StartHintergrundMeinung«Die zentrale Futterbasis für viele Insekten ist fast flächendeckend weggebrochen»

«Die zentrale Futterbasis für viele Insekten ist fast flächendeckend weggebrochen»

Ein Gespräch mit Dr. Peter Duelli und Dr. Andreas Müller über ihre Liebe zu Insekten, die Interpretation von Datensätzen und die Rolle von Insekten in den nationalen Monitoringprogrammen.

Artikel aus der Zeitschrift des Forum Biodiversität Schweiz «HOTSPOT» Nr. 40/19: Insekten im Fokus der Forschung

Herr Duelli, Sie forschen seit über einem halben Jahrhundert zu den Insekten in der Schweiz. Was fasziniert Sie derart an den Sechsbeinern?

Peter Duelli: Ich habe schon als Kind in selbstgebastelten Gipsnestern Ameisenkolonien gehalten. Durch eine Glasplatte konnte ich die Tierchen beobachten. Später im Studium habe ich die Ameisen dann wissenschaftlich untersucht. Nach der Dissertation ging ich in die Ökologie und forschte zur biologischen Schädlingsbekämpfung. Florfliegen waren eine der Nützlingsgruppen. Die haben mich seither nicht mehr losgelassen und sind bis heute mein wissenschaftliches Hobby geblieben. 1984 kam ich an die Eidgenössische Forschungsanstalt WSL und beschäftigte mich bis zur Pensionierung 2008 mit der Vielfalt der Insekten in verschiedenen Lebensräumen.

Wie hat sich diese Vielfalt verändert?

Duelli: Unsere Leuchtzelte, die nachts mit UV beschienen werden, waren früher mit Insekten bedeckt. Es war mühsam, die Florfliegen in dem Gewimmel überhaupt zu finden. Diese Zeiten sind vorbei. Wenn ich in der Stadt Zürich vor 30 Jahren meine Lampe aufgestellt habe, konnte ich in einer warmen Sommernacht 100 Individuen von etwa 15 Florfliegenarten beobachten. Heute gelingen mir solche Fänge nicht einmal mehr in Naturlandschaften. Ich bin glücklich, wenn ich irgendwo 30 Individuen aus fünf Arten nachweisen kann.

Herr Müller, Sie sind Wildbienenspezialist und arbeiten seit 30 Jahren mit dieser Organismengruppe. Warum Bienen?

Andreas Müller: Ich bin über die Vögel zur Biologie gekommen und habe mich erst im Lauf des Studiums auf Wildbienen spezialisiert. Die unglaubliche Vielfalt, die hohen Lebensraumansprüche und die vielen speziellen Lebensweisen faszinieren mich. Es ist mir während den 30 Jahren Beschäftigung mit dieser Insektengruppe nie langweilig geworden.

Wie geht es den Wildbienen in der Schweiz?

Müller: Im Mittelland geht es definitiv weiter bergab. Was mir aber mindestens so viel Sorge bereitet, ist die zunehmende Intensivierung der landwirtschaftlichen Nutzung in den Berggebieten. Das ist verheerend. Wir haben in den Zentralalpen noch die artenreichsten Wildbienengemeinschaften ganz Mittel- und Nordeuropas. Vor allem die inneralpinen Trockentäler sind fantastische Gebiete. Das, was wir im Mitteland beklagen, die massive Intensivierung in den vergangenen 50 Jahren, steigt nun immer mehr in die Höhe. Ich plädiere dafür, den Fokus des Biodiversitätsschutzes auf die bestehenden, besonders artenreichen Landschaften zu legen.

Duelli: Da bin ich nicht ganz einverstanden. Ich finde es wichtig, dass auch die Ökosysteme im Mittelland beziehungsweise in der Normallandschaft funktionieren. Es braucht ökologisch hochwertige Hecken, Waldränder und Blumenwiesen in der Kulturlandschaft. Florfliegen, Laufkäfer, Marienkäfer und Spinnen spielen eine wichtige Rolle bei der biologischen Schädlingsbekämpfung und benötigen genau solche Strukturen. Auch wenn die Biodiversitätsförderflächen noch nicht das gebracht haben, was wir anfangs erhofften, sind sie doch schon mal ein guter Anfang!

