Lebensmittel, die auf unserem Tisch landen, stammen mehrheitlich aus grossflächiger und industrialisierter Landwirtschaft. Bäuerinnen und Bauern weltweit stehen unter Druck, den Anforderungen der Grossabnehmer zu entsprechen. Diese wollen standardisierte, günstige Produkte zu grossen Mengen. Wieso Direktvermarktung den Kleinproduzent_innen mehr Perspektive ermöglicht und was das mit Umweltschutz zu tun hat, erzählt uns Tobias Joos von Crowd Container.
Interview mit Tobias Joos, Gründer von Crowd Container – durchgeführt von Evelyne Vonwyl
Kaffee, Tomatenpassata, Olivenöl, Cashewnüsse, Pfeffer – das sind alles Lebensmittel, die kaum noch aus unserem Speiseplan wegzudenken sind. Doch sie stammen nicht aus der Schweiz, sondern werden von Produzent_innen in den verschiedensten Ecken der Welt hergestellt. Wie kommt es, dass wir die Produkte so oft essen, doch nur wenig über deren Herkunft wissen. Dieses Missverhältnis hat auch Tobias Joos festgestellt und hat deshalb das Unternehmen Crowd Container gegründet. Damit bringt er die Produkte auf transparentem und direktem Weg vom Kleinproduzenten auf unsere Teller.
Tobias, kannst du uns kurz das Unternehmen Crowd Container vorstellen?
Tobias Joos: Crowd Container ist eine Online-Plattform für Sammelbestellungen. Wir vermarkten Produkte von Produzent_innen und bringen sie auf dem direktesten Weg zu den Konsument_innen. Dabei machen wir den gesamten Ablauf transparent und nachvollziehbar. Mittlerweile haben wir Partner in Südindien, Peru, Sizilien und der Schweiz.
Kannst du den Ablauf einer Sammelbestellung schildern – von der Bestellung bis zur Lieferung?
Zuerst fragen wir einen Produzenten, beispielsweise unseren Partner in Kerala, Südindien, welche Produkte er über uns vermarkten möchte. Er nennt uns Lebensmittel, die derzeit Saison haben oder die er an Lager hat. Darauf basierend erstellen wir eine Produkteliste und eröffnen die Sammelbestellung. Nun können Konsument_innen in der Schweiz während einer gegebenen Zeitspanne ihre Kokosnüsse, Cashewkerne, Gewürze etc. vorbestellen. Danach leiten wir die Bestellung an den Produzenten weiter und organisieren einen Container, den er mit den gewünschten Lebensmitteln füllt. Dann warten wir, bis der Container hier ist. Da er über den Seeweg zu uns gelangt, kann das von Südindien bis in die Schweiz gut zwei bis drei Monate dauern.
Und der Container muss gefüllt sein, damit die Bestellung ausgelöst wird?
Mit dieser Idee haben wir begonnen. Das war 2016, als wir das Projekt mit einem «Crowd Funding» ins Leben gerufen haben. Die Botschaft an die Konsument_innen lautete: «Wenn ihr diese Produkte wollt, dann müssen genug Bestellungen eingehen!». So haben wir unseren ersten «Crowd Container» gefüllt – daher kommt auch der Name des Unternehmens. Glücklicherweise wird mittlerweile immer genug bestellt, sodass sich das System umkehren konnte. Jetzt kann der Produzent sagen: «So viel von diesem Produkt kann ich euch für die nächste Sammelbestellung anbieten». Unsere Bestellmenge ist ziemlich stabil – verglichen beispielsweise mit einem Grossabnehmer, der mal hier mal dort einkauft.
… und das bringt uns dann auch zu den Grossabnehmern und -verteilern. Welchen Unterschied macht es für mich, als Konsumentin, ob ich meinen Pfeffer bei Migros und Coop einkaufe, oder diesen bei Crowd Container bestelle?
Da fallen mir gleich zwei Punkte ein. Erstens besteht ein Unterschied in dem Gehalt an Informationen, die du zu einem Produkt erhältst. Bei Crowd Container erfährst du sicher viel spezifischer und detaillierter, wie der Anbau des Pfeffers ist, woher er kommt, wer die Arbeit macht, wie er zu uns gelangt – und auch, wer am Schluss wie viel Geld daran verdient. Beim Grossverteiler steht auf dem Pfeffer vielleicht «bio» oder «fair», aber so genau weisst du dann doch nicht, was dahinter steckt.
