
- Die Auslastung des Transportmittels ist in allen Fällen der ausschlaggebendste Faktor, denn je ausgebuchter die Fahrt desto besser.
- Wegen dem noch unbekannten Zusatzfaktor von Flugzeugen bezüglich CO2-Ausstoss in höheren Lagen, verzichtet man am besten ganz aufs Fliegen, da es in der Regel wohl immer die höchsten Kosten verursacht (insbesondere in Anbetracht, dass man wohl selten alleine in einem Auto in die Ferien verreist).
- Elektrische Antriebe sind fast immer besser, egal welches Transportmittel.
- Mobilität ist eigentlich sowieso nur zu Fuss wirklich nachhaltig, denn jede Art von Transportmittel trägt mit Emissionen zum Klimawandel bei. Auch bei der Mobilität ist demnach das grösste Problem sicherlich die Häufigkeit von Reisen.
Deshalb: Auch beim Reisen gilt für mich der Gedanke der Suffizienz.
Brillianter, fundierter und glaubwürdiger Artikel, herzlichen Dank!
Seit Jahren lese ich immer wieder solche Artikel. Ich bin 62 Jahre alt und hatte bis vor 3 Jahren aus Überzeugung nie ein Auto besessen und bevorzugte den Zug bis vor 10 Jahren mit Hochgenuss. Seit den letzten 10 Jahren hat sich die Situation mit den elekrosmog-verseuchten Zügen kontinuierlich zugespitzt. Leider, leider kann ich als EHS-Person keine längeren Zugsfahrten mehr unternehmen, mit Ausnahmen. Wo bleiben die strahlenfreien, heisst Handy- und W-Lan-freien Wagons? Da wählte ich auch schon anstelle einer 9-stündigen Zugsfahrt einen 1-stündigen Flug. Leider. Auch das Auto garantiert mir eine strahlenfreiere Mobilität, Jahrgang 2006. Leider…..