Ihr subjektives Empfinden zum Zustand der Insekten deckt sich mit Studien aus ganz Europa. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen zeigen massive Rückgänge der Arten und Individuenzahlen wichtiger Insektengruppen in den vergangenen 20 bis 200 Jahren. Die nationalen Roten Listen, die den Gefährdungsstatus von 1143 Insektenarten dokumentieren, führen uns vor Augen, dass 60% dieser Arten bedroht oder potenziell gefährdet sind.

Duelli: Dass viele Arten extrem selten geworden sind, ist eine logische Konsequenz der systematischen Zerstörung von speziellen Lebensräumen wie Mooren, Auen und Trockenwiesen, die auf einen Bruchteil ihrer früheren Fläche geschrumpft sind. Mit den Lebensräumen gehen jene Insektenarten zurück, die auf diese Habitate angewiesen sind. Das ist nicht mehr reversibel. Rote Listen dokumentieren nur die Verlierer unter den Insekten. Sie sagen aber prinzipiell nichts über die Veränderung der Artenzahlen oder der Biomasse in einem Landschaftsausschnitt aus, denn bei jeder Umweltveränderung gibt es Gewinner, die auch Teil der Biodiversität sind. Rote-Liste-Arten sind zu selten, um ökologisch relevant zu sein.

Müller: Jetzt möchte ich widersprechen: Viele der Arten auf den Roten Listen waren früher weit verbreitet und teilweise sogar häufig. Nehmen wir als Beispiel die Feldlerche, von der es vor 40 Jahren niemand für möglich gehalten hätte, dass sie jemals unter Druck kommen würde. Heute sind ihre Bestände in weiten Teilen der Schweiz eingebrochen. Und es sind keineswegs nur Spezialstandorte verloren gegangen. Blütenreiche Fromentalwiesen waren vor 100 Jahren noch der Wiesenstandard, seither wurden 95% durch artenarme Fettwiesen ersetzt. Hier ist fast flächendeckend die zentrale Futterbasis der blütenbesuchenden Insekten weggebrochen! Das hatte mit Sicherheit massive Auswirkungen auf die Biomasse der Insekten. So wird beispielsweise geschätzt, dass die Individuenzahl der Wiesenschmetterlinge verglichen mit früher auf klägliche 1% zurückging. Hätten wir Zahlen: Ich bin sicher, dass der Biomasserückgang bei den Insekten in einer ähnlichen Grössenordnung liegt wie die Studie des Entomologischen Vereins Krefeld. Dieser hat 27 Jahre lang Millionen von Insekten gefangen und gewogen – und festgestellt, dass die Insektenbiomasse sogar in Naturschutzgebieten seit 1989 um dramatische 76 % abgenommen hat.

Duelli: Ich bin überzeugt, dass es in der Schweiz nicht ganz so dramatisch ist wie in Deutschland. Nehmen Sie die Zahlen des Biodiversitätsmonitoring Schweiz BDM: Für die Schmetterlinge zeigen die Aufnahmen in den Probeflächen seit 2003 konstante oder sogar steigende Artenzahlen.

