StartNewsNatur«Pragmatisches Vorgehen» – Erfahrungen mit der Ansiedlung von Riedpflanzen

«Pragmatisches Vorgehen» – Erfahrungen mit der Ansiedlung von Riedpflanzen

Im Aktionsprogramm «Riedförderung Grenchner Witi 2011–2015» des Kantons Solothurn hat die Abteilung Natur und Landschaft unter diversen Aufwertungsmassnahmen auch Ansiedlungen von ex situ produzierten Riedpflanzen vorgenommen. Insgesamt wurden rund 7000 Töpfe mit je mehreren Individuen von zehn verschiedenen Arten gepflanzt. Diese Anpflanzungen hatten drei Ziele: erloschene Arten wiederanzusiedeln, seltene Arten zu fördern und die Landschaft mit bunten Riedstauden in Saumflächen der Landwirtschaft aufzuwerten. Wir haben einiges dazugelernt und wollen unsere Erfahrungen hier zugänglich machen.

Der Originalartikel wurde in der botanischen Zeitschrift «Flora CH» (Ausgabe Nr. 8, 2019) von Info Flora veröffentlicht. Geschrieben von Jonas Lüthy, Amt für Raumplanung des Kantons Solothurn.

In der Grenchner Witi wurde 1919 mit der Trockenlegung begonnen und bis in die 1970er-Jahre wurden letzte Feuchtgebiete zugeschüttet. Die beiden Juragewässerkorrektionen reduzierten die Pegelschwankungen der Aare, sodass die ehemals regelmässigen Überschwemmungen der Aareebene seither ausbleiben. Das Wies- und Streueland wurde drainiert und in Ackerland umgewandelt. Allerletzte verbleibende Riedflächen und Gräben wurden sich selbst überlassen, verschilften und verbuschten in der Folge. Damit sind Ursachen des Aussterbens vieler Tier- und Pflanzenarten bekannt. Um den einst artenreichen Lebensraum zu fördern, wurden verschiedene Naturschutzbemühungen unternommen.

Für die Wiederansiedlungen ist die Solothurner Flora von Rudolf Probst (1949) massgebendes Hilfsmittel. Der Solothurner Arzt betrieb in seiner Freizeit mit Hingabe botanische Forschungen und dokumentierte die Flora seines Wohnkantons mithilfe eines umfassenden Netzwerks von botanisch Interessierten. Fundorte von 1949 bereits seltenen und speziellen Arten hat er zuverlässig und mit recht genauen Angaben aufgeführt, sodass sie im Feld häufig lokalisiert werden können. Zu Arten, die erst später selten wurden, finden sich bei Probst nur gröbere Gebiets- und Häufigkeitsangaben, ohne Aufzählung von einzelnen Fundorten. Auf die Ansiedlung von Arten, die nach Probst in einem Gebiet nicht vorkommen, wird konsequent verzichtet. Drei Arten wurden von 2012 bis 2015 wiederangesiedelt. Der Lungen-Enzian (Gentiana pneumonanthe) wurde von Probst bereits als in der «Grenchenwiti» möglicherweise erloschen eingestuft. Nächster heutiger Fundort ist das Berner Naturschutzgebiet Meienried, etwa acht Kilometer weiter westlich gelegen. Der Kantige Lauch (Allium angulosum) wurde in «Sumpfwiesen im Bielersee- und Aaregebiet, Nidau bis Bellach» angegeben, explizit auch in der «Grenchenwiti». Hier kam er in den 1970er-Jahren noch im Flachmoor «Altwasser» vor. Auch diese Art gedeiht im Meienried. Mit Bewilligung der Naturschutzfachstelle des Kantons Bern wurde Saatgut der beiden Arten im Meienried entnommen. Die Aufzucht des Pflanzguts erfolgte in einer Gärtnerei. Nach ein bis drei Jahren wurde es im blühfähigen Zustand ausgebracht.

Lungen-Enziane wurden in der Gärtnerei aufgezogen.
450 Töpfe mit zweijährigen Lungen-Enzianen (Gentiana pneumonanthe). © Jonas Lüthy

Die dritte Art, der Grosse Sumpf-Hahnenfuss (Ranunculus lingua), wurde von Probst noch 1927 im Grenchner Egelsee angegeben. Von einem Exemplar im Meienried wurden vier kleine Rhizomstücke entnommen und direkt im heutigen Gebiet Egelsee Süd ausgepflanzt.

Neben den Wiederansiedlungen wurden Populationen von vier seltenen Arten gestärkt, um ihr Aussterberisiko zu vermindern. Diese wurden ex situ, sprich in einer Gärtnerei, vermehrt und an diversen Standorten angesiedelt. Besonderes Glück hatte hierbei der Riesen-Ampfer (Rumex hydrolapathum). Probst hielt die Art für 1905 wohl erloschen. Daher kam es eher unerwartet, dass ein kantonsweit letztes Individuum 2011 am Staadkanal entdeckt wurde. Sofort wurde Saatgut entnommen und die Art konnte in Kultur vermehrt werden. Nach Pflanzaktionen 2013 und 2014 gedeiht sie heute wieder an zahlreichen Orten und pflanzt sich bereits in situ fort, also in ihrem natürlichen Lebensraum. Was aber wäre ohne die zufällige Wiederentdeckung geschehen?

Der stark verkrautete und verlandete Staadkanal wurde im Winter 2017 durch die Bodenverbesserungsgenossenschaft ausgebaggert. Dank unserer guten Zusammenarbeit mit lokalen Landwirten wurden wir über das Vorhaben informiert. Die letzte urwüchsige Pflanze konnte vorgängig mit Pflöcken markiert werden, sodass sie vom Baggerführer verschont wurde. Hätte alles den normalen Verlauf genommen, wäre die Art im Kanton mit Sicherheit 2017 erloschen, ohne dass es jemand bemerkt oder sich daran gestört hätte. So unspektakulär geht Aussterben – oder eben nicht.

