StartHintergrundReportageKann man in der Schweiz noch trampen?

Kann man in der Schweiz noch trampen?

Ökologische Reisemöglichkeiten sind gefragter denn je. Aber auch der Individualverkehr nimmt zu und ist so hoch wie noch nie. Warum also nicht die meist nur gering ausgelasteten Autos nutzen und per Anhalter reisen? Ein Selbstversuch zeigt die Schweizer Autostopp-Realtät.

«Ja, früher standen wir noch mit ausgestrecktem Daumen am Strassenrand, wenn wir nicht mehr nach Hause gekommen sind.» oder «früher sahen wir noch Leute am Strassenrand stehen.» Solche Aussagen hört man öfters. Warum ist das «Stöppeln» aus der Mode gekommen? Ist es heute gefährlicher als noch vor 30 Jahren?

Tausende Autos und Lastwagen sind täglich unterwegs und meistens nicht komplett besetzt. Es gäbe Mitfahrgelegenheits-Apps und Webseiten um die leeren Autos zu füllen, doch die werden in der Schweiz kaum genutzt.

Per Anhalter zu reisen ist kostengünstig und ökologisch, da nur sehr wenig zusätzliche Abgase entstehen. Ausserdem bietet es eine Gelegenheit interessante Leute kennen zu lernen und Vorurteile abzubauen – sowohl auf der Seite des «Autostoppers», wie auch die des Autofahrers.

Was in der Schweiz aus der Mode gekommen ist, ist im Ausland gang und gäbe. Zum Beispiel in den Niederlanden gibt es offizielle «Autostopp-Haltestellen», besonders in Universitätsstädten. Aber auch in Polen, Irland oder Neuseeland ist das Trampen eine oft genutzte Fortbewegungsmöglichkeit, in Kuba ist es sogar gesetzlich vorgeschrieben Tramper mitzunehmen, da die Autos allen gehören. In unserem Nachbarland Deutschland hat das Trampen jedoch seit den 90-er abgenommen, besonders auf Autobahnen. In gewissen Regionen sind aber immer noch viele «Stöppler» unterwegs, so zum Beispiel um Berlin.

In den Niederlanden gibt es sogar Autostopp-Haltestellen.
«Autostopp-Haltestellen» in den Niederlanden. © User: (WT-shared) Nathan.besteman at wts wikivoyage, via wikimedia commons

Sicherheit

Klar ist mit dem Autostoppen ein gewisses Risiko verbunden. Wenn man sich aber nach gesundem Menschenverstand orientiert, kann man verschiedenen kritischen Situationen aus dem Weg gehen. Was sich sehr bewährt hat ist, wenn man Personen auf Raststätten direkt anspricht, so kann man die Fahrer direkt aussuchen. Weitere Tipps zur Sicherheit sind hier zusammengefasst.

Sonntagsausflug per Anhalter

Um dem Autostoppen in der Schweiz auf den Zahn zu fühlen habe ich mich mit einer Kollegin in Bern zum Tramp-Ausflug verabredet. Beide haben schon gewisse Erfahrung im «Stöppeln», hauptsächlich im Ausland. Deswegen wissen wir, dass es am schwierigsten ist, aus der Stadt auf die Autobahn zu gelangen. Unser Ziel lag im Westen, wir wollten einen Abstecher ins Welschland machen.

Laut der Autostopp-Bibel Hitchwiki startet man von Bern aus am besten vom Wankdorfplatz. Da sich dort aber die Strassen in alle Richtungen entzweigen, bastelten wir ein Schild mit der Zieldestination Lausanne/Fribourg.

Nach 20 Minuten unermüdlichem Daumen Raushalten, Hände verwerfende und Schulter zuckende Autofahrer, hielt endlich unser erster Kandidat an. Ein etwa 40-jähriger Mann aus dem Balkan. Da er aber in eine andere Richtung fuhr, war es nur eine Fahrt von zwei Minuten bis zur nächsten Raststätte.

Von dort aus war es einfach: Wir fragten einfach jede und jeden Vertrauenswürdige/n der/die aus dem Raststätten-Shop rauskam. Dabei war es spannend zu beobachten, wie manche in den «ich-will-doch-nichts-kaufen»- Modus fielen und abwimmelnd davon liefen. Irgendwie drangen wir in ihre komfortable Privatsphäre. Nichts desto trotz sagte etwa der Sechste zu und nahm uns mit.

Diesmal war es ein etwa 50-järiger Flugzeugmechaniker aus Genf. Während der nächsten 90 Kilometer folgten sehr interessante Gespräche (mit Französisch-Kenntnis Auffrischung) über die Swissair, dem Grounding und seinen ehemaligen Heimat Mosambik.

Im Kanton Waadt strahlte die Sonne aus dem Nebel, so entschieden wir uns bei der nächsten Raststätte auszusteigen. Wir waren ein bisschen ausserhalb des Dorfes Bavois gelandet. Nach Erkundung der Gegend und dem Dorf Bavois und Chavornay, streckten wir wieder den Daumen raus um zu der Raststätte zurück zu kommen.

Dieses Unterfangen war mangels geringem Verkehr und nicht Anhalts-willigen Autofahrer gar nicht so einfach. Schliesslich malten wir wieder ein Schild, was sehr schell zum Erfolg verhalf – ein junges Pärchen nahm uns die kurze Strecke mit. Nach einer Verpflegunspause und Einladung des Tankstellen-Shop-Arbeiters auf einen Kaffee (er hatte Tramp-Erfahrungen in Südamerika gemacht) «stöppelten» wir wieder zurück nach Bern. Dafür benötigten wir zwei Mitfahrgelegenheiten, welche uns ein portugiesisches Pärchen und eine Bernerin gaben.