Müller: Artenzahlen allein sind ein ungeeigneter Indikator für den Zustand der Biodiversität, die ja auch die Artenzusammensetzung, die Vielfalt der Lebensräume und die genetische Vielfalt umfasst. Kürzlich hat der «Verein Schmetterlingsförderung im Kanton Zürich» das Tagfalterinventar nach 20 Jahren wiederholt. Man sieht nach dieser kurzen Zeitspanne: Während die Artenzahl praktisch konstant auf rund 80 Arten verblieb, nahmen die Bestände der meisten Habitatspezialisten deutlich ab, zwei Arten sind sogar ganz verschwunden. Weniger spezialisierte Arten dagegen blieben gleich häufig, nahmen zu oder tauchten neu auf. Oftmals handelt es sich dabei um Generalisten, die mit den schlechteren Umweltbedingungen im Mittelland zurechtkommen und von der Klimaerwärmung profitieren. Interessant ist, dass diese Gewinner oftmals zwei oder mehr Generationen ausbilden. So können sie ihre Bestandesdichte bei guten Witterungsverhältnissen rasch vergrössern und sich in der Folge rasch ausbreiten. Was wir nicht nur bei den Tagfaltern im Kanton Zürich, sondern auch bei vielen anderen Organismengruppen im ganzen Mittelland beobachten können: Die Artenzusammensetzung hat sich massiv zuungunsten der Spezialisten verändert und wird über grosse Landstriche hinweg immer ähnlicher. Reine Artenzahlen verschleiern alle diese Vorgänge.

Langfristig müssten aber auch die Artenzahlen sinken, wenn die Habitatspezialisten aus ganzen Landschaftskammern verschwinden.

Müller: Das BDM untersucht die Biodiversität in der Normallandschaft, in der bedrohte Arten stark untervertreten sind. Trotzdem zeigt die Analyse der Tagfalterdaten des BDM meines Wissens eine signifikante Abnahme der Rote-Listen-Arten. Tatsache ist: Rote Listen sind wichtig, weil sie zeigen, welche Arten auf nationaler oder regionaler Ebene zu verschwinden drohen. Meine Befürchtung ist, dass wir viele der dort aufgeführten Habitatspezialisten mit dem jetzigen Level der Fördermassnahmen mindestens regional kaum in die Zukunft retten können. Deren Restvorkommen sind oft so klein, zerstückelt und isoliert, dass es keine Metapopulationsstruktur mehr gibt, welche eine Wiederbesiedlung verwaister Standorte ermöglicht. So bricht uns eine Teilpopulaton nach der anderen weg. Wir befinden uns bei vielen Arten leider in diesem Prozess der Aussterbeschuld. Um die gefährdeten Spezialisten zu erhalten, braucht es verstärkte Anstrengungen – ein paar Blühstreifen hier und ein aufgewerteter Waldrand da, so begrüssenwert solche Massnahmen auch sind, reichen dafür kaum aus.

Zahlen gibt es nur für die Entwicklung der letzten Jahrzehnte. Kann es sein, dass wir die Verluste an Biodiversität seit 1900 sogar unterschätzen?

Müller: Ich kann es nicht 100 % mit Zahlen belegen, aber ich fürchte tatsächlich, dass dies so ist. Das Problem ist, dass wir keine guten Daten aus der Vergangenheit besitzen, welche zuverlässige Vergleiche ermöglichen würden. Aber es gibt Ausnahmen: Bei den Wildbienen zum Beispiel haben wir den Fall eines Genfer Entomologen, der um 1900 in der Umgebung seines Wohnortes in Peney Insekten gesammelt hat. Als wir seine Sammlung im Genfer Museum auszuwerten begannen, dachten wir zuerst: Der muss seine Belege falsch etikettiert und von anderswo mitgebracht haben. Aber dem war nicht so. Er hat quasi vor seiner Haustüre über 300 Wildbienenarten gefunden, das entspricht der Hälfte aller in der Schweiz jemals nachgewiesenen Arten – eine Diversität auf engstem Raum, die man nie für möglich gehalten hätte! Zahlreiche dieser Arten sind heute sehr selten oder ganz aus der Schweiz verschwunden. Wenn wir also heute von seltenen Arten reden: Viele davon waren früher wohl häufiger und weiter verbreitet, als man bisher angenommen hat.

Duelli: Wie gesagt: Wenn wir den Lebensraum nicht mehr haben, dann braucht es auch die Arten nicht mehr. Niemand vermisst sie.

Müller: Doch ich!

Duelli: Ja natürlich, ich auch! Aber schauen wir doch den Tatsachen in die Augen: Wie viel Promille der Schweizer Bevölkerung kümmert das? Ganz wenige!

