StartHintergrundWissenLandwirtschaft 4.0: Wie sieht der Bauernhof der Zukunft aus?

Landwirtschaft 4.0: Wie sieht der Bauernhof der Zukunft aus?

Wie werden wir im Jahr 2050 zehn Milliarden Menschen ernähren ohne die Umwelt dabei zu zerstören? Diese Frage beschäftigt derzeit Gesellschaft, Politik und Forschung. Für einige ist die Antwort klar: Digitalisierung und Robotik in der Landwirtschaft werden es möglich machen. Doch wie ist der Stand der Entwicklung? Und ist eine Umstellung der Bauernhöfe hin zu einer digitalen Produktionsstätte tatsächlich die Lösung?

Gekonnt bewegt sich das fast vier Meter lange und 2.5 Meter breite Fahrzeug auf dem Salatacker, ohne dabei ein einziges Blatt unter seinen Reifen zu zerquetschen. Seine zwei beweglichen Armen steuern zielstrebig Unkräuter an und bespritzen diese mit einer kleinen Menge Flüssigkeit. Die Sonne scheint und ihre Strahlen werden auf der schwarzen Oberfläche des einem Ping-Pong-Tischs nicht unähnlichen Gefährtes absorbiert.

Die Szene stammt aus einem kurzen Präsentationsfilm eines Schweizer Startup-Unternehmens, das einen autonomen «Jätearbeiter» entwicklet hat. Der intelligente Roboter ist eines der Projekte, das im Rahmen der «Nachhaltigkeitstagung» von Agroscope, dem Kompetenzzentrum der Schweiz für landwirtschaftliche Forschung, Ende Januar in Bern vorgestellt wurde. Für die Tagung zum Thema «Nachhaltigkeit und Pflanzenschutz: Innovationen für die Landwirtschaft» hat Agroscope Referierende der Industrie, vertreten durch Syngenta und Andermatt Biocontrol AG, des Bundesamtes für Umwelt (Bafu) und der Forschergemeinschaft, vorwiegend vertreten durch Agroscope und dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau (FiBL), eingeladen. Sie alle haben über die Zukunft der Landwirtschaft gesprochen und ihre Lösungsstrategien für eine nachhaltige Lebensmittelproduktion präsentiert, einige überzeugender, andere weniger.

«Gutes Essen, gesunde Umwelt» lautet es auf der Webseite von Agroscope. So einfach dieses Motto klingt, so komplex sind die Hintergründe: Wie die Produktion von genug und «gutem Essen» in einer «gesunden Umwelt» tatsächlich aussieht, ist bei weitem nicht klar. Laut Schätzungen der Welternährungsorganisation FAO werden in der Mitte dieses Jahrhunderts 60% mehr Nahrungsmittel benötigt – im Falle eines gleichbleibenden Trends der weltweiten Essensgewohnheiten und des Populationswachstums. Um die nötigen Lebensmittel zu produzieren, schlägt die FAO das Konzept der «Intensivierung der Landwirtschaft» vor: weniger Eintrag von Schadstoffen, grösser Ernteertrag, bei weniger Druck auf die Umwelt.

Die Vision einer ökologischen und sozialen Landwirtschaft

Urs Niggli, Direktor des FiBL, eröffnet die Vortragsreihe der Tagung in Bern mit der Botschaft, dass ein Paradigemenwechsel in der Landwirtschaft nötig sei. Niggli sieht nicht nur die von der FAO vorgeschlagene Intensivierung der Landwirtschaft vor, sondern will auch ökologische und soziale Faktoren miteinbeziehen. Die Berücksichtigung von Ökosystemleistungen wie Biodiversität, Genetische Vielfalt und Bodenfruchtbarkeit werden eine stabilies Produktionssystem gewährleisten, so Niggli. Werden zusätzlich soziale Komponenten, wie die Kooperation zwischen Bäuerinnen und Konsumenten, berücksichtigt, könne Landwirtschaft langfristig nachhaltig sein.

Dabei soll der geschickte Einsatz von neuen Technologien diesen Wechsel begleiten. Im Verlauf der Nachhaltigkeitstagung wird klar: Auch viele der anschliessenden Referierenden sehen die Digitalisierung als eine der wichtigsten Instrumente für den Wandel hin zu einer nachhaltigen und produktiven Landwirtschaft.

