StartNewsForschungDurchs Netz gefallen? Weniger Tagfalter auch in Schutzgebieten

Durchs Netz gefallen? Weniger Tagfalter auch in Schutzgebieten

Wie ein Rettungsnetz für die Artenvielfalt zieht sich das Schutzgebietssystem «Natura 2000» quer durch die EU. Ob sich diese Refugien tatsächlich positiv auf den Artenreichtum auswirkt, haben Forscher nun anhand von Tagfaltern untersucht. Demnach gibt es auf den Natura-2000-Flächen zwar mehr Falter-Arten als anderswo. Allerdings gehen die Artenzahlen innerhalb und ausserhalb der Schutzgebiete gleichermassen zurück.

Die Idee klingt eigentlich gut: Ein Mosaik von geschützten Wäldern und Mooren, Seen, Flüssen und anderen Lebensräumen soll den bedrohten Pflanzen und Tieren Europas eine Zuflucht bieten. Schon seit 1992 ist die EU dabei, dieses «Natura 2000» genannte Rettungsnetz aus Schutzgebieten aufzubauen. Mittlerweile umfasst es schon mehr als 18 Prozent der Landoberfläche der EU und gehört zu den wichtigsten Bausteinen des europäischen Naturschutzes. Aber wie effektiv ist es eigentlich? Kann es den grassierenden Artenschwund tatsächlich aufhalten? Diese Frage hat ein Forscherteam am Beispiel der Tagfalter untersucht, wie das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) berichtet.

Die Untersuchung zeigt, dass die Tagfalter-Arten in den Schutzgebieten zwar zahlreicher sind als ausserhalb, aber allgemein wurde einen Rückgang der Artenvielfalt beobachtet. Möglicherweise könnte dieser Rückgang auf Pflegemassnahmen innerhalb der Schutzgebiete zurückzuführen sein, welche sich nach dem Wohl von anderen Arten richten.

Dank Monitoring viele Daten über Tagfalter

Es ist kein Zufall, dass sich die Forscher bei ihrer Analyse ausgerechnet auf die Tagfalter stützen. Denn zum einen gibt es zahlreiche Tagfalter, die ganz eigene Ansprüche an ihren Lebensraum stellen und damit stellvertretend für viele andere Arten stehen. Deshalb gelten sie als gute Indikatoren für den Zustand einer Landschaft. Zudem spielen sie als Bestäuber, Pflanzenfresser und Nahrungsquelle für Vögel und andere Tiere eine wichtige Rolle im Ökosystem.

Vor allem aber sind die Vorkommen von Tagfaltern vergleichsweise gut untersucht. Schliesslich handelt es sich um auffällige Insekten, von denen viele auch für Laien gut zu unterscheiden sind. Schon seit 2005 koordiniert das UFZ deshalb ein Bürgerforschungsprojekt namens «Tagfalter-Monitoring Deutschland», bei dem alle Interessierten mitmachen können. Dabei wird eine Strecke über Wochen hinweg regelmässig abgelaufen und die beobachteten Tagfalter-Arten notiert. «Über Tagfalter haben wir schon tolle Daten» sagt die Biologin Elisabeth Kühn, die das Monitoring koordiniert. Auf ungefähr 300 Zähl-Strecken sind die Beobachter schon seit mindestens acht Jahren aktiv, so dass die Forscher aus den dortigen Erhebungen erste Trends ablesen können.

Für ihren Natura-2000-Check haben sie nun 245 davon ausgewählt, die besonders regelmässig begangen worden waren. Diese Transekte verteilen sich über ganz Deutschland, etwa 28 Prozent davon liegen innerhalb von Natura-2000-Gebieten, der Rest ausserhalb. So konnten die Forscher mit statistischen Methoden analysieren, ob der Schutzstatus ihres Lebensraums für die insgesamt 122 erfassten Falter-Arten einen Unterschied macht.