Müller: Einspruch! Wir beide sind doch zur Biologie gekommen, weil wir von der Vielfalt und der Lebensweise der Arten fasziniert sind und Ehrfurcht vor der viele hundert Millionen Jahre dauernden Evolution der Arten haben. Wir setzen uns deshalb auch besonders für die seltenen Arten ein und fänden es jammerschade, wenn wir sie verlieren würden. Arterhaltung nur der Arten willen, ohne dass sie uns Menschen einen ökonomischen Nutzen bringen, ist doch auch ein Wert! Letzte Woche habe ich im Kanton Zürich eine seltene Wildbienenart kartiert, die einzig und allein auf der Zaunrübe Pollen sammelt. Dabei bin ich mit einem Bauern ins Gespräch gekommen – und dann kam doch zufällig diese Wildbiene vorbei.
Weisst Du, was der Bauer gemacht hat? Er hat sein Handy gezückt, das Tierchen fotografiert und versprochen, die Zaunrüben bei der nächsten Mahd des Waldsaumes zu schonen. Die Bilder will er auch seinen Kollegen zeigen. Für ihn war das offenbar ein tolles Naturerlebnis. Die Faszination für die belebte Natur ist menschlich, das zeigen auch die hohen Einschaltquoten bei Natur- und Tierfilmen. Der Naturschutz sollte deshalb in meinen Augen vermehrt darauf setzen, die Faszination für Tiere und Pflanzen in die breite Bevölkerung hinauszutragen.

Duelli: Ich finde den Fokus des Biodiversitätsschutzes auf die Arten der Roten Liste sehr einseitig. Viele der seltenen und gefährdeten Arten sind kaum noch relevant für das Funktionieren der Ökosysteme, wie sie sich heute präsentieren. Wir wollen sie selbstverständlich schützen – aber das ist eher Heimatschutz als Artenschutz, vor allem wenn Arten im Fokus stehen, die in anderen Teilen Europas noch häufig sind. Für das Funktionieren der Ökosysteme sind andere Arten viel relevanter. Die Erhaltung funktionierender Ökosysteme ist im Interesse aller Steuerzahler, auch wenn sie sich dessen nicht bewusst sind. Ganz wichtig ist die Individuendichte wichtiger Arten. Daher ist auch die Krefeld-Studie so bedeutsam, weil sie zeigt, dass wir Biomasse verlieren. Das ist eine ganz neue Eskalationsstufe, weil da etwas Wichtiges wegbricht.

Die Krefeld-Studie hat gezeigt, dass Insekten sogar in Naturschutzgebieten abnehmen. Was läuft da schief?

Müller: Die Studie zeigt eindeutig, dass sich die Umweltbedingungen flächendeckend verschlechtert haben. Eigentlich kommen als Erklärung für den beobachteten Insektenrückgang nur Pestizid- und Stickstoffeinträge über die Luft in Frage. In der Schweiz konnte kürzlich gezeigt werden, dass sogar Bioflächen nachweislich mit Pestiziden verseucht sind. Und der Stickstoffeintrag führt zur Vergrasung und zur Abnahme von Blütenpflanzen.

Duelli: Im Tessin, wo ich zeitweise wohne, hat es auf beiden Seiten Reben. Die werden oft gespritzt. Das ist vermutlich ein Grund, wieso ich immer weniger Florfliegen finde. Die Bauern dürfen nicht spritzen, wenn es windet, aber das kümmert sie nicht. Aber wie gesagt: Das ist eine subjektive Beobachtung. Wir brauchen Daten zur Biomasse und zu den Ökosystemfunktionen. Dazu sind wir auf objektive und standardisierte Erhebungen der Insektenfauna angewiesen.

Wie erklären Sie sich dieses Datendefizit?