Fazit

Die eingangs gestellte Frage, ob man sich in der Schweiz per Anhalter fortbewegen kann, ist mit ja zu beantworten, eigentlich sehr gut mit maximalen Wartezeiten von 20 Minuten. In kleineren Ortschaften kann ein Schild sehr hilfreich sein, sonst funktioniert die Anprechtechnik bei Raststätten und Tankstellen sehr gut.

Was dabei beängstigend ist, ist das Schweizer Autofahrer, vor allem die der jüngeren Generation angehörende, eine sehr ablehnende Haltung gegenüber dem Autostoppen haben. Viele hielten nicht nur nicht an, sondern wichen uns regelrecht aus. Dabei ist wohl Misstrauen und Angst ein grosser Faktor. Angst jemand Fremdes in sein privaten Besitz zu lassen, Angst mit Fremden ein Gespräch zu führen. Doch gerade die Gespräche würden Vorurteile abbauen (und Autofahrten interessanter gestalten) und können beidseitig sehr bereichernd sein.

Aber auch wenn ich in meinem Umfeld vom Trampen erzähle – kommt schnell der Kommentar, es sei gefährlich. Klar, man steigt in ein Auto eines Fremden, darum mach ich das als Frau auch nicht alleine. Aber schlussendlich kann man sich fragen, wie hoch die Wahrscheinlichkeit ist auf einen Kriminellen zu treffen. Ich denke das Risiko ist sehr gering und auch nicht gestiegen seit den letzten 30 Jahren, höchstens hört man eher Schauergeschichten, durch die Zunahme der Medien. Doch Schlussendlich ist das Abendteuer-Gefühl und das Kennenlernen interessanter Leute unbezahlbar und ich und meine Tramper-Kollegen haben noch nie negative Erfahrungen gemacht. Ich empfehle jedem diese inoffizielle Reisemöglichkeit zu nutzen um das «Autostoppen» wieder puplärer zu machen. Nicht nur Junge sollten darauf zurück greifen können, auch nach den 20-iger sollte das Trampen noch möglich sein, ohne schräg angesehen zu werden.

Nicht nur Tramperinnen können sich erfolgreich per Anhalter fortbewegen, auch Tramper – ein junger fribourger «Stöppler» organisiert immer wieder Autostopp-Meisterschaften und hat auch ein Autostopp-Verein gegründet.

4 Kommentare

  1. Danke für den schönen Beitrag. Ich habe schon viele Tramp-Erfahrungen gemacht, überall in der Welt und auch in der Schweiz. Ich habe fast keine dieser Fahrten vergessen. Die Freundlichkeit der meisten Leute haut mich dann oft fast um. Die Gespräche, mit Leuten mit denen man sonst kaum ins Gespräch kommt, über Religion, Sprache und Ansichten, sind Gold wert. Ganz selten hat mich auch mal jemand mitnehmen können wenn ich mit meinen Kindern nicht weiter gekommen bin, und so ist auch schon eine neue Generation an Trampern geboren. Das war nie geplant und nur für kurze Strecken, aber anstelle für 2 Stunden auf einen Bus zu warten wurden wir oft bis zur Haustür gefahren. Ich kann es nur empfehlen! Vorsichtig sollte man aber natürlich sein, vor allem als Frau und die Empfehlungen die hier stehen befolgen, aber weder ich noch mein Partner waren jemals in einer brenzligen Situation. Wer es noch nie versucht hat, sollte das Trampen mal versuchen, dieses Reiseerlebnis kann den Glaube an das Gute im Menschen stützen und zur Völkerverständigung beitragen 🙂

  2. Als fast 60-jährige Frau kann ich mich noch gut an die vielen Fahrten als Tramperin in früheren Jahren erinnern. Grund: Oft fehlender ÖV und wenig finanzielle Mittel.
    Noch heute nutze ich die Möglichkeit, wenn z.B. bei Wanderungen der nächste Bus zurück erst in einer Stunde fährt oder der ÖV ganz fehlt.
    Ich hatte nie schlechte Erfahrungen gemacht, jedoch auch mal Nein gesagt, wenn mir ein Fahrer gar nicht gefallen hat. Versucht es einfach 🙂
    Mehr Mühe damit hat mein Umfeld: Das sei doch viel zu gefährlich.

  3. In den 80ern dauerte es kaum 10 Minuten in der Schweiz. Da standen wir im Sommer in Schlange an der Abfahrt und alle 5-10 Minuten kam einer weiter.

    Schöne Zeit gewesen um kostenlos zu reisen

  4. In der Schweiz habe ich es noch nicht versucht, aber in Österreich und Deutschland hat das Autostoppen sogar im Corona-Sommer 2020 einigermaßen gut geklappt:
    https://andreas-moser.blog/2020/08/22/ammerthal-wien/

    Und es macht riesig Spaß! Man stellt sich am Morgen an die Straße und hat keine Ahnung, wem man im Laufe des tages begegenen wird, wer einen mitnimmt, welche Geschichten man hören, von welchen Leben man erfahren wird.

    Wenn Corona vorbei sein wird, komme ich gerne mal in die Schweiz, um autostoppend das Land zu erkunden!

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