Zweitens gibt es einen Unterschied in der Qualität. Ein Grossverteiler kann nur standardisierte Lebensmittel vertreiben – Produkte, die jederzeit verfügbar sind, in einer bestimmten Preisklasse liegen und immer gleich aussehen. So wird eine viel höhere Industrialisierung der Wertschöpfungskette vorausgesetzt. Wir können diese Standardisierung umgehen, und handwerklich angebaute und handwerklich verarbeitete Produkte anbieten. Unsere Erfahrung zeigt, dass sich das auch in der geschmacklichen Qualität äussert.
Und welchen Unterschied machte es für den Produzenten in Kerala, ob er seine Ware an Grossabnehmer weitergibt oder über Crowd Container verkauft?
Einerseits sieht man einen Unterschied in der Anbauweise. Bäuerinnen und Bauern, die auf den internationalen Handel angewiesen sind, stehen meist unter grossem Druck. Sie müssen sich extrem spezialisieren, um die Mengen und Standardisierung der Produkte umzusetzen, die vom Markt verlangt werden. Das führt dazu, dass sie oft grossflächig nur eine einzelne Kultur anbauen. Crowd Container kann viel flexibler auf Mengen und Sortiment eingehen. Dem Produzenten in Kerala können wir beispielsweise über zwanzig verschiedene Produkte abnehmen. Gerade in Indien haben viele Kleinbauern wunderschöne, alte Waldgärten, die eine hohe Diversität an Kulturen aufweisen. Und wir nehmen diese Vielfalt ab, weil wir denken, dass vielfältige Kulturen ökologisch sinnvoll sind. Und natürlich sind es auch extrem spannende Produkte, denen wir im Supermarkt nicht begegnen würden.
Anderseits besteht es auch ein Unterschied in den Preisen. Wir sprechen die Produktpreise direkt mit dem Kleinbauern oder der Kooperative ab. Sie bestimmen, welche Preise nötig sind, um ihre Kosten zu decken. Unabhängig vom Weltmarkt bieten wir dann das Produkt zu diesen Konditionen an.
Gibt es auch Verlierer_innen bei der Direktvermarktung? Was geschieht zum Beispiel mit dem Arbeitsplatz des Migros-Verkäufers oder der Bioladen-Verkäuferin, wenn ich meine Lebensmittel nur noch über den direkten Weg einkaufe?
Verlierer gibt es bei jeder Veränderung. Für uns ist es jedoch keine Option, uns den Zeichen der Zeit zu verschliessen und zu sagen: «Wir bleiben beim Alten». Wir möchten die Produktion der Lebensmittel auf eine Weise verändern, dass die Produzent_innen Wertschätzung und Wertschöpfung erhalten.
Unser Portal naturschutz.ch befasst sich vorwiegend mit Fragen zu Natur- und Umweltschutz. Deshalb interessiert es mich, ob es auch aus diesem Blickwinkel Gründe gibt, Lebensmittel aus dem Direktverkauf zu beziehen.
Hier muss ich vielleicht etwas ausholen. Für einige Zeit habe ich in Südindien bei unseren Partnern gelebt und mitgekriegt, was es für einen Bauernbetrieb bedeutet, wenn er vom internationalen Handel abhängig ist. Er muss sich auf eine Kultur spezialisieren, je nachdem, was der Markt verlangt. Das können beispielsweise Cashewnüsse sein, oder Kaffeebohnen, oder Kokosnüsse etc. Das mag einem Bauern für einige Jahre einen Vorteil verschaffen, doch irgendwann verschiebt sich die Nachfrage wieder und es braucht eine Neuausrichtung. So folgt eine Monokultur der nächsten. Und das hat Folgen für die Umwelt. Denn auf diesen Plantagen, basierend auf einer Kultur, kann sich kein selbstregulierendes Ökosystem entfalten. Die Kulturen sind anfällig für Krankheiten und Schädlinge, was meist mit dem Einsatz von Pestiziden einhergeht. Und die Böden werden einseitig belastet, was wiederum durch synthetischen Dünger ausgeglichen werden muss.
Kurzgefasst, der Weltmarkt bestimmt, was auf dem Feld wächst. Doch die Dynamiken des Weltmarkts entsprechen nicht den Zyklen der Natur und der natürlichen Landwirtschaft. Wenn beispielsweise ein Zitrusbaum gepflanzt wird, dauert es drei bis fünf Jahre, bis er einen Ertrag erbringt. Das lässt sich nicht mit der Weltwirtschaft in Einklang bringen.