Duelli: Wir waren einmal ganz nahe dran! Zusammen mit Martin Obrist haben wir in den 1990er-Jahren Methoden für Monitoring-programme entwickelt. Das Biodiversitätsmonitoring BDM, das 2003 startete, war interessiert und wollte, dass wir unser sogenanntes «Rapid Biodiversity Assessment» operationalisieren. Die Methode hätte unter anderem auch Daten zur Biomasse der Insekten geliefert. Der Bund hat dann aber unser Projekt nicht bewilligt. Und jetzt kommt die Krefeld-Studie und man sagt uns: Hey, ihr Insektenforscher, wieso könnt ihr nicht auch solche Daten liefern? Das ärgert mich sehr.

Müller: Kommt hinzu, dass die Monitoring-programme wie das BDM letztlich zu spät mit der Datenerhebung begonnen haben. Die massiven Arten- und Lebensraumverluste hatten wir 2003 schon hinter uns. Etwas überspitzt gesagt: Wenn man nahe bei Null ist, geht es halt nicht mehr weit runter. Und eine hochgiftige neue Insektizidgruppe, die Neonikotinoide, kam bereits Mitte der 1990er-Jahre zur Anwendung. Die Auswirkungen dieser Nervengifte, die dramatische Auswirkungen auf Insekten haben, wie in zahllosen wissenschaftlichen Publikationen gezeigt wurde, können mit den laufenden Monitoringprogrammen leider rückwirkend nicht mehr beurteilt werden.

Duelli: Ich bin klar dafür, Pestizide weitgehend durch Nützlinge zu ersetzen. Auch mit Hilfe der Gentechnik könnten meiner Meinung nach viele Pestizideinsätze eingespart werden. Übrigens haben wir an der WSL enorme und detaillierte Datensätze zur Insektenbiomasse und Individuendichte aus den 1980er-Jahren. Und zwar aus allen Lebensräumen. Man müsste die nur wiederholen! In bescheidenem Rahmen, nämlich als Masterarbeit im Limpachtal, findet das in diesem Jahr nun statt.

Müller: Das würde ja bedeuten, dass wir mit einer Wiederholung aller dieser Aufnahmen die Entwicklung der Insekten in den letzten 30 Jahren nachverfolgen könnten – und zwar inklusive Einfluss der Neonikotinoide! Wenn wir uns vergegenwärtigen, wie stark die mangelden Daten Aussagen zur Entwicklung der Biomasse und Artenvielfalt der Insekten erschweren oder gar verunmöglichen, wäre es wichtig, dass wir das Insektenmonitoring jetzt verstärken, um in 50 Jahren die Wirkung der jetzt getroffenen Massnahmen überprüfen zu können.

Duelli: In jedem nationalen Monitoring könnte ein Modul zu den Insekten angehängt werden, die Methoden sind da. Artenzahlen zu Tagfaltern und Wasserinsekten, wie sie das BDM erhebt, sagen nichts aus über die Anzahl und Biomasse sowie andere Ökosystemleistungen von Insekten. Dafür wäre das erwähnte «Rapid Biodiversity Assessment» geeignet.

Müller: Bei der Wirkungskontrolle Biotopschutz WBS war ein Modul zu den Insekten schon pfannenfertig vorhanden. Es wurde aber aus finanziellen Gründen nicht weiterverfolgt. Beim Monitoringprogramm «Arten und Lebensräume Landwirtschaft» (ALL-EMA) wurde versucht, ein Zusatzmodul «Wildbienen» zu integrieren, weil Bestäubung ja eine wichtige Ökosystemleistung für die Landwirtschaft ist. Das Bundesamt für Landwirtschaft hat das aber abgelehnt. Das ist schade. Mit den Monitoringprogrammen WBS, ALL- EMA und BDM bestehen Strukturen, in die ein zusätzliches Insektenmonitoring problemlos integriert werden könnte. Aber auch wenn ich hier dafür plädiere, das Monitoring in einem vernünftigen Mass auszubauen: Dies soll keine Entschuldigung dafür sein, Massnahmen hinauszuzögern. Wir wissen, warum Insekten zurückgehen, und sollten jetzt handeln.

