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Hotspot Naturgarten – Sind Wintergärten trist und traurig oder vielfältig und voller Leben?

Eine Sammlung anregender Leserbriefe zum Artikel «Gärten im Winter» von Andreas Honegger, die zeigt, dass Gärten im Winter keineswegs einen traurigen Eindruck machen müssen. Ganz im Gegenteil: In naturnahen «unaufgeräumten» Gärten, die Vögel, Insekten und anderen Kleinlebewesen Nahrung und Lebensraum bieten, gibt es auch im Winter viel Schönes und Spannendes zu entdecken. Die Leserbriefe motivieren dazu, Sichtweisen zu hinterfragen und Blickwinkel zu erweitern.

In einem Artikel vom Andreas Honegger, der im Tagblatt vom 12. Januar erschienen ist, meint der renommierte Gartenjournalist, dass Gärten im Winter einen «eher traurigen Eindruck» machen. Bei näherem Hinschauen, so erzählt er, gibt es zwar einiges zu entdecken; Winter-Schneeball Sträuche und Herbst-Kirschbäume, die ihre rosa Blüten geöffnet haben, Christrosen, Herbstkrokusse, und Schneeglöckchen. Dennoch meint Honegger: «In der kalten Jahreszeit kann man das letzte Herbstlaub entsorgen: Ein aufgeräumter Garten sieht sofort besser aus. Man kann die Pflanzen nie ganz sich selbst überlassen.» Da gehen die Meinungen weit auseinander: Engagierte Naturgärtner*innen, darunter auch unsere Hotspot Naturgarten Blogerinnen, haben in die Tasten gehauen. Ihre Leserbriefe zeigen, wie wichtig unaufgeräumte Naturgärten auch im Winter als Lebensraum und Nahrungsquelle für viele Tiere sind – und welche Schönheit und Inspiration im Wintergarten zu finden ist, wenn man seinen Blickwinkel ändert.

Leserbriefe

Christine Dobler Gross, Bloggerin «Hotspot Naturgarten»

«Im Wintergarten ist Ruhe eingekehrt. Einen traurigen Eindruck macht unser Garten deshalb nicht, auch wenn kaum mehr Blüten sichtbar sind. Dafür locken viele bunte Beeren einheimischer Sträucher und Hagebutten die Vögel in den Garten, und an den dekorativen Samenständen turnen Distelfinken und Girlitze herum. Die schützende Laubschicht verhindert das Austrocknen des Bodens und dient den Kleintieren als Winterdecke. Niemals entferne ich Laub aus den Beeten und unter Hecken im Herbst, und schon gar nicht im Winter. Erst im Frühling, wenn die kleinen Wolfsspinnchen, die Feuerwanzen und andere Kleintiere hervorkriechen, entferne ich das Laub sorgfältig von Hand, damit die Frühlingsblümchen Platz und Luft bekommen. Ein auf- und ausgeräumter, geputzter Garten allerdings sieht wirklich traurig aus und nicht besser, wie Herr Honegger es empfindet. Aber da gehen die Meinungen offenbar weit auseinander. Teilen wir unsere Gärten doch mit den Insekten und andern Kleinlebewesen, geben wir der Natur mehr Raum und helfen so mit, die schwindende Biodiversität zu bremsen.»

© Beatrix Mühlethaler

Theresa Székely, Agrarökologin und Familiengärtnerin

«Welch deprimierendes Gartenbild! Und das nach der jahrelangen breiten öffentlichen Diskussion über die rasant zurückgehende Biodiversität und was man dagegen tun könnte. Ein Garten ist kein Wohnzimmer. Es ist ein Lebensraum. Wer ständig aufräumt und alles Laub und «Unkraut» entfernt, sollte sich über einen traurigen Eindruck nicht beklagen. So entfernt man doch alles, was Leben in den Garten bringen würde und an dem man sich auch im Winter erfreuen könnte. In der Laubschicht suchen Amseln und Rotkehlchen nach Nahrung. Der Lebenszklus von Insekten wird ständig abgebrochen. Sie wären Nahrung für Vögel und andere Tiere, ebenso wie Samenstände und Beeren an Wildpflanzen, die man sorgfältig ebenfalls ständig entfernt. Und nein, ein Garten im Winter sieht nicht aus wie im Sommerhalbjahr, wenn es überall blüht. Kann das der Mensch im 21. Jahrhundert nicht mehr akzeptieren?»

Gönnen Sie dem Regenwurm sein Futter? Er holt auch im Winter, was er findet, und zieht es in sein Loch: hier Kiefernnadeln auf dem Gartensitzplatz © Theresa Szekely

Beatrix Mühlethaler, Umweltjournalistin und Bloggerin «Hotspot Naturgarten»

«Wenn ich zum Fenster in den Garten rausschaue, sehe ich keinen traurigen Garten, sondern viel Leben: Zahlreiche Amseln sitzen im Wildrosenstrauch und futtern Hagebutten. Oder sie scharren im Laub, um sich mit Kleintieren etwas Eiweiss einzuverleiben. Auf dem Obstbaum sitzt sogar der schmucke Gimpel und präsentiert seinen roten Bauch. Dieses Treiben ist der naturnahen Gestaltung und Pflege des Gartens zu verdanken. Trostlos, wie sie Andreas Honegger beschreibt, sind jetzt nur die sterilen Umgebungen, wie sie vielerorts vorherrschen. Sein Ratschlag, die Öde durch das Entfernen von Laub zu verschönern, würde diese nur noch lebensfeindlicher machen. Denn das Laub schützt das Bodenleben bzw. das Futter für andere Tiere.»