Ihr habt mittlerweile auch Ware von Schweizer Produzent_innen im Angebot – wie kam das?
Im Herbst 2018 haben wir einen ersten Test mit Hochstamm-Äpfeln durchgeführt. Uns ist aufgefallen, dass Schweizer Produzent_innen vor denselben Problemen stehen, wie unsere Partner in Südindien oder Sizilien. Wie schon erwähnt: Das sind tiefe Preise, einheitliche Produkte und grosse Mengen. Das verlangt auch der Schweizer Markt.
Gerade Schweizer Bäuerinnen und Bauern, die eine arten- und sortenreiche Landwirtschaft betreiben, können diesen Forderungen oft nicht nachkommmen. Sie haben am Ende des Tages keine Chance, einen gerechtfertigten Preis für ihre Produkte zu erhalten, der die aufwändige Arbeit deckt. Entweder verschwinden sie dann oder sie richten ihren Betrieb auf die Massenproduktion eines Guts aus. Das ist in der Schweiz genauso wie überall auf der Welt.
Der Anbau von Hochstamm-Obstbäumen illustriert dies auf anschauliche Weise. Hochstämmer gelten als ökologisch wertvolle Elemente – das ist weit anerkannt. Deshalb werden sie aus Gründen des Landschaftsschutzes erhalten. Nun wäre es doch sinnvoll, Hochstämmer in die landwirtschaftliche Produktion zu integrieren. So könnte die Biodiversität gesteigert werden, und gleichzeitig würde ein Lebensmittel für den Verkauf entstehen. Doch die Produktion von Hochstamm-Speiseobst kann sich praktisch kein Bauer mehr leisten – wer zahlt denn heute mit dem Kauf eines günstigen Apfels noch den Gang auf die Leiter?
Deshalb haben wir hier eine Chance gesehen. Wir vermarkten den Apfel zu einem vernünftigen Preis und motivieren so die Produzent_innen, vermehrt solche Bäume anzupflanzen. Damit arbeiten wir, und auch viele andere, an einer Erneuerung der landwirtschaftlichen Strukturen.
Wäre es aus Sicht des Umweltschutzes nicht gar sinnvoller, nur Schweizer Produkte zu vermarkten? So könnten Transportwege gekürzt und der Ausstoss an Treibhausgasen reduziert werden.
Das würde nicht den Lebensrealitäten entsprechen. Wären alle bereit, auf Tomaten und Spaghetti zu verzichten, ja, dann müsste man sich das überlegen.
Tomaten können ja auch in der Schweiz angebaut werden. Wieso nicht mit Schweizer Tomaten kochen?
Hier drängt sich dann die Frage nach dem Anbau auf – und darüber wollen wir unbedingt sprechen. Dieser Punkt ist mir sehr wichtig!
Die Frage nach dem Anbau verschwindet in vielen ökologischen Betrachtungsweisen hinter der Frage nach dem Transport und der Verpackung. Doch was den Meisten nicht bewusst ist: Der Anbau eines Produktes hat die viel grössere Auswirkung auf den ökologischen Fussabdruck, als dessen Transport oder Verpackung.
Beispielsweise wachsen Tomaten in Sizilien bei unseren Partnern auf dem Freiland. Sie haben eine spezielle Anbaumethode, und Sorten, die ohne Bewässerung auskommen. Bei uns haben wir schlicht kein Tomatenklima. Wenn hierzulande die aktuelle Nachfrage nach Tomatenpassata aus Schweizer Produktion gedeckt werden sollte, müsste ein Grossteil des Mittellandes mit Gewächshäusern zur Tomatenaufzucht ausgestattet werden. Das wäre bestimmt nicht ökologisch.
Wer kauft bei euch ein?
Zuerst waren es vor allem «fair-trade» begeisterte Personen der älteren Generation. Mittlerweile ist das Durchschnittsalter jedoch stark gesunken – wir zählen jetzt auch viele junge Menschen zu unserem Kundenstamm.
Wenn ich mir die Lebensmittelpreise auf eurer Webseite anschaue, sind diese, verglichen zum Supermarkt, eher höher. Können sich eure Produkte nur Gutverdienende leisten?