Landwirtschaft 4.0

Ähnlich dem Begriff Industrie 4.0 wird auch von der Landwirtschaft 4.0 gesprochen. Nach der Neolithischen Revolution, die um 10’000 v. Chr. die Jäger und Sammlerinnen zu Bäuerinnen und Bauern machte, der Anbauverbesserung vor einigen hundert Jahren und dem Einführen von synthetischen Pestiziden und Düngern vor einigen Jahrzehnten, steht nun mit der rasanten Entwicklung von Informations- und Kommunikationstechnologien eine Vierte Revolution bevor.

Derzeit arbeiten mehrere Forschungsgruppen bei Agroscope an der Entwicklung hin zu einer technologisierten Landwirtschaft. Im Gebiet des «Smart Farmings» wird an mit Sonden ausgestatteten Kühen, smarten Melksystemen, intelligenten Sämaschinen und «Big Data» in Gewächshäusern geforscht. Thomas Anken, Projektleiter bei der Weiterentwicklung des Forschungsfelds Smart Farming bei Agroscope, beschäftigt sich schon seit mehreren Jahren mit der Entwicklung neuer Technologien in der Landwirtschaft.

Unkräuter erkennen mit autonomen Robotern

Eine dieser Entwicklung ist die Unkrautbekämpfung durch intelligente Maschinen. Durch die technischen Fortschritte in den Bereichen Sensorik, Datenverarbeitung und maschinellem Lernen gibt es erste Prototypen, die Unkräuter erkennen und diese regulieren. Nach Einschätzung von Anken seien autonome Roboter langsam praxisreif, doch die effektive Anwendung im Feld beinhalte noch viele Unsicherheiten. So ist auch der «Jätearbeiter» des Schweizer Startup- und Agroscope-Parnterunternehmens unter den Landwirtinnen noch kaum verbreitet – doch das könne sich schon bald ändern.

GPS, Frontsteuerung und Kamera ermöglichen dem Roboter Unkräuter auf Plantagen und in Reihenkulturen zu erkennen und diese selektiv mit einem Herbizid zu besprühen. Durch das Vermeiden von flächendeckendem Herbizideinsatz könne die benötigte Menge um 90% reduziert werden, lässt das Unternehmen auf ihrer Webseite verlauten – es ist eine «Technologie für die Umwelt».

Herbizide seien beliebt bei den Landwirten und alternative Produkte zur Beseitigung von Unkräutern müssen sich erst einmal im Markt durchsetzen, weiss Anken. Auch Judith Wirth vom Bafu teilt diese Ansicht. In ihrem Vortrag macht sie deutlich, dass Herbizide sehr effektiv und kostengünstig sind und von den Landwirtinnen beinahe in allen Situationen gebraucht werden. Da Unkräuter prozentual für die grössten Ernteausfälle sorgen, ist die Menge an ausgebrachten Herbiziden, im Vergleich zu Fungiziden und Insektiziden, für Landwirte am schwierigsten zu reduzieren. Deshalb könnte der Einsatz von neuen Technologien gerade bei der Reduktion von Herbiziden eine tragende Rolle spielen.

Frühwarnsystem für Pflanzenkrankheiten

Ein anderer Ansatz zur Reduktion von Pestiziden ist das von Agroscope entwickelte Frühwarnsystem «Agrometeo». Es ist eine Plattform, die den Landwirtinnen lokale meteorologische und klimatische Messdaten zur Verfügung stellt und über das Management von Krankheiten und Schädlingen informiert. Das zentrale Element von Agrometeo basiert auf einem schweizweiten Netzwerk von 178 Wetterstationen, welche alle zehn Minuten verschiedene Parameter, wie Temperatur, Niederschlag, Sonneneinstrahlung, relative Luftfeuchtigkeit und Blattnässe messen.

Die gesammelten meteorologischen Daten fliessen in ein Prognosemodell, zusammen mit den Kenntnissen zur Biologie und Entwicklung von Krankheitsinfektionen und Schädlingen. Derzeit existieren Prognosemodelle für sieben Krankheitserreger. Anhand der Abhängigkeit dieser Organismen von meteorologischen Faktoren, kann eine Vorhersage über das Risiko eine Befalls gemacht werden. Landwirte, die sich auf der Plattform informieren, sollen so gezielter gegen Krankheitserreger und Schädlinge vorgehen können. Dadurch soll die Menge an eingesetzten Fungiziden und Insektiziden reduziert werden.