Bis Ende des 19. Jahrhunderts waren Insekten ein wichtiges Forschungsgebiet, danach ging es rapide abwärts. Haben Sie dafür eine Erklärung?

Duelli: Es gibt kaum mehr Nachfrage nach Insektenforschenden, man kann nicht leben davon. Es ist nur noch ein Hobby. Früher hatte es an den Museen und Instituten noch bezahlte Fachexperten für verschiedene Insektengruppen. Diese Zeiten sind vorbei.

Müller: Ich und viele Kollegen und Kolleginnen können davon leben. Voraussetzung dafür ist allerdings, dass man sich nicht nur bei einer, sondern bei verschiedenen Artengruppen gut auskennt. Die Roten-Listen-Programme des Bundes und die Artenförderprogramme von Bund, Kantonen und Naturschutzorganisationen haben die Nachfrage nach Artenkennenden ansteigen lassen. Für manche Gruppen gibt es heute nur ganz wenige Spezialistinnen oder Spezialisten. Hier bräuchte es dringend mehr Fachleute. Für die Arbeiten zur Aktualisierung der Roten Liste der Wildbienen mussten wir für die Feldarbeit und Datenaufnahme gezielt Leute einladen.

Wurden früher mehr Artenkennerinnen und Artenkenner an den Universitäten ausgebildet?

Müller: Ich halte das eher für einen Mythos. Tatsache ist, dass Lehrveranstaltungen zu organismischer Biologie wie Feldarbeitswochen, Bestimmungskurse oder Exkursionen an den meisten Universitäten leider stark unter Druck sind. Wenn ich mich aber zurückerinnere an meine Unizeit: Da lernte man in den Bestimmungskursen lediglich das Handwerk. Das Aneignen von guten Artenkenntnissen in der Zoologie war schon immer nur mit persönlichem Engagement und Freizeitarbeit möglich. Im Vergleich zu früher haben wir heute aber die Situation, dass es die Studienpläne mit oftmals bis zu 40 Stunden Präsenzzeit pro Woche und Wochenendarbeit verunmöglichen, sich neben dem Studium intensiv in eine Gruppe einzuarbeiten.

Fördern die entomologischen Gesellschaften keine Artenkenntnisse?

Duelli: Doch, seit neustem tun sie das. Es sind Freiwillige, die das anbieten. Personen aller Altersklassen nutzen diese Angebote. Aber ich möchte auf ein weiteres Problem hinweisen: Im Rahmen von Monitoringprojekten wird das Sammelgut oft ins Ausland geschickt, um die Arten zu bestimmen. Das ist billiger. Wir müssen einfordern, dass das Material hierzulande analysiert und bestimmt werden kann, was natürlich mehr kostet. Erst dann gibt es aber auch einen Markt für Artenkennerinnen und Artenkenner.

Müller: Ich finde auch, dass man nicht darüber jammern kann, dass es keine Spezialistinnen und Spezialisten gibt, wenn man gleichzeitig das Bestimmen von Proben ins Ausland verlagert. Ich betrachte es auch als eine Unsitte, dass im Rahmen vieler Master- und Doktorarbeiten das Material nicht mehr von den Studierenden selber bestimmt, sondern die Bestimmung an Fachleute delegiert wird. Meines Erachtens ist eine Interpretation von erhobenen Daten nur dann sinnvoll möglich, wenn man sich in einer Gruppe gut auskennt. Bestimmungsarbeit ist weit mehr als nur das Anheften von Namensetiketten!


2 Kommentare

  1. Ohne Insekten kein Leben! Diese sind seit 400 mio Jahre die Grundlage unseres ökosystems. Soviel zur Wichtigkeit.
    Die eidgen. Zonenverordnung braucht eine Biodiversitätszone: 30m Waldrand ohne Baumbestand, nur Sträucher etc. gefolgt von 100m extensiver naturnaher und echter Blumenwiese. So einfach Wär’s. Die jetzigen ölolog. Ausgleichsflächen sind ein Witz, da viel zu klein und zu vereinzelt.

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