Nein, ich habe nicht das Gefühl, dass wir uns mit unseren Preisen nur in einer elitären Nische bewegen. Wir sehen uns mit unserem Angebot in der Mitte der Gesellschaft – zumindest, wenn die Leute bereit sind, wieder etwas mehr für Lebensmittel auszugeben. Meines Wissens liegt das Medianeinkommen der Schweiz bei etwa 6500 CHF im Monat. Davon fliesst sechs Prozent in den Kauf von Lebensmitteln. Wenn nun alle Personen, die durchschnittlich verdienen, bereit wären, mehr als sechs Prozent für ihre Lebensmittel auszugeben, könnten sich ganz viele Personen in der Schweiz unser Angebot leisten. Wir setzen uns dafür ein, dass Menschen irgendwann wieder mindestens zehn Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben, und eben nicht nur sechs Prozent.
So soll also zehn Prozent des Einkommens in Lebensmittel fliessen – wieso diese Zahl?
Das ist nur ein Richtwert. Doch Lebensmittel sind etwas ganz Grundlegendes – grundlegend für das ganze Ökosystem der Erde, aber auch für uns persönlich, wie wir uns ernähren, was wir zu uns nehmen… Eigentlich finde ich es ziemlich verrückt, dass wir bei den Lebensmitteln so preissensitiv sind und diese nur einen so kleinen Teil von unserem Haushaltsbudget ausmachen.
Oft wird mit sozialen und ökologischen Projekten der ohnehin schon sensibilisierte Teil der Bevölkerung angesprochen – man bewegt sich in einer kleinen, ideologischen «Blase». Erlebt auch ihr das so?
Als Mitglied von verschiedenen Projekten der Solidarischen Landwirtschaft kenne ich diese Blase gut. Hier treffe ich tatsächlich immer wieder auf dieselben 200 bis 400 Personen.
Mit Crowd Container sind wir da sicher schon viel breiter. Das heisst aber noch lange nicht, dass wir bereits Menschen ansprechen, die ihren Wocheneinkauf im Discounter tätigen. Aber es ist unser Ziel, breiter zu werden, und über diese ideologischen Kreise zu wachsen. Stückweise ist es uns auch schon gelungen, Personen zu sensibilisieren, die vorher noch nie in Kontakt mit Themen wie dem nachhaltigen Lebensmittelanbau gekommen sind. Wir glauben auch, dass sich die Gesellschaft in diese Richtung bewegt. Aber es ist sicher noch keine Mehrheit.
Was bräuchte es denn, dass es zu einer Mehrheit wird?
Unsere Rolle als sozial und ökologisch eingestelltes Unternehmen sehe ich in der Pionierarbeit: Aufzuzeigen, was überhaupt möglich ist. Das sind Punkte wie Preistransparenz, mehr Wertschöpfung für die Produzent_innen, und die sozialen und ökologischen Zusammenhänge. Die Leute sollen sehen, dass es mehr als nur die industrielle Massenware des aktuellen Supermarktangebots gibt. Und natürlich wollen wir demonstrieren, dass es auch betriebswirtschaftlich möglich ist – auch innerhalb unserer marktwirtschaftlichen Ordnung.
Dann, denke ich, braucht es viel politische Arbeit. Es ist an der Politik, diese Vorarbeit aufzunehmen und Anreizsysteme zu schaffen. Insbesondere braucht es Kostenwahrheit nach dem Verursacherprinzip. Im konventionellen Anbau werden momentan noch viele Kosten externalisiert. Sie werden nicht in den finalen Preis aufgenommen, sondern auf die Gesamtgesellschaft, die Ökosysteme, das Grundwasser, die sozialen Bedingungen der Erntehelfer_innen, und so weiter ausgelagert. Bei Kostenwahrheit wären ökologische Produkte nicht mehr teurer als konventionell angebaute. Und dann wird eine soziale und ökologische Landwirtschaft bestimmt mehrheitsfähig.
Zum Schluss möchte ich von dir wissen, was denn eure Vision der Lebensmittelproduktion und des Lebensmittelhandels ist.
Das ist eigentlich nicht so kompliziert. Es soll möglich werden, eine vielfältige, arten- und sortenreiche Landwirtschaft zu betreiben, die ökologisch im Gleichgewicht ist. Dabei sollen die Produzent_innen genug Wertschöpfung und Wertschätzung für ihre Arbeit erhalten. Wir wünschen uns, dass die Arbeit als Landwirtin und Landwirt wieder attraktiv wird. Junge Leute sollen sich vermehrt wieder für diesen Beruf interessieren und motiviert sein, auf eine ökologisch- und sozial-nachhaltige Weise Lebensmittel zu produzieren.