Echter Mehltau
Der mehlig weisse Pilzüberzug der Beeren ist ein Zeichen einer an Echtem Mehlpilz erkrannkten Rebe. Mit dem Prognosemodell von «Agrometeo» kann eine Frühwarnung für diesen Krankheitserreger ermöglicht werden. (©Bauer Karl [CC BY 3.0], via wikimedia commons)

Ein Schlüssel für Effizienz und Nachhaltigkeit?

Was sind die Ziele dieser digitalen Entwicklung in der Schweizer Landwirtschaft? Zum einen ist es die Arbeitszeiteinsparung und -erleichterung. Durch den Einsatz von autonomen Maschinen und Robotern können Arbeiten, die körperlich anstrengend und oft monoton sind, wegfallen. Zum anderen soll die Digitalisierung die landwirtschaftliche Produktion noch effizienter machen, gleichzeitig aber die Umwelt schonen. Eine gezielte Applikationen von Pestiziden und auf den Pflanzenbedarf abgestimmte Nährstoffzufuhr sollen die Einflüsse landwirtschaftlicher Praktika auf die Umwelt minimieren. Zudem soll auch die Tierhaltung freundlicher werden. Dadurch, dass die Tiere mit Sensoren überwacht werden können Fütterungs- und Haltungsdefizite frühzeitig erkennt werden.

All diese Ziele sind begrüssenswert, doch ob und wie diese tatsächlich erreicht werden, und welche Konsequenzen solche Szenarien haben, wurde bei der Tagung der Agroscope nur am Rande thematisiert. Doch es gibt noch unzählige offene Fragen zu der digitalen Entwicklung in der Landwirtschaft.

Die potenziell tiefreichenden Veränderungen der Landwirtschaft durch die Digitalisierung eröffnen nicht nur neue Möglichkeiten, sondern bringen auch viele Schwierigkeiten und Unsicherheiten mit sich. In einem viel beachteten Meinungsartikel zu Smart Farming, der 2017 in der wissenschaftlichen Zeitschrift PNAS veröffentlicht wurde, haben Forschende der ETH Zürich festgehalten, dass auf die Herausforderungen einer digitalen Landwirtschaft bereits in einem frühen Stadium hingewiesen werden müsse.

Konzernmacht über das Essen?

Einer der grössten Unsicherheiten, die mit der Digitalisierung einhergehen, ist die Frage nach dem Eigentumsrecht der generierten Daten. Durch das Sammeln und Analysieren von Daten können Modelle generiert werden, die eine Vorhersage zu bestimmten Vorgängen ermöglichen. Beispielsweise kann der Einsatz von Dünger noch gezielter auf die vorherrschenden Bedingungen eines Standorts abgestimmt werden. Dabei gilt: Umso grösser die Datenmenge, desto präziser die Algorithmen. Maschinenhersteller, Saatgutproduzenten und andere Dienstleister im landwirtschaftlichen Sektor werden deshalb ein wirtschaftliches Interesse haben, so viele Daten wie möglich für sich zu beanspruchen. Dies wiederum könnte dazu führen, dass Landwirtinnen zunehmend abhängig von Unternehmen werden. Entwicklungsorganisationen wie Oxfam geben zu bedenken, dass angesichts der enormen Marktmacht der Agrarkonzerne die Digitalisierung die vorherrschenden Machtverhältnisse noch verstärken könnten.

Die Digitalisierung wirft auch Fragen zu Verantwortung und Haftung auf. Wer haftet, wenn beispielsweise Rückstände von Pestiziden auf dem Erntegut nachgewiesen werden? Ist die Landwirtin, die Softwareherstellerin oder der Verkäufer des Sensors verantwortlich für den Fehler?

Gewarnt wird ebenfalls, dass viele landwirtschaftliche Betriebe aus dem digitalen Fortschritt keinen Nutzen ziehen werden. Weltweit werden 70% aller Nahrungsmittel von Klein- und Familienbetrieben produziert. Die hohen Kosten, die durch das Integrieren neuer Technologien anfallen, und begrenzte Fähigkeiten und Kenntnisse können gerade für solche Betriebe ein Hindernis darstellen, Teil der Landwirtschaft 4.0 zu werden. Vorwiegend grosse Betreibe in industrialisierten Ländern werden die Gewinner einer digitalen Entwicklung sein. Damit wächst aber auch das Risiko einer Intensivierung des Anbaus der bereits am weitesten verbreiteten Pflanzensorten wie Reis, Mais oder Weizen. Dies wiederum könnte zu noch grossflächigeren Monokulturen führen und sich so negativ auf die Biodiversität auswirken.