Schutzgebiete in besserem Zustand

Auf den ersten Blick sieht es ganz danach aus. Auf den Strecken ausserhalb der Schutzgebiete haben die Schmetterlingsfahnder im Durchschnitt 18 Arten gezählt, innerhalb waren es dagegen 21. «Das liegt nicht daran, dass die Lebensräume in den Natura-2000-Gebieten generell besser für Tagfalter geeignet wären», erklärt Elisabeth Kühn. «Sie sind möglicherweise nur in besserem Zustand.» Und das macht sich nicht nur im Schutzgebiet selbst bemerkbar, sondern auch in seiner Umgebung. Je näher ein Transekt an einem solchen Refugium liegt, umso höher ist auch seine Artenzahl. Offenbar wirken diese Lebensräume wie Falter-Quellen, aus denen die Tiere auch ins Umland flattern. Und oft sind die eigentlichen Schutzgebiete auch nur die wertvollsten Bereiche in einer insgesamt vielfältigen Landschaft.
Das alles klingt nach einem durchaus positiven Befund. «Tatsächlich sprechen diese Ergebnisse dafür, dass die Natura-2000-Flächen gut ausgewählt sind», betont Elisabeth Kühn. Sie stellen offenbar tatsächlich einen guten Querschnitt von besonders wertvollen Flächen unter Schutz.

Artenverlust geht trotzdem weiter

Trotzdem fällt das Zeugnis für das ökologische Rettungsnetz nicht rundum erfreulich aus. Denn die Forscher haben auch analysiert, wie sich die Falterbestände zwischen 2005 und 2015 verändert haben. Demnach flatterten zum Beginn dieses Zeitraums im Durchschnitt noch mehr als 19 Arten über den Transekten, am Ende waren es nur noch gut 17. «Das ist ein deutlicher Rückgang von etwa zehn Prozent», sagt Elisabeth Kühn. «Und der hat innerhalb der Schutzgebiete genauso stattgefunden wie ausserhalb.» Bei seiner eigentlichen Aufgabe, den Artenschwund zu stoppen, scheint das Natura-2000-Netzwerk also zumindest im Fall der Tagfalter seine Wirkung noch nicht entfaltet zu haben.

Pflegemassnahmen der Schutzgebiete anpassen

Mithilfe weiterer Analysen wollen die Forscher nun herausfinden, woran das genau liegt. Ihrer Einschätzung nach könnten zum einen grossräumige Effekte wie der Klimawandel oder Veränderungen der Landnutzung – inklusive der Einsatz von Pestiziden – dahinter stecken, die sich unabhängig vom Schutzstatus auf die gesamte Landschaft auswirken. Es könnte aber auch sein, dass die Ursache in den Schutzgebieten selbst liegt. Der überwiegende Teil dieser Flächen sind nämlich Kulturlandschaften, die man nicht komplett sich selbst überlassen kann. Wiesen und Magerrasen zum Beispiel müssen regelmässig gemäht oder beweidet werden. Sonst machen sich dort mit der Zeit Gehölze breit und die Arten des Offenlandes verlieren ihren Lebensraum. Allerdings kann man ein solches Management unterschiedlich gestalten. Und da liegt möglicherweise das Problem. «Bisher orientieren sich diese Massnahmen oftmals an den Bedürfnissen anderer Gruppen, zum Beispiel von Vögeln», erklärt Elisabeth Kühn. «Und davon profitieren Tagfalter nicht unbedingt.» So sind zum Beispiel die Mahdzeitpunkte vieler Wiesen nicht optimal für die Raupenentwicklung der Tagfalter, wobei sich die Ansprüche zwischen einzelnen Arten sehr unterscheiden können.
«Solche Zielkonflikte kann man nur lösen, wenn man sich die einzelnen Arten und Lebensräume genau anschaut», sagt Elisabeth Kühn. Sie und ihre Kollegen hoffen, dass ihr Datenschatz auch das ermöglichen wird und sie daraus Ideen ableiten können, wie das Rettungsnetz für die Natur noch effektiver aufgespannt werden kann als bisher.

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