© Beatrix Mühlethaler

Regula Hug, Trittsteingärtnerin

«Lieber Andreas Honegger, ja, das würde ich auch traurig finden. In meinem Garten kann ich auch im Winter viel Schönes und Spannendes entdecken! An den Grashalmen, an der Königskerze, an der wilden Möhre, an der Karde knabbern Stieglitze und andere Vögel, denn hier finden sie leckere Samen. Im Schnee sehe ich Spuren von Kleintieren, die ich in den wärmeren Jahreszeiten nicht sehen würde. Ein Wiesel? Aus dem Laubhaufen klettert manchmal eine kleine Haselmaus und schaut nach Beeren und Körnern aus, die die Vögel fallen gelassen haben. Im Asthaufen sitzen der Zaunkönig und das Rotkehlchen. Wenn die Temperaturen über Null sind, baden die Vögel am Morgen in der Wassertränke, die ich vergessen habe wegzuräumen. Sie stelle ich für die Wildbienen auf und lege noch etwas Moos und Lehm dazu – ein sehr begehrtes Bau- und Nistmaterial für Insekten und Vögel. Zu jeder Tages- und Nachtzeit entdecke ich immer wieder Neues – eine Freude!»

Waldmaus im Winter © Christine Dobler Gross

Dani Pelagatti, GARTENMALDREI – der andere Gartenblog

«Ich freue mich täglich über den winterlichen Anblick meines unaufgeräumten Gartens. Winterblüher sind zwar vorhanden, spielen aber bloss eine untergeordnete Rolle, denn in der kalten Jahreszeit wirken hier ganz andere Aspekte. Jetzt trumpfen die abgestorbenen Pflanzenteile auf, mit ihrem breiten Spektrum an Braun- und Grautönen und ihren enorm vielfältigen Strukturen. Sie werden bewusst stehengelassen, um den Wintergarten zu bereichern. Sowohl fürs menschliche Auge als auch für die Biodiversität. Weissglänzende Früchte des Steinsamens, zarte Dolden der Bibernelle, altmodische Silberlinge, standfeste Karden, flauschige Kissen von Golddisteln, stramme Königskerzen, verwitterte Mohnkapseln, fragile Gerippe von Glockenblumen, bizarr gebogene Wolfsmilch, büschelweise Dost, borstiger Natternkopf… die Aufzählung könnte  beliebig verlängert werden. Auf all diese Naturschönheiten verzichten, um der winterlichen Tristesse im sauber geputzten Garten Einzug zu gewähren? Nicht bei mir!»

© Dani Pelagatti

Isabelle Blum, Umweltberaterin und Gartenbloggerin

«Also wenn ich aus dem Fenster in meinen Garten schaue, geniesse ich ein sehr vielfältiges Gartenbild. Es sieht ganz und gar nicht traurig aus. Und auch die Pflanzen kann ich getrost sich selbst überlassen. Sie stehen einfach da und zeigen ihre prächtigen und vielfältigen Samenstände, Stängel, Äste und Zweige. Die Vögel freuen sich darüber und picken sich ihr Futter selber. Es braucht weder Plastik noch Aufräumarbeiten oder Vorsichtsmassnahmen. In meinem Garten respektiere ich die Zyklen der Natur. Alles ist in bester Ordnung. Und ich kann mich ganz und gar den schönen Samenkatalogen widmen und mir ausmalen, wie ich auch den nächsten Winter einfach nur wieder geniessen kann.»


Samenstand Herbstanemone © Christine Dobler Gross

Jasmin Jansen, Bloggerin «Hotspot Naturgarten»

«Sehr geehrter Herr Honegger, gezielt finden Sie die kleinen tapferen Blüher, die im winterlichen Garten an die vergangene Saison erinnern und Freude auf die neue machen. Ob der Garten ansonsten einen eher traurigen Eindruck macht, ist wohl eine Frage des Blickwinkels. Denn was für eine besondere Welt ist doch der Garten im Winter! Selbstverständlich nicht so opulent wie in den bunten Jahreszeiten. Einfacher, klarer, ruhiger. Etwas mehr im Detail. In den leuchtenden roten Beeren der Sträucher und den filigranen Formen der stehengelassenen Samenstände. Hat es erst noch gefrostet, sind hier wahre Kunstwerke zu bestaunen, die zudem zahlreichen Tieren durch die kalte Jahreszeit helfen. Etwas mehr «Action» gefällig? In den Morgenstunden, wenn der Tag gerade dämmert, versammeln sich die Vögel zum grossen Schauspiel. Furios wirbeln die Amseln die Laubdecken auf, unter denen sie auch bei eisigen Temperaturen noch Nahrung finden. Was sie übersehen, freut die flinken Spatzen, Meisen und Rotkehlchen, während nebenan ein Zaunkönig durch das entlaubte Gebüsch huscht, um sein Frühstück zu suchen. Dem passionierten Gärtnerherz mag die Aktivität im Garten fehlen, aber doch nicht gerade jetzt dem Aufräumdrang nachgeben! Man nimmt den Vögeln das Futter und den Insekten die Winterschlafstätte. Bedenken Sie: Das Artensterben fängt im eigenen, allzu aufgeräumten Garten an.»

© Jasmin Jansen

1 Kommentar

  1. Es kann ja sein, dass in Herrn Honeggers Garten Pflanzen wachsen, «Sommerschönheiten», die dem Winter in ihrer Gestalt nicht die Stirn bieten können.. Und so ein Anblick ist in der Tat nicht erfreulich. Besser wegputzen und auf bessere Zeiten warten.

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