Ein Beruf im Wandel

Die Autoren des Meinungsartikels erwähnen auch die sozialen Herausforderungen, die neue Technologie in der Landwirtschaft mit sich bringen. In Nordamerika und Europa hat die Industrialisierung bereits zu einer starken Abnahme der in der Landwirtschaft beschäftigen Personen geführt. Die Digitalisierung könnte die Situation nochmals verschärfen. Durch den vermehrten Einsatz von intelligenten Maschinen und automatisierten Abläufen wird es eine Verschiebung der manuellen Arbeit hin zu Kontrollarbeiten geben. Landwirte werden dadurch vermehrt mit Computern und Smartphones arbeiten. Wird diese Entwicklung Personen motivieren, oder eher hemmen, Arbeit im landwirtschaftlichen Sektor anzugehen? Kann durch die digitale Entwicklung der Druck auf die Lebensmittelproduktion und die Landwirtinnen reduziert werden, oder führt dies schlussendlich doch zu mehr Stress und Leistungsdruck?

Und wie wird sich allgemein die Einstellung und damit auch die Wertschätzung der Gesellschaft gegenüber der Landwirtschaft und deren Produkten entwickeln? Wird eine Mechanisierung der Produktion zu einer noch stärkeren Entfremdung führen? Werden die Konsumenten in ferner Zukunft die Landwirtschaft nur noch von harmonieversprechenden Bildern auf Werbeplakaten kennen? Und haben wir Menschen am Ende dieser Entwicklung noch einen Bezug zur Landwirtschaft oder werden wir das Heranwachsen von Pflanzen, das Reifen von Früchten oder das Halten von Kühen als reines Mittel zur Ernährungssicherung sehen?

Melkroboter
Melkrobotor sind in Schweizer Betrieben längst keine Seltenheit mehr und erleichtern den Bäuerinnen und Bauern ihren Alltag in der Landwirtschaft. Der Melkroboter ist mit einer umfangreichen Datenerfassung ausgestattet und kennt dadurch jede Kuh im Stall und deren Milch. Erscheint eine Kuh längere Zeit nicht zum Melken, wird das vom Roboter bemerkt. Noch ist es die Landwirtin, die dann die Kuh zum Melken bringen muss – doch in ferner Zukunft verläuft vielleicht auch dieser Prozess ohne das direkte Einwirken von Menschen. (©St. Krug [CC BY-SA 3.0], via wikimedia commons)

Es braucht klar definierte Rahmenbedingungen

Wenn all diese Herausforderungen in Betracht gezogen werden, wird klar, dass hinter dem Begriff Landwirtschaft 4.0 nicht nur neue Technologien stehen. Digitalisierung in der Landwirtschaft führt nur zu einem Mehrwert für die Gesellschaft und die Umwelt, wenn die Entwicklung eng an politische und rechtliche Rahmenbedingungen geknüpft wird. So argumentieren auch die AutorInnen des Meinungsartikels: Smart Farming beziehe sich nicht nur auf neue Technologien. Nur in Verbindung mit einer regulierten Marktwirtschaft, den gesetzlichen Regelungen, sowie der Vielfalt an Nutzpflanzen und -tieren, kann von Smart Farming gesprochen werden.

Die rechtlichen und politischen Massnahmen, die an Smart Farming geknüpft werden müssen, werden auch offensichtlich, wenn man sich die gegenwärtigen Zahlen der FAO vor Augen führt: Bereits heute gibt es 821 Millionen Menschen, die regelmässig nicht genug zu Essen haben. Und das, obwohl zweimal mehr Kalorien produziert als gebraucht werden. Digitalisierung kann die Landwirtschaft umweltfreundlicher und effizienter machen – doch wenn weiterhin jede Dritte Mahlzeit in westlichen Ländern im Müll landet, die Logistikprobleme in Entwicklungsländer nicht gelöst werden, und der globale Handel die Preise der Lebensmittel bestimmt, wird es auch im Jahr 2050 – bei vollkommer Automatisierung und Digitalisierung – noch hungernde Menschen geben.

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