Vielversprechende Erfolge liessen sich ferner für Gelbe Wiesenraute (Thalictrum flavum) und die Sumpf-Wolfsmilch (Euphorbia palustris) verzeichnen. Auch für das Hohe Veilchen (Viola elatior) wurden Populationsstärkungsaktivitäten vorgenommen. Seine Geschichte ist besonders prominent. Das Veilchen galt 1994 als ausgestorben, als der Grenchner Biologe Ernst Müller drei blühende Exemplare entdeckte. Das war damals eine Sensation. Die Pflanzen wurden sofort intensiv beobachtet und es wurde vermutet, dass Lichtmangel aufgrund von Verschilfung das Problem war. Die Pflege des Naturreservats «Altwasser» wurde umgehend intensiviert (jährlicher Streueschnitt) und die Population weiter überwacht. Das Monitoring 2011 ergab dann rund 37’000 Individuen, davon etwa 300 blühende. Diagnose und Behandlung waren scheinbar richtig gewesen. Die umfangreichen Ansiedlungen von ex situ vermehrten Pflanzen des Hohen Veilchens in den Jahren 2012 bis 2015 verliefen hingegen bisher ohne überzeugenden Erfolg.

Gelben Wiesenraute (Thalictrum flavum) blüht auf der Grenchner Witi.
Vitaler Bestand der Gelben Wiesenraute (Thalictrum flavum) in Streuefläche auf vormaligem Ackerland. © Jonas Lüthy

Neben den Wiederansiedlungen und der Risikoverminderung war die Aufwertung der Landschaft das dritte Ziel. Für die optische Aufwertung der ehemaligen Riedlandschaft, sowie als Leitstrukturen der Vernetzung, wurden auf Ackerland streifenförmige Streueflächen angelegt und mit Riedstauden bepflanzt. Verwendet wurden Strand-Pfeifengras (Molinia arundinacea), Gilbweiderich (Lysimachia vulgaris), Blutweiderich (Lythrum salicaria), Spierstaude (Filipendula ulmaria) und in einem Fall Gelbe Wiesenraute (Thalictrum flavum). Diese Pflanzungen waren erfolgreich bis sehr erfolgreich.

Da wir keine Angaben zu einigermassen vergleichbaren Projekten hatten, mussten wir unsere eigenen Erfahrungen machen. Es ist uns daher ein Anliegen, abschliessend auf einige Punkte, die uns wichtig erscheinen, hinzuweisen:

  • Wir haben ausschliesslich autochthone Pflanzen aus einem engen geografischen Radius verwendet, um mögliche genetische Besonderheiten zu erhalten.
  • Seltene Arten sind oft anspruchsvoll zu kultivieren. Sie sind teilweise konkurrenzschwach, nicht gerade vermehrungsfreudig und haben eng umgrenzte ökologische Ansprüche. Schnelle Erfolge sollten daher nicht erwartet werden.
  • Eine abschliessende Beurteilung des Erfolgs ist je nach Art erst nach Jahren möglich, da mit jährlichen Fluktuationen zu rechnen ist.
  • Bei der Auswahl der Pflanzorte war der Wasserhaushalt ausschlaggebend.
  • Grossflächige Pflanzungen mit grossen Stückzahlen sind zu empfehlen. Es ist mit hohen Verlusten zu rechnen.
  • Im Gegensatz zu angesiedelten Tieren sind bei angesiedelten Pflanzen nur die Samen mobil. Erst die kommenden Generationen können daher in den richtigen Mikrohabitaten gedeihen.
  • Vitales Pflanzgut mit Langzeitdünger im Topfballen begünstigt die Etablierung im Lebensraum unter natürlichen Konkurrenzverhältnissen. Die gut versorgten Pflanzen erhalten so einen deutlichen Vorteil gegenüber der umgebenden, ungedüngten Vegetation.
  • Mehrere Individuen pro Topf begünstigen die Kreuzbestäubung und Samenbildung in situ. Zudem können später Einzelpflanzen gegenüber den gepflanzten Gruppen besser als neue Sämlinge identifiziert werden.
  • Pflanzungen in geraden Linien und regelmässigen Abständen erleichtern die Erfolgskontrolle, insbesondere das Wiederauffinden der gepflanzten Exemplare, aber auch die Beurteilung von Vermehrung in situ («tanzen aus der Reihe»).
  • Durch Pflanzung im März oder Oktober werden Frostgefahr und Sommertrockenheit umgangen. Bei Herbstpflanzung ergeben sich keine Probleme mit Schneckenfrass (zum Beispiel beim Lungen-Enzian).
  • Die Entnahme von Material aus den natürlichen Lebensräumen ist unter gewissen Umständen bewilligungspflichtig und mit der kantonalen Naturschutzfachstelle abzuklären.
  • Die professionelle Produktion in Gärtnereien hat sich sehr bewährt.

Für detaillierte Informationen stehen Ihnen die Jahresberichte 2011 bis 2015 unter www.so.ch/witi zur Verfügung. Der Schlussbericht 2015 enthält eine Übersicht über die Ansiedlungen von Pflanzen, die bisherigen Ergebnisse und die Kosten, der Anschlussbericht 2016 eine vorläufige Beurteilung. Pflanzpläne (Skizzen) sowie Fotodokumentationen sind den einzelnen Jahresberichten zu entnehmen.

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